bei Schalke zugesagt.
Am Abend des 30. April 1968 greifen Siebert und Co. zum Äußersten, um den Konkurrenten aus Dortmund auszustechen. Schalkes Mannschaftsbetreuer Eduard „Ede“ Lichterfeld holt van Haaren nach dem Nachmittagstraining am Duisburger Vereinsgelände ab, fährt ihn ins schmucke Wohnhaus des Schalker Verwaltungsratsmitglieds Karl-Heinz Lange. In dessen Partykeller harren bereits in froher Erwartung die Herren Siebert und Aldenhoven. Die offizielle Wechselfrist des DFB beginnt am 1. Mai. Dann erst darf unterschrieben werden. Nicht früher, aber aus Schalker Sicht auf keinen Fall später.
An der Kellerbar von Architekt Lange füllen sich die Aschenbecher. Die Luft im holzgetäfelten Raum ist nichts für Nichtraucher. Und damit auch nichts für van Haaren. Doch der 27-Jährige macht gute Miene zum listigen Spiel. Auf seinem Bauch fühlt er die weichen Borsten eines Pinsels. Welch ein Durchhalteszenario, und alles nur seinetwegen. Seine Laune wird noch besser, als Hanna Siebert zur Tür reinkommt. Aus ihrer Handtasche reicht sie ihrem Mann ein Kuvert. Darin 50 Tausendmarkscheine, frisch vom Privatkonto der Sieberts abgehoben. Feierlich blättert der Präsident seinem Neuzugang die Scheine auf den Tisch. Es ist das versprochene Handgeld. Van Haarens feierlicher Vertragsunterschrift steht nichts mehr im Weg. Um Mitternacht ist es endlich so weit. Fünf Stunden haben sie gewartet, bis van Haaren in zwei Sekunden für drei Jahre unterschreibt. Als der Mai gekommen ist, prosten sich alle Partygäste zu. Es lebe die Freiheit und mehr noch der FC Schalke 04! Nur einer verabschiedet sich eilig: Ede Lichterfeld besteigt das Entführungsfahrzeug, um den mit der Anschrift des DFB versehenen Briefumschlag zur Post zu bringen.
Erneut beginnt die Saison nicht gut für Schalke. Zwar verfügt Trainer Brocker mit Klaus Fichtel, Heinz van Haaren, Gerhard Neuser, Aki Lütkebohmert, Reinhard Libuda und dem kurzfristig von Rapid Wien geholten Franz Hasil über erstaunliche spielerische Qualität im Kader. Die gewünschten Ergebnisse aber wollen sich nicht einstellen.
Nach zwei Auftaktniederlagen in Duisburg und zuhause gegen Braunschweig geht die Reise am 31. August 1968 nach Stuttgart. Für Aki Lütkebohmert ist es ein denkwürdiger Tag. Mittags, bei der Abschlussbesprechung in der Höhengaststätte Böhringer im Stuttgarter Stadtteil Rotenberg, kritzelt Günther Brocker die Aufstellung auf die Tafel. Als letzten Namen schreibt er „Lütkebohmert“. Aki zuckt zusammen. Zwar hatte ihn der Trainer am Tag zuvor bereits vorgewarnt, jetzt aber, wo er seinen Namen liest, weiß auf grün, stellt sich spontan ein nervöses Kribbeln in der Magengegend ein. Er soll Linksaußen spielen, wahrlich nicht seine Lieblingsposition. In einigen Vorbereitungsspielen hat es ein paarmal ganz ordentlich geklappt, aber mehr auch nicht.
Brocker ist gezwungen, etwas zu ändern. In der Bild-Zeitung wird vor der Partie bereits sein Kopf gefordert. Als die Besprechung zu Ende geht, ruft Kapitän Erlhoff Brocker entgegen: „Wir werden uns für Sie zerreißen!“ Etliche Mitspieler stimmen ein.
Was die 12.000 Zuschauer dann im Neckarstadion zu sehen bekommen, ist keine fußballerische Offenbarung der Gäste. Besonders der junge Linksaußen tut sich offensichtlich schwer. Eine Halbzeit lang wirkt er wie ein Fremdkörper. Zur Pause steht es 1:0. Brocker schwört die Mannschaft noch mal ein und schnappt sich kurz vorm Rausgehen Lütkebohmert. Libudas Ausgleichstor in der 68. Minute ist Schalkes erster Saisontreffer. Am Ende bringt er auch den ersten Punkt. Aki Lütkebohmert ist nach dem Tor das gewachsene Selbstvertrauen anzusehen. Obwohl sein Auftreten insgesamt viel zu zaghaft war, ist die Schlussphase in Stuttgart ein Fingerzeig. Für ihn und für den Trainer. Der ist hocherfreut über den Spielverlauf und bedankt sich anschließend in der Kabine bei jedem Spieler per Handschlag.
Aki Lütkebohmert ist fortan Stammspieler. Am fünften Spieltag hat er großen Anteil am ersten Saisonsieg. In Bremen gelingt ein überzeugendes 3:1. Aki bringt die Königsblauen in der 21. Minute in Führung und sorgt mit wiederholten Flügelläufen immer wieder für Unruhe im Bremer Strafraum. Nach dem Schlusspfiff stürmt die Mannschaft demonstrativ auf die Aschenbahn, um den nach wie vor stark in der Kritik stehenden Brocker zu umarmen.
