Morgenstunde war rosig mit Tönen von Orange in dem Garten zu Nérac, wo sie Henri Navarra überraschte, da er sich noch immer nicht trennen konnte von Fleurette, der siebzehnjährigen Tochter des Gärtners.
„Du mußt gehen, mein Liebling. Schon steht mein Vater auf: Wenn er dich hier sieht, was wird er denken?“
„Nichts Böses, mein Herz. Ein treuer Diener meiner Mutter kann nicht glauben, daß ich ihn kränken will.“
„Und du kränkst ihn auch nicht, wenn du mich liebhast.
Du wirst nur mich sehr kränken durch deine Abreise.“
„Ein Prinz aber muß immer durch das Land reiten, einmal in die Schlacht und das andere Mal —“
„Wohin das andere Mal?“
„Das brauchst du nicht zu wissen, Fleurette. Es würde dich nicht glücklicher machen, und wir beide sollen zusammen glücklich sein, so lange, bis wir nicht mehr zusammen sein sollen.“
„Ist es wahr? Du bist glücklich bei mir?“
„So sehr war ich es noch nie! Hab ich denn schon einen solchen Tag aufgehen sehen? Er ist schön wie deine Wangen. Ich werd ihn nie vergessen. Keine einzige von all den Blumen hier kann mir je aus dem Gedächtnis entschwinden.“
„Der Morgen ist kurz, und bald verblühen auch die Blumen. Ich bleibe da und warte. Wie weit du reiten magst und Was dir alles begegnet, erinnere dich meiner — und der kleinen Kammer, in die der Garten duftete, während wir uns liebten, und meines Mundes, den du —“
„Fleurette!“
„Jetzt geküßt hast das letztemal. Und geh, sonst werden sie dich fortholen von mir, aber ich will nicht, daß andere deinen Abschiedsblick sehen!“
„Dann versenken wir unseren letzten Blick in den Brunnen. Komm, Fleurette! Deinen Arm um meinen Hals! Meinen um deine Hüfte! Jetzt sehen wir gemeinsam hinunter in den Wasserspiegel, darin begegnen sich unsere Augen. Du bist siebzehn Jahre, Fleurette.“
„Du achtzehn, lieber Knabe.“
„Aber wenn wir ganz alt sein werden, dieser Brunnen weiß von uns auch dann noch, und selbst bis über unsern Tod.“
„Henri, ich kann dein Gesicht nicht mehr sehen.“
„Auch deines trübt sich dort unten, Fleurette.“
„Aber einen Tropfen hörte ich fallen. Das war eine Träne. Ob es wohl deine war oder meine?“
„Unsere Träne“, sagte seine schon von ihr entfernte Stimme: noch trocknete sie ihr Gesicht. „Fleurette!“ war sein letzter Ruf: da war er ganz verschwunden, und sie fühlte wohl, er hatte nicht mehr wirklich sie selbst gemeint; er schickte nur den Namen einer vergangenen Stunde in die kommende, die ihr unbekannt blieb und worin der schwache Name sich bald verlieren sollte.
Henri stieg zu Pferd. Der Maienwind kühlte angenehm seine große grade Stirn, die wenig eingesenkten Schläfen, und legte Wellen in seine dunkelblonden Locken. In der Kammer des Mädchens hatte er die Haare nicht an den Kopf kleben können, so formten sie sich nach ihrer Natur. Seine sanften Augen bewahrten noch hundert Meter weit die Spuren des Abschieds, dann hatte der Ritt sie aufgehellt. Seine Lippen umfaßten eine Blume: es war noch immer Fleurette. Als er zu seinen Begleitern stieß, entfiel ihm die Blume.
Fleurette dort hinten, Tochter eines Gärtners und siebzehnjährig, ging an ihre tägliche Arbeit. Sie tat es noch zwanzig Jahre lang, dann starb sie: da war ihr Geliebter ein großer König. Sie hatte ihn niemals wiedergesehen, oder nur als den hohen Herren, der einmal nach dunklen Schicksalen zurückgekehrt war in seine heimische Stadt Nérac, um hier wieder glücklich zu sein, aber diesmal mit anderen. Wie kam es, daß dennoch alle sagten, sie sei um seinetwillen gestorben? Mit der Zeit verlegten sie ihren Tod sogar zurück auf den Tag, als er sie verlassen hatte, und erzählten, damals habe sie sich in den Brunnen gestürzt: derselbe Brunnen, über den die beiden, siebzehn und achtzehn Jahre alt, einst geneigt gewesen waren. Woher die Rede? Es hatte doch keiner ihnen zugesehen.
