Heinrich Mann

Die Jugend des Königs Henri Quatre


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      Sie befahl diesem Hauptmann noch weiteres, aber dabei ließ sie ihn nahe zu ihrem Stuhl treten und sprach leise. Infolgedessen wurden in ihrem Vorzimmer die sechs Wachskerzen ausgelöscht, und auf die Treppen ergoß diese Nacht keine der großen Laternen aus Leinen ihren gesiebten Schein. Es hatte zwölf geschlagen, da stieg, von einem Fackelträger begleitet, eine vermummte Gestalt hinan zum Schlafzimmer der alten Königin, trat ein, schloß aber die Tür erst, als der Offizier sich entfernt hatte. Dann öffnete Karl der Neunte seinen Mantel. Seine Mutter saß am Fleck wie seit Stunden, sie wendete ihm das große alte Gesicht zu, das Licht flackerte schräg darüber hin, und ihr Sohn erschrak.

      „Ich habe dich rechtzeitig gerufen, mein Sohn, auch war es nötig, daß du bei Nacht eintrafst. Es ist so weit, daß wir handeln müssen. Lies diese Briefe!“ Sie schob sie ihm hin. Karl buchstabierte in ihnen, schon schlug er mit der Faust auf den Tisch. Sein Gesicht aber zeigte nicht nur Wut, sondern noch mehr Furcht. Der mißtrauische Blick kam, wie seit jeher, schräge. Katharina dachte: ,Ein schlechterhaltener junger Mann. Wie gut, daß ich noch zwei Söhne habe! Der nächstfolgende liebt die Knaben: ich werde die einzige Frau sein, die ihn beherrscht. Der letzte ist ein Querkopf, auf ihn muß ich aufpassen, damit er nichts gegen mich tut.‘

      „Ich denke immer an dein Wohl, mein Sohn“, sagte die alte Frau. „Du hast in Blois bei deiner Freundin zuviel des Guten getan: jetzt brauchst du sehr nötig die bewährte Kraft deiner Mutter, damit wir deinen Thron retten.“

      „Schlag sie tot! Schlag sie tot!“ keuchte Karl, dem die Adern unheilvoll anschwollen. Sein Gesicht war weniger fett als aufgetrieben, und es wurde bedeckt von einem gestutzten, undichten Bart. Über die Oberlippe hing dieser in rötlichen Strähnen, die Unterlippe aber; sonst aus Abneigung gegen die Welt fest angedrückt, fiel jetzt herab, weil der arme Mensch große Angst litt. Bei „Schlag sie tot!“ stieß er unbeherrscht den Kopf ans der gestärkten Halskrause hervor, wobei in seinen großen Ohren die beiden dicken Perlen schaukelten und schimmerten.

      Die alte Frau sagte: „Der Herr Admiral, den du deinen Vater nennst —. Aber nenn ihn nur so, das täuscht ihn. Der Empörer bedroht mich ganz offen, und seine armselige Ziegenkönigin hat mir ins Gesicht gesagt, daß sie mich nicht fürchtet. ,Ich weiß, daß Sie keine kleinen Kinder fressen‘, so hat sie sich ausgedrückt. Aber ich versichere dir, daß die Pyrenäenziege es nicht im geringsten weiß. Zum Beispiel, sie selbst hat Kinder, und die denke ich allerdings zu verzehren. Das kleine Mädchen hat diesen rührenden Brief geschrieben, und der Junge soll ihn richtig bekommen. Um so sicherer wird sein ritterlicher Sinn und Mut ihn herführen, dann aber dient er mir als Lockvogel für alle die gefährlichen Hugenotten. Paris wimmelt schon jetzt von ihnen, aber im Gefolge ihres munteren Prinzen werden erst recht viele von ihnen hier einrücken.“

      Sie hatte die Stimme vollends gesenkt, sie flüsterte nur noch. „Dann haben wir sie. Alle Gascogner Schreier werden zusammen nur noch einen Hals haben: der ist leicht abzuschneiden. Still!“ herrschte sie ihn an, denn Karl wollte wieder loslegen: Schlag sie tot! Es war ihm anzusehen. Indessen auch Madame Catherine war im Geist über einen Abgrund gespannt, unwissend, ob die Tat den Gedanken jemals nachfolgen sollte. Sie erinnerte sich, langsam und Wort für Wort:

      „Der Herzog von Alba sagte mir einst: Zehntausend Frösche sind noch kein Lachs‘, und ich erwiderte ihm: ,Sie können mit dem Lachs zwei Personen meinen.‘ “

      Sie sah ihn lange und aufmerksam an, obwohl sie nur seinem Seitenblick begegnete. „Allerdings sind auch wir nur zwei“, äußerte sie plötzlich, ließ auf einmal wieder ihre fette, behäbige Stimme hören. Darüber erschrak er dermaßen, daß er, in der Absicht, nach einem nicht vorhandenen Stuhl zu greifen, sich vor sie hin auf den Boden setzte. „Bleib ruhig sitzen!“ sagte seine Mutter, und von jetzt an sprach sie ihm unmittelbar ins Ohr — so lange, daß der Maimorgen hinter den Vorhängen schon dämmerte, als der König fortging von Madame Catherine.

