Patricia Vandenberg

Chefarzt Dr. Norden Staffel 5 – Arztroman


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Milan etwas sanfter fort. »Aber ich habe auch eine gute Nachricht für Sie: Ich bin Ihnen nicht böse und schenke Ihnen eine Gratisprobe eines Antihistaminikums. Es stoppt die allergische Reaktion.«

      Aydin öffnete einen Schrank und nahm eine Tablettenpackung heraus, die er Bruder Pirmin reichte. »Nehmen Sie drei Mal täglich eine Tablette. Davon werden Sie wahrscheinlich etwas müde. Das ist aber kein Grund zur Sorge. Für die Haut verschreibe ich Ihnen eine Salbe.« Er verabschiedete sich und verließ das Behandlungszimmer. Am Tresen traf er wieder auf Schwester Elena.

      »Das ging ja schnell.«

      »Selbst für einen Neurochirurg ist es kein Hexenwerk, eine Dermatitis zu diagnostizieren.«

      »Herr Dr. Aydin?«

      Milan drehte sich um. Bruder Augustinus stand mit gefalteten Händen vor ihm.

      »Ja bitte?«

      »Ich möchte Ihnen für Ihre Geduld danken.«

      Um ein Haar hätte Elena laut gelacht. Augustinus bemerkte es nicht. »Es tut sehr gut, eine weltliche Diagnose zu hören«, fuhr er fort. »Meine Mitbrüder neigen öfter dazu, solche Zeichen als Botschaft Gottes zu interpretieren.«

      »Und Sie nicht?«

      »Ich glaube, dass alles aus einem Grund passiert. Nicht mehr und nicht weniger.«

      Ein Alarm schrillte durch die Luft. Ein Notfall. Dr. Aydin wurde zu einem Patienten gerufen. Hin und wieder war er regelrecht dankbar für diese Zufälle.

      »Das glaube ich allerdings auch«, sagte er zu Bruder Augustinus und fuhr davon, als wäre nicht der liebe Gott, sondern der Teufel persönlich hinter ihm her.

      *

      Bei der Ankunft des Notarztwagens stand in der Behnisch-Klinik alles bereit, was die Tagschicht im Traumazentrum zu bieten hatte. Anästhesie, Radiologie, Unfallchirurgie, der Neurochirurg Dr. Amir Merizani, Pflegepersonal, ein Medizinisch-Technischer Assistent.

      Mehr als ein halbes Dutzend Menschen in ihren blauen, grünen und weißen Kleidern, die einer geheimen Choreographie folgten.

      Die Patientin wurde von der Trage auf einen Untersuchungstisch gehoben. Ein Pfleger schnitt die Kleidung auf. Der Radiologe drückte den Schallkopf des Ultraschallgeräts auf ihren Bauch, um nach inneren Blutungen zu suchen. Währenddessen legte eine Krankenschwester den Blasenkatheter.

      Unwillkürlich dachte Dr. Norden an einen Schwarm Piranhas, der sich auf seine Beute stürzte.

      »Initial bewusstlos. Kreislauf instabil. Verdacht auf schweres SHT. Thoraxtrauma mit Rippenserienfraktur, stumpfes Bauchtrauma und Oberschenkelfraktur links.« Die Diagnose des Kollegen Huber hallte durch den Schockraum.

      Erst jetzt bemerkte Daniel den Mann, der sich über die Patientin beugte.

      »Mach dir keine Sorgen, mein Schatz. Der Wagen hatte eh nur noch Schrottwert.« Der Verband auf seiner Stirn war blutdurchtränkt. »Und das Grab von Frau Pfleger mache ich heute noch fertig. Die Angehörigen werden keinen Grund zur Klage haben. Du wirst mit mir zufrieden sein. Ganz bestimmt.«

      Daniel gab sich einen Ruck. Ging auf den Mann zu und fasste ihn an den Schultern.

      »Sie sind der Ehemann?«

      Uwe drehte sich um. Starrte den Arzt an, als hätte er nie zuvor im Leben einen anderen Menschen gesehen.

      »Ich bin Uwe Ruhland. Wie geht es meiner Frau?«

      »Die Kollegen kümmern sich um sie. Kommen Sie! Sie sind verletzt.« Er führte den verstörten Mann nach nebenan. Drückte ihn auf einen Hocker und desinfizierte die Wunde, die sich als eine von vielen herausstellte. Splitter der Windschutzscheibe hatten sich in die Haut gebohrt. Zum Glück nicht tief. Aber entfernt werden mussten sie trotzdem. Dr. Norden komplimentierte seinen Patienten auf die Behandlungsliege.

