wäre das schon eine ziemliche Neuerung. Eine Revolution wäre es aber noch nicht. Auch wenn wir uns entscheiden, statt der Autobahn die Nebenstraßen zu nutzen, ist das noch wenig revolutionär. Denn alle diese Wege sind bereits vorhanden und gangbar – auch wenn nicht alle legal nutzbar sind.
Um eine Revolution zu erleben, müssen wir etwas Neues denken und »bauen«. Das wäre dann der Fall, wenn du mit deinem Auto einfach gar keine Straße mehr nutzt. Stattdessen fliegst du über die anderen Verkehrsteilnehmer hinweg. Ich meine nicht mit dem Flugzeug – sondern mit dem Auto, das bisher immer mit den Reifen den Boden berühren musste, um ans Ziel zu kommen. Bisher können wir so ein Auto noch nicht in der dritten Dimension nutzen. Aber wir können uns das vorstellen. Schau dir Science-Fiction-Filme wie »Star Wars« oder »Blade Runner« an. Da sind fliegende Autos völlig normal. Der Gedanke ist also gar nicht so abwegig. Oder noch viel kleiner – denk an das Buch »Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt«, das der Sylter Autor Boy Lornsen bereits 1967 geschrieben hat. Sein »Fliewatüüt« kann FLIEgen, auf dem WAsser fahren und auf einer Straße TÜÜTen, wenn es auch etwas langsamer ist als die meisten Autos. Jeder Entwicklung geht ein revolutionärer Gedanke voraus. Ich bin sicher, dass wir langfristig für Autos gar keine Straßen mehr brauchen. Und das nur, weil wir zugelassen haben, dass wir das bestehende Prinzip durch ein revolutionäres Mindset weiterentwickeln. So beginnt Veränderung.
ÜBRIGENS: Die Firma Bosch hat für das Thema »Urban Air Mobility«, also für Luftmobilität in Städten, sogar eine eigene Abteilung. Deren Leiter, Marcus Parentis, sagt: »Flugautos wie im Film ›Blade Runner 2049‹ sind technisch schon heute möglich. Die ersten Flugtaxis sollen ab dem Jahr 2023 abheben und zwischen vordefinierten Start- und Landeplattformen hin- und herfliegen.«2 Ein schönes Beispiel dafür, was alles passieren kann, wenn wir revolutionär denken.
»Revolutionär denken, evolutionär umsetzen«
Vor einiger Zeit durfte ich ein Interview mit dem großartigen Götz Werner führen. Falls du ihn nicht kennst, sein Vermächtnis kennst du auf jeden Fall. Er ist der Gründer der Drogeriemarkt-Kette dm und gilt seit jeher als revolutionärer Vordenker und Visionär. Von ihm stammt das Zitat »Revolutionär denken, evolutionär umsetzen«. Er ist auch seit Jahrzehnten ein Anhänger des bedingungslosen Grundeinkommens für jeden. Lange Zeit galt diese Idee als Utopie, als nicht finanzierbar und aus vielen anderen Gründen nicht umsetzbar. Aber nie waren wir dieser Idee so nahe wie heute. Ich glaube, in zehn Jahren werden wir darüber nicht mehr sprechen müssen. Dann wird dieses Grundeinkommen für jeden von uns ganz normal und alltäglich sein.
Du fragst dich jetzt sicher, warum ich dir das erzähle? Ich möchte dir damit die Angst vor revolutionären Gedanken und Zielen nehmen. Die sind wichtig. Denn ohne diese Art des Denkens kommen wir nicht weiter. Und es bedeutet noch lange nicht, dass du eine mentale Revolution auch gleich revolutionär umsetzen musst. Keiner zwingt dich dazu, in Denkgeschwindigkeit in die Umsetzung zu gehen. Ja, wir müssen in uns selbst und in unserem Denken revolutionär und transformativ sein, um neue Bilder und Denkwelten aufzumachen. Aber natürlich können wir uns in diese vorgestellte Welt nicht beamen. Der Weg dorthin kann auch evolutionär – also Schritt für Schritt – stattfinden.
Hab keine Angst vor revolutionären Gedanken!
Ein Beispiel: Ich möchte jemandem das Tennisspielen beibringen, der es überhaupt nicht kann. Der braucht dann drei Schritte, um es wirklich zu lernen.
Schritt 1: Kontrolle
Ich zeige ihm, wie er den Schläger richtig hält, bringe ihm die Grundbewegungen bei und er lernt, wie er den Ball fünf-, zehn-, 15-, 20- oder 30-mal übers Netz spielen kann. Dabei geht es um die Ballkontrolle. Wenn er diesen Schritt beherrscht, gehen wir über zu:
Schritt 2: Richtung
Ich bringe ihm bei, wie er die Richtung, in die der Ball fliegt, verändern kann, zeige ihm, wie er Longline oder Cross spielen kann – links, rechts, hoch, flach, kürzer oder länger. Nun beherrscht er die Richtung.
