beachteten den Mann nicht, der zwischen den rot leuchtenden Felsen über die schmalen Holzbohlen zum Strand heruntergestiegen war. Nur wenige Touristen kamen um diese Zeit noch hierher, die meisten blieben zum Sonnenuntergang oben auf den Klippen oder hatten den Park verlassen, um ihren Sundowner beim Picknick an einem der trendigen Strände Kapstadts zu genießen. Der Ozean, der sich draußen am Horizont in tiefem Blau mit dem Azur des Himmels verband, toste hier, am einstigen Kap der Stürme, laut genug, um jedes Gespräch zu verschlucken.
»Ein idealer Treffpunkt«, dachte er, als er den anderen am Ende der Bucht entdeckte. Weit draußen flogen Kormorane Formation, ein Buckelwal durchpflügte einsam den von Schaumkronen durchzogenen Ozean. Hier waren sie allein. Sie konnten ungesehen und ungestört reden.
»Wir haben ein Problem«, begann der andere.
»Dann sollten wir es lösen«, entgegnete er.
»Ein Investor ist aufgetaucht.«
Diese Neuigkeit gefiel ihm in der Tat nicht.
»Bitte? Wer?«
»Ten of the Best Hotels.«
Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Jetzt, wo er kurz vor dem Ziel war, kreuzte sein schärfster Konkurrent auf.
»Das könnte allerdings wirklich zum Problem werden«, grunzte er und drückte seine Fingergelenke durch, bis es laut knackte. Ein Zeichen seiner Nervosität.
»Es soll eine Gala auf dem Weingut stattfinden.«
Sein Blick verfinsterte sich. »Verdammt!«
»Was schlagen Sie vor?«, fragte der andere.
»Sie wissen, was auf dem Spiel steht. Wenn jetzt noch irgendetwas schiefgeht, werden auch Sie nicht an Ihr lang ersehntes Ziel kommen. Ich brauche alle Informationen über diese Gala. Was wissen Sie noch?«
»Sie wollen eine Sterneköchin engagieren.«
»Eine Sterneköchin?« Er dachte an die kleine Schwarzwälderin, die in seinem Hotel kochte. »Das sollte nicht das Problem sein, die könnte man sich gefügig machen.« Er grinste fies. »Wir werden uns einen hübschen kleinen Plan ausdenken, um ihnen gründlich in die Suppe zu spucken. Ich habe da jemand an der Hand, der sich mit besonders feinen Zutaten für die gehobene Küche perfekt auskennt.« Sein Lachen war hämisch und so laut, dass ein paar Klippschliefer erschrocken in ihren Verstecken verschwanden.
»Und genau diese Sterneköchin wird ihnen die Suppe gründlich versalzen, dafür werden wir sorgen!«
AUFBRÜCHE
Zwölf Tage später
Noch ahnte Sabrina Brendle nichts vom Ausgang des Abends und von so ungewohnten Gefühlen wie Unbehagen oder gar Angst. Sie war ohnehin nicht nah am Wasser gebaut, Tränen gab es bei ihr höchstens im Zorn oder wenn sich Enttäuschung in Ärger oder Groll verwandelte. Wie hätte sie auch jetzt, als sie den Blick über den dunkel schimmernden Atlantik schweifen ließ und ihre Gedanken sich auf den nächsten wundervollen Tag am Kap der Guten Hoffnung konzentrierten, voraussehen können, dass sich alles nur durch ihre Unvorsichtigkeit und Neugier ändern würde.
Wie gewohnt hatte sich die Köchin am späten Abend zunächst einen kühlen Schluck gegönnt, nachdem die letzten Gäste im Restaurant des schicken Boutique-Hotels gegessen hatten. Sabrina genoss den erfrischenden Gin Tonic und dachte an Richie. »Gin ist bei uns kein Alkohol«, hatte er mal gesagt, »Gin ist Medizin. Im Busch trinken wir es gegen Malaria.« Sie schmunzelte, und ihre tiefbraunen Augen blickten hinunter auf den endlosen Sandstrand zu ihren Füßen, während der leichte Wind vom Kap sanft mit ihren dunklen, kinnlangen Haaren spielte.
Das Ouplaas Cape Town Boutique Hotel lag malerisch auf einer Klippe am Fuß des Tafelbergs mit einer herrlichen Sicht auf die Bucht und den endlosen Sandstrand von Camps Bay. Ou Plaas, wer immer diesen alten Platz einst entdeckt und dort das kleine, trendige Hotel gebaut hatte, muss ein Träumer gewesen sein, denn hier oben war ein Ort für Träume, und das nicht nur während der traumhaften Sonnenuntergänge.