Der fühlt sich bestätigt, hat er doch neben Lütkebohmert mit Norbert Nigbur und Herbert Höbusch zwei weitere 20-Jährige aufgeboten. Mit Gerd Kasperski steht gar ein erst 18-jähriger Mittelstürmer auf dem Platz. Schon in der Vorsaison hatte Brocker Sieberts Gedanken intensiver Nachwuchsarbeit forciert. Erstmals ist auf Schalke von einem Jugendinternat die Rede.
Als im Anschluss daran in der Glückauf-Kampfbahn ein 4:1-Sieg gegen den Erzrivalen aus Dortmund gelingt, scheinen Schalke und Brocker die Kurve zu kriegen. Der Schein trügt. Die Jugend inklusive Lütkebohmert hält – noch – nicht, was sie verspricht. In den folgenden neun Begegnungen hagelt es sechs Schlappen. Im November sind es gleich drei hintereinander: bei 1860, zuhause gegen den HSV und in Aachen.
Am Sonntag nach der Niederlage am Tivoli ist Schluss mit lustig. Am 17. November 1968, fast auf den Tag genau ein Jahr nach der Entmachtung von Karl-Heinz Marotzke, steht der Verein auch mit seinem Nachfolger wieder da, wo er nie mehr stehen wollte – auf einem Abstiegsplatz. Der Vorstandsbeschluss ist schnell gefasst. Die Trennung von Brocker erfolgt einvernehmlich.
Eine zweiwöchige Länderspielpause verschafft Siebert Handlungsspielraum bei der Suche nach einem Mann, der endlich das Ruder herumreißen soll. In der Zwischenzeit schlüpft Siebert selbst in den Trainingsanzug, leitet die Trainingseinheiten mit Hilfe eines weiteren Kumpels aus der Meistermannschaft von 1958, Berni Klodt. Den hat Siebert zuvor zum Leiter der Jugendabteilung gemacht.
Rudi Gutendorf soll Brocker folgen. Das zumindest ist der Wunsch von Siebert und Schatzmeister Aldenhoven. Doch der Wandervogel der Trainergilde, zuletzt in den USA bei den St. Louis Stars beschäftigt, ist nicht unumstritten. In einer Kampfabstimmung von Vorstand und Verwaltungsrat fällt die Entscheidung pro Gutendorf. Der Neue, der eigentlich ab Mai 1969 bereits als Nationaltrainer Mexikos eingeplant ist, unterschreibt bis zum Saisonende – für stattliche 6.000 Mark Grundgehalt. Ein Topverdienst für einen Bundesligatrainer. Aber „Riegel-Rudi“, wie er aufgrund seiner in Duisburg praktizierten Defensivtaktik genannt wird, ist sein Geld wert. Gleich im ersten Testspiel gegen den österreichischen Erstligisten Schwarz-Weiß Bregenz setzt die Mannschaft vieles um, was der Trainer verlangt. Beim 7:1 ragt besonders Aki Lütkebohmert heraus, auch wegen seiner drei Tore.
Vier Tage später jedoch, bei Gutendorfs Punktspielpremiere, ist der Junge aus Heiden ein Totalausfall. Wieder hängt er als Linksaußen völlig in der Luft, wirkt bei seinen wenigen Aktionen saft- und kraftlos. Die Mannschaft verliert bei Hertha BSC 0:1. Die erste Aufbruchstimmung ist dahin.
Doch Gutendorf lässt sich nicht beirren. Er hat in Berlin gute Ansätze gesehen. Und auch bei Aki weiß er schnell, wo er den Hebel ansetzen muss. Ein paar Tage später besucht der Trainer den jüngst zum Wehrdienst Berufenen an dessen Standort in Borken. Gutendorf schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. Auch Norbert Nigbur leistet in der Kaserne im Münsterland seinen Grundwehrdienst, wie Aki als Funker. Doch während der Torwart von Beginn an wegen Knieproblemen geschont, Wochen später sogar ausgemustert wird, trägt Aki – im wahrsten Sinne des Wortes – schwer an seinem Schicksal. Die stundenlangen Nachtmärsche mit reichlich Gepäck absolviert er klaglos. Er hält die Bundeswehr für eine sinnvolle Einrichtung. Da gilt es, sich ein- und unterzuordnen. Eine Extrawurst will er nicht gebraten bekommen. Und da die Zeiten der Sportförderkompanien noch nicht angebrochen sind, kriegt Aki das volle Programm. Was ihm bei seinen Kameraden, darunter viele Schalke-Fans, zu immenser Beliebtheit verhilft. Auf dem Platz, dem Fußballplatz, aber hat es den Anschein, als schleppe er das unsichtbare Gepäck auch in kurzen Hosen mit sich herum.
Dennoch, der Besuch des Trainers baut ihn auf. Gutendorf versichert ihm, dass er weiter auf ihn zähle, auf Dauer fest mit ihm plane. Und in der Tat, trotz der Doppelbelastung spielt er in seiner ersten Bundesligasaison 26-mal, davon 19-mal von Beginn an. Eingewechselt wird er lediglich in den letzten Spielen der Saison, als die Kräfte vollends schwinden. Nicht nur bei Lütkebohmert arbeitet Gutendorf mit unkonventionellen Mitteln. Der Mann ist hart, aber gerecht, kommunikativ und doch stets unberechenbar.
Heinz van Haaren, den Gutendorf bereits aus gemeinsamen Zeiten in Marl-Hüls und Duisburg kennt, lässt er, je nach Gegner, Libero, linken Verteidiger oder im Mittelfeld spielen. Aki Lütkebohmert pendelt zwischen Mittelfeld und Linksaußen. Stan Libuda macht er zum Kapitän, gegen seinen Willen. Libuda betrachtet er als sein größtes Sorgenkind