Warum in dieser Reihenfolge? Weil du, wenn du keine Ballkontrolle hast, aber die Richtung verändern möchtest, schnell ins Schleudern kommst. Das ist wie beim Autofahren. Wenn ich keine Kontrolle über mein Auto habe und die Richtung verändern möchte, dann kommt mein Fahrzeug ins Schleudern.
Das passiert leider auch in vielen Unternehmen, wenn sie Entwicklungen verschlafen oder auch absichtlich ignorieren. Erinnerst du dich an die Pleite des Reiseveranstalters Thomas Cook? Hier hatte ich einen guten Einblick. Denn das Unternehmen buchte mich vor einigen Jahren, um Mitarbeitern die Themen Veränderungsbereitschaft und -lust schmackhaft zu machen. Es ging also um einen Mindsetwechsel. Der Konzern wollte und musste digitaler werden, im Internet präsent sein und einiges mehr. Dann war die Insolvenz da. Ein Grund: Thomas Cook hat die Konkurrenz im Netz wie zum Beispiel Booking.com oder auch Airbnb komplett unterschätzt. Sie hatten mich gebucht, aber all das, was ich vermitteln sollte und vermittelt habe, haben sie nicht umgesetzt. Das ist sicher nicht der einzige Grund für die Pleite. Dafür mussten viele strategische Fehler begangen werden und auch die politische Lage war für ein britisches Unternehmen in Zeiten des Brexits schwierig. Aber diese Veränderungsverweigerung spielt auf jeden Fall eine Rolle. Thomas Cook hat sein Geschäftsmodell einfach nicht in die neue Zeit gebracht. Das Unternehmen war nicht in der Lage, die Richtung zu wechseln, ohne ins Schleudern zu geraten.
Schritt 3: Geschwindigkeit
Ich bringe dem Spieler bei, wie er schneller spielt und schneller Punkte macht, weil er dem Gegner die Bälle schneller um die Ohren schlägt. Mit der Erhöhung der Geschwindigkeit steigt aber auch das Risiko. Also, je höher das Tempo, desto schneller kann auch ein Fehler passieren.
Die Leute wollten früher oft gleich auf Geschwindigkeit spielen. Sie wollten zum Beispiel sofort Millionär sein, sofort alles umsetzen. Das kann aber nicht funktionieren. Wir brauchen trotz aller revolutionärer Gedanken ein evolutionäres Umsetzen. Wir brauchen zunächst die Kontrolle – strukturelle Kontrolle, mentale Kontrolle, emotionale Kontrolle. Wir müssen uns selbst erst einmal verstehen, verstehen, wie Menschen funktionieren. Dann können wir die Richtung ändern. Das kann ruhig auch gleich sehr deutlich und radikal vonstattengehen. Aber es geht nur mit Kontrolle. Dann können wir Geschwindigkeit aufnehmen. Diese Reihenfolge solltest du stets einhalten. Dann kannst du revolutionäres Denken evolutionär umsetzen.
Keine radikale Veränderungen ohne Kontrolle.
Umgekehrt funktioniert es übrigens nicht. Das ist ein Fehler, der vielen noch zu häufig unterläuft. Sie denken evolutionär, wollen dann aber revolutionär handeln. Wie soll das gehen?
Das Gegenteil von Revolution
Klar, manchmal zwingt uns die Geschwindigkeit, in der sich das Leben und die Bedingungen um uns herum verändern, dazu, auch gleich in die revolutionäre Umsetzung zu gehen. Die funktioniert aber eben nur dann, wenn wir bereits revolutionär denken.
Ich bin zum Beispiel der Überzeugung, dass wir um die Revolution unserer gesellschaftlichen Systeme nicht herumkommen. Das ist ein klassisches Beispiel dafür, dass es uns zu schnell geht, dass wir eine Veränderung als zu radikal empfinden. Geht’s dir auch so? Ja, es wäre schön, wenn wir mehr Zeit für die Umwälzung dieser Systeme hätten und ganz in Ruhe etwas Neues erschaffen könnten. Aber Megatrends, Pandemien und viele weitere Entwicklungen in unserer Welt lassen das heute einfach nicht mehr zu. Die Evolution würde wieder nur eine langsame, schrittweise Erneuerung bedeuten. Dafür sind die Umbrüche heute aber zu schnell und zu drastisch. Um Schritt halten zu können, müssen wir also schneller sein. Deshalb brauchen wir die radikale Erneuerung.
Evolution halte ich eher für das Gegenteil von Revolution. Ich verstehe natürlich, dass du’s gerne