      Um nicht mehr fahl auszusehen

      Der Offizier mit der Fackel zeigte sich an der Ecke, er hatte dort hinten gewartet die ganze Nacht — wenn er nicht vielmehr an der Tür gehorcht hatte. Karl folgte ihm voll Haß und Furcht. Der Hauptmann brachte ihn in sein Schlafzimmer, die Wache im Vorzimmer weckte er mit scharfem Anruf, bis die Leute von den Bänken aufsprangen und ihre Hellebarden niederstießen. Karl prüfte aus den Augenwinkeln alle Mienen, eine nach der andern, wie das Licht der Fackel sie hloßlegte. Dann ging er zu Bett.

      Aber er konnte nicht einschlafen: Gesichter erschienen hinter seinen Lidern — Feinde, Feinde, und dazwischen die zuletzt erblickten, seine eigenen Leibwächter. Einmal glaubte er, die Tür sich öffnen zu sehen — peinigend langsam, bis er bemerkte, daß seine Augen geschlossen waren. Dann blinzelte er vorsichtig: nichts, als nur das schwache Flackern eines Dochtes, der im Öl schwamm. Karl ertrug nicht länger diese Nacht, er verließ sein Lager, mit scheuen Bewegungen drückte er sich durch einen Nebenausgang, gelangte auf Umwegen zu seinem eigenen Vorzimmer, er war im Nachtgewand. Seine Leibwächter schliefen ringsum auf den Bänken, in der Mitte aber stand aufrecht der Hauptmann mit verschränkten Armen, und der unerwartet aufgetauchte Karl überraschte ihn bei einem viel zu tiefen Blick. Den haben nur Verschwörer! Der Mensch bekam auch sogleich eine ganz leere Miene, als er sich entdeckt sah; immer verdächtiger machte er sich seinem König. Dieser blieb halb draußen, und zuerst sah er sich um, als ob Hilfe nahe wäre. Dann flüsterte er durch die gerundeten Hände:

      „Amaury, auf dich verlaß ich mich, du bist mein Freund. Als aber das Licht deiner Fackel deinen Leutnant traf, da erkannte ich einen Verräter. Mach Streit mit ihm, und daß ich ihn nie wiedersehe! Geh voran in den Höf! Ich schicke ihn dir.“

      Der Hauptmann gehorchte; jetzt flüsterte Karl mit dem vom Schlaf erwachten Leutnant. Er empfahl ihm, den Raufhandel nicht erst abzuwarten. „Gleich zustoßen! Nachher aber schrei, als ob er dich angegriffen hätte!“

      Hierauf schlich er zurück in sein Schlafzimmer und kam erst wieder hervor, als die Soldaten laut durcheinanderriefen. „Was geht hier vor! Platz für mich!“ befahl er überaus herrisch, obwohl im Nachtgewand. Die Leute hinter ihm schwiegen, Karl beugte sich, vom Morgenwind und seinen Gefühlen fröstelnd, über die gewundene Treppe. In einem grauen Stück Tag lag tief dort unten ein Körper hingestreckt. Daneben fuchtelte jemand und schrie Mordio. Hinter Karl sagte die gelassene Stimme seiner Mutter: „Der Mensch soll still sein und heraufkömmen.“ Karl bemerkte erst jetzt, daß sie die Soldaten schon fortgeschickt hatte. Er gab dem Mörder dort unten ein Zeichen. Inzwischen erfuhr Madame Catherine durch mehrere kurze Fragen, was ihr schwerfälliger, aber ungebärdiger Sohn angestellt hatte.

      „Ligneroles“, redete sie den jungen Menschen an, als sein Kopf über der Treppe erschien, „Sie haben dem König einen guten Dienst erwiesen.“

      „Es ist gern geschehen, Madame“, leichtherzig sagte der junge Mann es. Er erwies sich alsbald als redselig. „Hauptmann Amaury war ein heimlicher Hugenott, wußten Sie es nicht, Madame? Ihre Pläne gegen seine Partei, er hatte sie erraten, er war sehr erregt vorhin, und durch ihn weiß auch ich, seit heute nacht, von dem, was bevorsteht. Ich bin dabei! Mit Freuden! Das soll mal eine fröhliche Schlächterei werden!“

      Karl der Neunte, dies hören und schlottern in seinem Hemd. Er mußte sich anlehnen. Nur gut, daß der junge Ligneroles vor ihm stand und daß Madame Catherine sie beide sicher im Auge behielt. Sie sprach behäbig und fett: „Heute haben Sie sich bewährt und verdienen eine Stärkung, kommen Sie, junger Mensch!“ Watschelnd führte sie ihn in ihr Schlafzimmer, öffnete einen niedrigen, breiten Schrank, der außen mit großen, eckigen Kegeln bewehrt war, und schenkte Wein ein.

      „Jetzt aber gehen Sie schlafen“, sagte sie, als Ligneroles sein Glas ausgetrunken hatte und auf einmal völlig erschöpft aussah. „Heute haben Sie dienstfrei“, bemerkte sie freundlich, aber er verstand sie wohl nicht mehr, er taumelte hinaus. Sie blickte ihm nach bis zur Treppe, die er ganz plötzlich, steif und mit dem Kopf voran, hinunterfiel. Dann schloß Katharina von Medici befriedigt die Tür.

      „Er hat sich den Hals gebrochen“, erklärte sie behaglich. „Es war auch angezeigt, damit du wieder deine roten Wangen bekommst, mein Sohn. Das ist vorbei. Gewiß