Jesus
Noch ritt Henri durch das Land, wie ein Prinz es muß, den Schlachten entgegen, oder weil er heiraten soll. Henri von Navarra sollte Marguerite von Valois heiraten und mußte aus seiner Gascogne bis nach Paris reiten, aber er hatte harte Schenkel. Sie saßen vierzehn Stunden und länger im Sattel, wenn es ihnen darauf ankam, achteten auch auf die Gesundheit ihres Pferdes, da sie nicht immer Geld hatten für ein anderes: sie hätten es denn von einer Weide mitgenommen.
Vornweg, aber immer umgeben von anderen, ritt Henri, und dann folgten viele. Allein war er nie. Man war nie allein, man lebte im Getrappel und im Dunst der Tiere, sowie im Geruch der eigenen Leiber, die erwärmtes Leder, feuchtes Tuch trugen. Nicht nur der Schimmel trabte mit ihm dahin, sondern der ganze geschlossene Haufe gleichgesinnter Abenteurer, fromm und verwegen, versetzte den Reiter schneller als anzunehmen, ja, wie ein verzaubertes Gefährt versetzte ihn der berittene Haufe von Dorf zu Dorf. Die Bäume blühten weiß und rot, vom blauen Himmel wehte weiche Luft, die jungen Abenteurer lachten, sangen, stritten. Manchmal saßen sie ab, verschlangen viel Brot, der rote Wein stürzte sich in ihre Kehlen, ihnen verwandt wie Luft und Erde. Die Mädchen mit der goldigen Haut kamen von selbst und setzten sich auf die Knie der Jungen mit braunen Wangen. Die Jungen brachten die Mädchen zum Kreischen oder Erröten, die einen mit einem schnellen Griff, die anderen durch selbstgemachte Verse, und die waren ebenso dreist. Unter sich, im Reiten, sprachen sie oft von der Religion.
Alle um Henri waren kurz vor oder nach dem zwanzigsten Jahr, alle aufsässig, voll Widerspruch gegen die Einrichtungen der Welt und gegen die Mächtigen. Diese hatten sich, ihnen zufolge, Gott entfremdet. Gott meinte alles anders als sie, er war gesonnen wie diese Zwanzigjährigen. Daher waren auch alle ihrer Sache ganz sicher und fürchteten selbst den Teufel nicht, um so weniger aber den Hof von Frankreich. Unterwegs, solange sie noch im Süden waren, traten alte Hugenotten ihnen in den Weg, erhoben beide Hände und beschworen den Prinzen von Navarra, sich vorzusehen. Er kannte es längst, sie waren mißtrauisch durch zahlreiche Erfahrungen. „Aber, liebe Freunde, das wird jetzt alles ganz anders. Ich heirate die Schwester des Königs. Ihr sollt die Glaubensfreiheit haben, mein Wort darauf!“
„Wir stellen die Freiheit her!“ riefen die Reiter ringsum und hinten.
„Die Selbstherrlichkeit des Volkes!“
„Das Recht! Das Recht!“
„Ich sage: die Freiheit!“
Dies war das stärkste ihrer Worte. Damit versehen und gerüstet, ritten sie im Haufen nach Norden. Viele, vielleicht die Mehrzahl, verstand es einfach so, daß sie in der Macht und den Genüssen ablösen wollten alle, die jetzt nach ihrer Meinung frei waren. Henri begriff sie durchaus, er erkannte diese Art Menschen in der Menge und liebte sie ziemlich, mit ihnen war leicht leben. Seine Freunde indessen waren nicht sie. Freunde sind schwierigere Wesen, der Verkehr mit ihnen ist sowohl gespannter als unsicherer, und er nötigt immer wieder dazu, sich zu verantworten.
„In summa“, sagte Agrippa d’Aubigné, während sie im Haufen ritten: „Du bist weiter nichts, Prinz, als was das gute Volk aus dir gemacht hat. Deswegen kannst du dennoch höher sein, denn das Geschaffene ist manchmal höher als der Künstler, weh aber dir, wenn du ein Tyrann würdest! Gegen einen offenkundigen Tyrannen haben sogar die unteren Beamten alles Recht von Gott.“
„Agrippa“, erwiderte Henri, „wenn du recht hast, bewerbe ich mich um eine untere Beamtenstelle. Nun sind dies aber Spitzfindigkeiten von Pastoren, und ein König bleibt ein König.“
„Sei froh, daß du nur der Prinz von Navarra bist!“
D’Aubigné war klein, er ragte nicht einmal so hoch über den Kopf des Pferdes wie Henri. Beim Reden gebrauchte er eifrig die Hand, die lange Finger und einen gekrümmten Daumen hatte. Sein Mund war groß und spöttisch, die Augen neugierig: ein weltliches Geschöpf, aber schon mit dreizehn Jahren hatte er standgehalten, als sie ihm seinen protestantischen Glauben nehmen wollten,