sagte Danny, während er das Besteck in die Schublade mit dem Besteckkasten räumte.
»Sie tun weitaus mehr, als sie tun müssten, Daniel. Sie dürfen sich ruhig hin und wieder loben lassen«, widersprach ihm Lydia.
»Auf jeden Fall«, stimmte Sophia ihr zu.
»Gut, dann nehme ich das mal so hin«, sagte Danny.
Ein paar Minuten später verabschiedeten sie sich voneinander. Sophia und Lydia verließen die Praxis, und er ging hinüber in seine Wohnung. Nachdem er sich umgezogen und etwas gegessen hatte, setzte er sich ins Wohnzimmer, um eine seiner Fachzeitschriften über die neuesten Entwicklungen in der Medizin zu lesen. Kaum hatte er die Zeitschrift aufgeschlagen, rief Viktor an.
Viktor, der die Leitung der chirurgischen Abteilung einer Privatklinik in der Nähe von Innsbruck übernommen hatte, hatte mit ihm zusammen studiert. Sie waren sich vor Kurzem wieder begegnet und hatten ihre alte Freundschaft erneuert. Um sich nicht noch einmal aus den Augen zu verlieren, hatten sie vereinbart, regelmäßig miteinander zu telefonieren.
Dass Viktor plante, mit Carolina, Valentinas Nichte, zusammenzuziehen, freute ihn. Viktor hatte die junge Ernährungsberaterin während eines Besuches bei ihm kennengelernt, sich in sie verliebt und ihr eine gut bezahlte Stelle an seiner Klinik vermittelt. Nachdem Danny zwei Stunden mit Viktor telefoniert hatte, widmete er sich wieder seiner Zeitschrift. Als ihm während des Lesens die Augen zufielen, beschloss er, schlafen zu gehen. Vor dem Einschlafen dachte er an Olivia, so wie fast jeden Abend, seitdem er ihr begegnet war. Falls diese Verabredung am Sonntag, von der sie und Ophelia gesprochen hatten, das bedeutete, was er vermutete, sollte er umgehend damit aufhören. An eine Frau zu denken, die längst vergeben war, konnte nur in Seelenqualen enden.
*
Als Danny am nächsten Morgen in die Praxis kam, lagen die Laborergebnisse der Blutproben des Vortages bereits vor. Das Labor hatte die Auswertungen wie immer per Mail geschickt, und Danny konnte sie sich vor Beginn der Sprechstunde ansehen. Die meisten Werte lagen im Normbereich. Bei einigen Patienten gab es leichte Abweichungen, nichts Dramatisches. Bei Reinhold Eberholz waren die Entzündungswerte der Leber allerdings alarmierend. Er sah auf dem Patientenblatt nach, das im Computer gespeichert war, ob er eine Telefonnummer hinterlassen hatte, auf der er tagsüber zu erreichen war. Reinhold hatte seine Handynummer eintragen lassen.
»Daniel Norden, guten Morgen, Herr Eberholz«, meldete sich Danny, nachdem Reinhold das Gespräch angenommen hatte.
»Guten Morgen, Doktor Norden, sollte ich nicht Sie anrufen, wegen meiner Ergebnisse?«, wunderte sich Reinhold über Dannys Anruf.
»Das ist richtig, so hatten wir es vereinbart. Aber Ihre Werte bereiten mir große Sorgen. Sie leiden an einer massiven Entzündung der Leber, und sollten sich unbedingt in einem Krankenhaus untersuchen lassen, am besten stationär.«
»Ich gehe nicht ins Krankenhaus, auf keinen Fall«, erklärte Reinhold.
»Eine genauere Abklärung Ihres Krankheitsbildes ist aber nur in einem Krankenhaus möglich. Mit Ultraschall und Blutuntersuchungen allein kommen wir nicht weiter.«
»Mit den Tabletten, die Sie mir gegeben haben, geht es mir aber schon viel besser«, entgegnete Reinhold.
»Diese Tabletten sind nicht die Lösung. Sie sind nicht für den Langzeitgebrauch bestimmt. Falls sich Ihr Zustand noch weiter verschlechtert, werden sie auch nicht mehr helfen. Es führt aus meiner Sicht kein Weg an einer weiterführenden Untersuchung vorbei.«
»Gut, dann werde ich mich untersuchen lassen, aber erst einmal nur ambulant.«
»Wie Sie wollen, aber lassen Sie sich bitte untersuchen. Haben Sie eine E-Mail Adresse, an die ich die Überweisung schicken darf?«
»Ja, habe ich«, sagte Reinhold und nannte Danny die Adresse. »Vor Montag werde ich aber nicht hingehen können. Ich habe heute und am Wochenende wichtige Termine, die ich nicht verschieben kann.«
»Sie sollten sie aber verschieben. Es ist wirklich wichtig, dass Sie sich so schnell, wie möglich, untersuchen lassen«, versuchte Danny ihm erneut den Ernst der Lage klar zu machen.
