unterzuordnen. Schwäche zu zeigen ist nicht erlaubt. Und dazu gehört das Bekenntnis beispielsweise zur Depression.
»Leistungssportler müssen in der Lage sein, Außergewöhnliches zu leisten«, argumentieren die Psychologen Jürgen Hoyer und Jens Kleinert in der Ausgabe 3/2010 des »Psychotherapeutenjournals«. Hierzu zählen eben nicht nur exzellentes Können in der jeweiligen Sportart, sondern ebenso erhebliche psychologische Kompetenzen wie Diszipliniertheit, Zielorientierung, Motivation sowie schnelle körperliche und psychische Regeneration im Wettkampfbetrieb. Denn: »Mentale Stärke gewinnt.« In diesem Kontext wird wohl sportlicher Erfolg nicht selten mit hohem Selbstvertrauen assoziiert. Und Gegenteiliges wird als Schwäche, als Unzulänglichkeit, als Erfolglosigkeit stigmatisiert.
»Psychische Störungen sind in diesen Berufsgruppen, aufgrund der besonderen Kompetenzen, die sie voraussetzen, tendenziell eher seltener«, meinen Hoyer und Kleinert. »Die Gefahr, dass diese Störungen nicht erkannt werden, wenn sie in Einzelfällen trotzdem gegeben sind, ist aber genau deswegen höher.« Beispiel: Robert Enke. Oder der Nationalspieler Sebastian Deisler, der während seiner Karriere beim FC Bayern München ebenfalls an Depressionen litt. Nach einer vorübergehenden Karrierepause zog sich Deisler letztendlich aus dem aktiven Profigeschäft zurück, mit Verweis auf eine Knieverletzung.
Beide Fälle, sowohl der Selbstmord von Enke als auch das Bekanntwerden von Deislers Depression, riefen in der Öffentlichkeit heftige Reaktionen und in den Medien dicke Schlagzeilen hervor. Denn hier war etwas geschehen, was nicht hätte geschehen dürfen, bislang nicht geschehen konnte: Spitzensportler, nationale Ikonen, Symbole von Leistungskraft und Stärke lassen plötzlich eine persönliche Schwäche erkennen. Schließlich gilt gerade der Leistungssport als modernes Heldentum. »Seelische Probleme passen da nicht ins Bild. Als wären die Leistungssportler vor psychischen Störungen gefeit«, erklären Hoyer und Kleinert. Doch hinter den verehrten Sportidolen verbergen sich eben keine göttlichen Ikonen, sondern reale Menschen mit realen Sorgen, realen Befürchtungen und realen Ängsten.
Aus praktischer Sicht fordern Hoyer und Kleinert also einen aktiveren und professionelleren Umgang mit dem Thema »Leistungsdruck im Spitzensport« seitens der Trainer, der Vereine, der Verbände sowie der handelnden Akteure. »Lösungen für dieses Problem lägen in einer größeren Akzeptanz wissenschaftlich bewährter diagnostischer und psychotherapeutischer Methoden und in einer engeren interdisziplinären Kooperation.« Ein hoher Anspruch. Doch wie soll das gehen? Gerade in einem Bereich, den etwa Morris als besonders beratungsresistent beschreibt? In der Trainingsmethoden von Generation zu Generation überliefert werden? In der die Manager, Trainer und Übungsleiter in der Regel selbst dem Fußballkosmos und seiner Sozialisation entstammen? In der innovative wissenschaftliche Ansätze eher als missliebige Eingriffe von außen bewertet werden, als dass ihr befruchtendes Potenzial verstanden wird? In der selbst ein modischer Einteiler, so praktikabel er auch sein mag, für juristische Auseinandersetzungen und internationale Zerwürfnisse sorgt – nur, weil er neu ist und nicht ins gängige Raster passt? Jedenfalls scheint der Lösungsansatz von Hoyer und Kleinert ziemlich optimistisch formuliert…
Im Brennpunkt der Emotionen
Aus einer klein wenig anderen, aber durchaus aufschlussreichen Perspektive beschreibt der Philosoph Wolfgang Neuser das Spannungsfeld, in dem sich der Leistungssportler bewegt. Der Sportler sei Vermittler zwischen Emotionalität und Rationalität, ist Neusers These. Diese doppelte Ausrichtung sei ein charakteristisches Element für die Drucksituation eines Fußballers und zeige, wie sehr der erfolgreiche Spitzensportler in klaren Rollenbildern verhaftet sei. Neuser ist Professor an der Technischen Universität Kaiserslautern und Mitgründer des dortigen Instituts für angewandte Sportwissenschaft.
»Menschen sind beides – rational und emotional«, schickt Neuser voraus. In der modernen Gesellschaft allerdings ist ein hochgradig organisiertes und geplantes Arbeitsleben erkennbar, Rationalität und Effizienz sind also die dominanten Werte. Emotionalität dagegen wird verdrängt, insbesondere in den Freizeitbereich, und beansprucht, dort eben ausgelebt zu werden. Anders formuliert: Die Nachfrage an Rationalität in der modernen Gesellschaft ist gedeckt, es besteht jedoch ein Bedarf an Emotionalität. Dieser Bedarf ist längst erkannt und wird marktwirtschaftlich umgesetzt, etwa in Werbe- und Marketingstrategien.