      »Wie ist der Unfall eigentlich passiert?«, erkundigte er sich, während er mit Pinzette und Lupe Splitter für Splitter aus der Haut pflückte.

      »Ach, Inga hatte es mal wieder eilig. Deshalb ist sie ja so schusselig und vergisst immer die Hälfe der bestellten Waren in der Gärtnerei.«

      »Heute auch?« Mit leisem Klirren landete eine weitere Scherbe in der Nierenschale aus Chrom.

      »Morgen früh ist die Beerdigung einer ehemaligen Stadträtin. Sehr bekannt und beliebt. Eine Menge Gäste wird erwartet. Da muss unsere Arbeit natürlich perfekt sein.« Als Dr. Norden einen besonders tief sitzenden Splitter entfernte, stöhnte Uwe auf. »Aber natürlich hatte Inga wieder mal Kränze in der Gärtnerei vergessen. Gleich drei Stück auf einmal. Stellen Sie sich das mal vor! Und das nur, weil sie immer in Eile ist.«

      Um sich den Rest der Geschichte vorzustellen, brauchte Daniel Norden nicht viel Fantasie.

      »Weil es so furchtbar eilig war, hat Ihre Frau nicht auf den Verkehr geachtet?«

      »Sie hat nur kurz geschaut und dann Gas gegeben. Ich habe noch geschrien. Aber da war es schon zu spät.«

      Der letzte Splitter landete in der Schale. Dr. Norden desinfizierte die Wunden. Den Rest würde wie immer die Zeit erledigen.

      »Kann ich jetzt zu meiner Frau?«

      »Nicht, solange sie operiert wird.« Die Handschuhe landeten im Müll.

      »Und wie lange wird das dauern?«

      »Ich werde mich erkundigen«, versprach Daniel Norden. Er bat eine Schwester, sich um Uwe zu kümmern. Dann machte er sich auf den Weg in den Operationssaal. Aber nicht etwa, um Erkundigungen einzuholen. Nach dem Schweregrad der Verletzungen zu urteilen, konnten die Kollegen im OP jede helfende Hand brauchen. Aber das musste Uwe Ruhland nicht unbedingt wissen.

      *

      »Wie lange dauert es eigentlich, bis du deine Wohnung wieder bewohnen kannst?«, erkundigte sich Schwester Elena. Sie saß hinter dem Tresen und arbeitete an Therapieplänen. Eigentlich sollte sie in ihrem Büro am Schreibtisch sitzen. Doch seit ihr Mann sie nach monatelangen Streitigkeiten wegen ihrer Arbeitszeiten verlassen hatte, zog sie die Gesellschaft der Kollegen vor.

      Sie lehnte sich zurück und sah zu Milan hinüber.

      »Ich fürchte, der Ärger fängt erst an«, erwiderte er, während er die Post in seinem Schoß durchsah.

      Elena zog eine Augenbraue hoch.

      »Wie das?«

      »Ich muss die Wohnung komplett sanieren lassen. Alle Möbel rauswerfen. Vielleicht sogar die Einbauküche. Wegen der beim Brand entstandenen Schadstoffe. Weißt du, was das kostet?«

      »Aber solche Sachen zahlt doch die Hausratversicherung.«

      Milan grinste schief.

      »Welche Hausratversicherung?«

      Elena ließ den Kugelschreiber fallen.

      »Das glaube ich jetzt nicht. Willst du damit sagen, dass du nicht abgesichert bist?«

      »Versicherungen sind was für Weicheier.« Milan machte eine wegwerfende Geste. »Und bis jetzt hat mich der liebe Gott ja auch noch nicht im Stich gelassen.«

      »Dummerweise hat alles ein Ende …« Elenas Blick war über Milans Schulter gefallen. Sie deutete auf den Mann im schwarzen Habit, der schnaufend um die Ecke bog.

      »Schnell, Herr Doktor. Bruder Pirmin.« Milan packte die Greifräder und wendete den Rollstuhl.

      »Ist er geheilt? Dann hat wahrlich der liebe Gott seine Hände im Spiel.«

      Antonius blieb vor dem Arzt stehen. Seine Brust hob und senkte sich geräuschvoll.

      »Leider nein. Er bekommt keine Luft mehr. Schnell!«

      *

      Der Geräuschteppich im Operationssaal untermalte die Arbeit des Operationsteams. Instrumente klapperten. Ab und zu hustete ein Arzt, räusperte sich eine Schwester. Die Überwachungsgeräte piepten gleichmäßig.