»Ich danke Ihnen, dass Sie sich um mich sorgen, aber das ist unnötig. Die drei Tage wird es schon noch gehen. Davon abgesehen, werde ich vor Montag ohnehin keinen Termin mehr im Krankenhaus bekommen.«
»Genau deshalb hatte ich eine stationäre Einweisung vorgeschlagen.«
»Ich werde schon nicht gleich sterben, Herr Doktor«, antwortete Reinhold lachend.
»Ihre Werte sind aber wirklich kritisch. Es könnte schnell zu einer lebensbedrohlichen Krise kommen«, wiederholte Danny seine Sorge um Reinholds Gesundheit.
»Deshalb nehme ich Ihren Rat auch an. Meine Frau war früher Krankenschwester an der Uniklinik. Sie kennt dort noch einige Leute, und wird mir sicher für Montag einen Termin besorgen können.«
»Gut, Herr Eberholz. Ich schicke Ihnen dann gleich die Überweisung und das Ergebnis der Laboruntersuchung. Sie sollten das Ergebnis mit Ihrer Frau besprechen. Sie kann Ihnen die Werte dann noch einmal erklären.«
»Das mache ich, vielen Dank, für Ihre Mühen, Herr Doktor. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag«, sagte Reinhold und beendete das Gespräch.
»Dann eben nicht«, murmelte Danny. Er konnte niemanden zwingen, sich einer Untersuchung im Krankenhaus zu unterziehen. Wenn Reinhold Eberholz nicht verstehen wollte, dass sein Zustand höchst bedenklich war, dann konnte er jetzt nur noch darauf hoffen, dass Reinhold seiner Frau den Laborbericht zeigte, den er ihm gleich schicken würde. Als ausgebildete Krankenschwester würde ihr sofort klar sein, dass ihr Mann sofort in ein Krankenhaus gehörte.
Er ging davon aus, dass Reinhold am Abend wieder beim Training der Bogenschützen auftauchen würde, sollte seine Frau ihn nicht davon überzeugen können, sofort ins Krankenhaus zu gehen. Sollte das der Fall sein, würde er noch einmal eindringlich mit ihm reden müssen.
Nachdem er die Mail mit den Anhängen an Reinhold verschickt hatte, rief er die Patientenliste im Computer auf, die Sophia und Lydia jeden Tag anlegten und im Laufe der Sprechstunde ständig aktualisierten, damit er wusste, wer als nächstes an der Reihe war. Bisher standen dort nur Namen ihm bereits bekannter Patienten, die vermutlich nur wegen der üblichen kleineren Wehwehchen kamen. Die schlechte Nachricht des Tages habe ich dann wohl schon hinter mir, dachte er und atmete innerlich auf, bevor er den ersten Patienten aufrief.
Vor einigen Wochen hatte Danny gemeinsam mit Sophia und Lydia beschlossen, dass sie freitags auf die Mittagspause verzichteten, durchgehend bis zwei Uhr geöffnet hatten und danach ins Wochenende gingen. Inzwischen hatten sich auch die Patienten daran gewöhnt, und spätestens um halb drei waren dann auch alle gegangen. So war es auch an diesem Nachmittag. Um kurz vor halb drei verschloss Lydia die Tür der Praxis, danach ging sie in die Küche, setzte sich zu Sophia und Danny an den Tisch, um noch einen Kaffee mit ihnen zu trinken. Es war ihr allwöchentliches Ritual, das Danny eingeführt hatte, damit sie eventuell noch offenstehende Fragen der Woche klären konnten.
»Gab es irgendwelche Vorkommnisse, über die wir noch reden sollten?«, fragte Danny. Er hatte den beiden schon bei ihrer Einstellung gesagt, dass er Wert auf Offenheit legte, um mögliche Missverständnisse aufzuklären, bevor sie das Arbeitsklima beeinträchtigten. Da Sophia und Lydia aber schnell eine herzliche Freundschaft verband, und sie sich beide nicht scheuten, ihm zu sagen, wenn ihnen etwas missfiel, machte er sich schon längst keine Sorgen mehr um das Arbeitsklima.
»Von meiner Seite aus gibt es nichts zu besprechen«, antwortete Sophia.
»Ich hätte da schon etwas«, sagte Lydia.
»Und das wäre?«, fragte Danny.
»Ich habe vorhin mit Thomas telefoniert. Er hat mir erzählt, dass Reinhold heute Abend zum Training kommt, um sich von der Leistung seiner Teams zu überzeugen.«
»Das ist doch verständlich, er ist der Vereinsvorsitzende«, entgegnete Sophia und sah Lydia verwundert an.
»Du hast das Ergebnis seiner Laboruntersuchung