»Bisschen spät für einen Sundowner«, dachte Sabrina, doch früher am Abend hatte sie einfach keine Zeit dafür. Die Sterneköchin hatte noch einen letzten Blick ins Restaurant geworfen, um sicher zu sein, dass niemand mehr die Küchenchefin persönlich sprechen wollte. Dies kam in den letzten Monaten, seit sie in Kapstadt zur Trendköchin des Jahres gekürt worden war, immer häufiger vor.
Sabrina hatte es geschafft, sie hatte erreicht, was sie wollte, und man wusste ihr Können in gewissen gesellschaftlichen Kreisen zu schätzen. Es war chic geworden, sie für Firmenevents und private Veranstaltungen in Capetown selbst, aber auch in den Cape Winelands von Stellenbosch bis Paarl zu buchen, um für die Gäste kulinarische Delikatessen zu zaubern.
Doch Sabrina war keine Frau, die sich gerne auf ihren Erfolgen ausruhte. In ihrem Metier war es unüblich, für lange Zeit am selben Ort zu bleiben, und es war ihr bewusst, dass es irgendwann eine neue Herausforderung in einer der namhaften Küchen dieser Welt für sie geben würde. Dies würde gleichbedeutend sein mit einem Abschied von Südafrika. Es war nur eine Frage der Zeit, gestand sie sich ein und verdrängte die in ihr aufkeimende Wehmut mit Gedanken, bei denen sie gleich dreifachen Grund zur Freude empfand:
»Nur wenige Tage noch, dann kochst du auf Hoopengeluk!«
Das Weingut der Familie van Wynsberghe lag in Constantia Valley, in den Weinbaugebieten südlich des Tafelbergs, direkt neben Volstruis Willow, Richies kleiner Straußenfarm, und sie würden sich mehr als einmal in der Woche sehen können. Zudem würde sie auf der Gala Chakalaka einmal wieder die Gerichte ihrer Heimat kochen können, denn der Gutsherr von Hoopengeluk hatte sich eine Begegnung von südafrikanischer und schwäbischer Küche, die er bei einem Aufenthalt in Deutschland kennen- und lieben gelernt hatte, gewünscht. Und Maultaschen in Südafrika zu kochen, war selbst für Sabrina eine kleine Herausforderung. Drittens aber gab es mit großer Wahrscheinlichkeit ein Wiedersehen mit Isabel. Ihre beste Freundin aus dem Schwarzwald hatte gute Chancen, den Kochwettbewerb zu gewinnen und als ersten Preis an ihrer Seite bei der Gala auf Hoopengeluk zu kochen. Was für eine traumhafte Vorstellung!
Sabrina wurde von den Stimmen der Gäste, die jetzt mit ihren Drinks auf die Aussichtsplattform kamen, aus ihren Gedanken gerissen und zog sich langsam zurück. Der Wind trieb die feuchte Luft des Atlantiks gegen den Tafelberg, und schon bald würde des Teufels Tischtuch über die zerklüfteten Flanken des Massivs gleiten, und die Sterne würden sich hinter den Wolken verstecken.
Sabrina suchte den Hinterhof des Hotels auf, wie sie es jeden Tag nach Feierabend tat. Der Ort war zwar alles andere als romantisch zwischen den mannshohen Müllcontainern, doch hier war sie allein und wurde von niemandem gestört, ein idealer Platz, um nach der Hektik in der Küche zur Ruhe zu kommen, den letzten Schluck Gin Tonic zu trinken und ihren Gedanken nachzuhängen. Meistens dachte sie in diesen Augenblicken an Richie.
Sie hatten sich hier im Ouplaas kennengelernt, wo er nach einer Besprechung mit einem Geschäftspartner noch einen Drink an der Bar nahm.
An seiner sonnengebräunten Haut und dem durchtrainierten Body, der sich unter der eng anliegenden Jeans und dem oben offenen Hemd abzeichnete, hatte sie erkannt, dass er körperlich arbeitete. Darin unterschied er sich von den meisten anderen Hotelgästen, die ihre Tage im Anzug bei Meetings in einem der vielen klimatisierten Geschäftshäuser in Kapstadt verbrachten.
Wäre sie einen anderen beruflichen Weg gegangen, wäre auch sie vielleicht heute als Betriebswirtin in diesen Kreisen aktiv, sinnierte Sabrina. Aber vielleicht bescherte ihr die erfolgreiche Karriere als Köchin doch die größere Vielfalt und vor allem mehr Genuss.
Sie grinste. Verzichten musste sie auf nichts. Die Männer in ihren gut sitzenden Anzügen übten eine besondere Anziehungskraft auf sie aus, dessen war sie sich bewusst, doch sie stand neben gutem Aussehen auch vor allem auf gutes Benehmen. Hotelgäste waren zwar im Allgemeinen tabu, aber die lockere und dennoch charmante Art des Typs an der Bar, der sie optisch an den jungen Clint Eastwood