Sei es die familiäre Geborgenheit, die das Fahrgefühl eines Autos vermittelt, sei es die unbändige Freiheit, die in einem Erfrischungsgetränk steckt oder sei es die große Abenteuerlust, die den Rauch einer Zigarette ausmacht. Längst werden Emotionen verkauft und konsumiert. Nicht zuletzt sind es Musik, Filme oder eben Events, die emotionale Erlebnisse vermitteln und das Publikum in ihren Bann ziehen. Events auch in Fußballstadien. Neuser: »Fußball spricht die Emotionalität der Menschen an.« So schreibt Morris über die Siegerfeierlichkeiten in der Fußballarena: »Überall kommt es zu Ausbrüchen ungezügelter Leidenschaft, so als ob die Symbolik des Spiels verborgene Quellen des Gemeinschaftsgefühls im Menschen aufdecke. Im Brennpunkt dieser Emotion stehen die Spieler.«
Die Spieler also im Brennpunkt der Emotion. Einerseits übt der Spieler einen rational gesteuerten Job aus, muss logische Entscheidungen treffen, muss Verträge mit Vereinen oder Sponsoren abschließen und im Spiel selbst hochkonzentriert zur Sache gehen. Anderseits muss er jedoch Emotionen ausleben und präsentieren. Beispiel Formel 1: Im Rennwagen darf sich Sebastian Vettel keinen Fehler erlauben, keine Schwäche zeigen, muss äußerst rational agieren. Wenn er aber aus dem Auto aussteigt, dann muss er emotional ausdrücken, dass es ihm wert ist, gewonnen zu haben, dann muss er jubelnd gestikulieren. Nur so können sich seine Anhänger in den Erfolg einordnen, werden Teil des Jubels und können Emotionen erleben. Der Sportler lernt also im Laufe seiner Karriere, die Darstellung von Emotionen zu steuern und seine eigenen Emotionen zu präsentieren. Gelehrt wird ihn dies durch die Rückkopplung des Publikums. Denn diese Resonanz wiederum bedingt sein subjektives Empfinden des Erfolgs.
Ähnliches gilt für den Fußballer. Neuser: »Wenn die Fußballer keine wohlanalysierbare, rationale Strategie im Spiel erkennbar werden lassen, dann werden die Zuschauer sauer und pfeifen. Dann zeigen sie den Spielern negative Emotionen, weil sie den Eindruck haben, die Spieler machen ihren Job nicht richtig. Ebenso wären die Zuschauer unzufrieden, wenn die Spieler nur rationale Spielzüge machen würden, ohne dass es Auflösungen in emotionalen Ausdrücken geben würde.« Die Darbietung der Sportler muss also rationalen und emotionalen Erwartungen der Zuschauer entsprechen, um durch deren Jubel belohnt zu werden. Tut sie das nicht, folgen missgünstige Reaktionen der Zuschauer.
Die Spieler finden sich dadurch stetig – mit ungewissem Ausgang – in Situationen, in denen sie mit ihrem Spiel emotionale Spannungen aufbauen. Erst, wenn es aus der Dynamik des Spiels zum Abbruch kommt, zum Einwurf, zum Freistoß, zum Elfmeter, zum Torerfolg oder zum finalen Abpfiff, erst dann führt es zu einer Lösung der emotionalen Spannung, die vorher kontinuierlich aufgebaut wurde. Der Fußballer ist also ständig rationalen und emotionalen Erwartungen ausgesetzt mit dem Druck, diese erfüllen zu müssen. Damit sind die externen Erwartungshaltungen an den Spieler hoch und bieten ihm nur wenig Raum für die Entfaltung individueller Interessen, persönlicher Bedürfnisse und Neigungen.
»Es ist kein Platz für Schwäche in einem Team, das derart erfolgreich ist«, bringt John Amaechi die Perspektive eines Athleten auf den Punkt, nachdem er einen Spielbericht des FC Bayern München im »Aktuellen Sportstudio« verfolgte. Amaechi spielte selbst in der amerikanischen Profi-Basketball-Liga NBA. Im Anschluss an seine Profikarriere bekannte sich Amaechi zu seiner Homosexualität. Gemeinsam mit dem deutschen Fußballer Andreas Biermann, der unter Depressionen litt, sprach Amaechi im November 2010 im »Aktuellen Sportstudio« des ZDF zu Tabuthemen im Spitzensport, zu Homosexualität und deren Verbergen sowie zu Leistungsdruck und versteckter Depression.
»Es liegt in unserer Kultur, dass Männer stark zu sein haben und nicht über Gefühle sprechen«, versucht Amaechi eine Erklärung der Mechanismen in der Wahrnehmung des Leistungssports, in dem Männlichkeit dominiert. Bereits der deutsche Pop-Sänger Herbert Grönemeyer besingt 1984 das Wesen des männlichen Geschlechts wie folgt: »Männer haben Muskeln, Männer sind furchtbar stark.« Aber Grönemeyer weiß gleichzeitig auch: »Männer weinen heimlich / Männer brauchen viel Zärtlichkeit / Männer sind so verletzlich.« Das Bild äußerer männlicher Stärke und wenn überhaupt innerer, verborgener Verletzlichkeit –