sich mit aller Kraft dagegen. Mit einem Ruck setzte es sich in Bewegung.
Annabel zog ihren Vater aus der Schusslinie.
»Lass sie vorbei! Du kannst sowieso nichts machen.«
*
»Reicht es nicht, dass unser Kandidat an dieser Allergie leidet? Muss jetzt auch noch eine Gehirnentzündung dazukommen?« Dr. Aydin saß im Rollstuhl vor seinem Chef und dachte laut nach.
Dr. Norden hielt in seinem rastlosen Marsch inne und sah hinüber zu Milan.
»Falsche Frage. Sie müsste vielmehr lauten: Was sagt uns das über den Zustand des Patienten?«
»Bruder Pirmins Immunsystem ist massiv geschwächt.«
Daniel nahm seinen Mitarbeiter ins Visier.
»Und was könnte diese Schwäche hervorgerufen haben?«
Milan warf die Arme in die Luft.
»Oh Chef, ich bitte Sie! Nein, ich habe Pirmin nicht die falsche Dosis verabreicht. Ich war bei vollem Bewusstsein, als ich in die Schublade gegriffen und die Injektion herausgeholt habe. Sie glauben doch nicht im Ernst, ich würde ein Medikament verabreichen, ohne mich zu versichern, ob es das richtige ist.«
»Ehrlich gesagt weiß ich langsam nicht mehr, was ich noch glauben soll und was nicht«, seufzte Dr. Norden und setzte sich wieder an den Schreibtisch. Zum wiederholten Male nahm er sich die Patientenakte vor. »Noch einmal von vorn: Bruder Pirmin ist wegen eines Hautausschlags zu uns gekommen. Er hat einen Herzstillstand erlitten und leidet inzwischen auch noch an Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen und einer Gehirnentzündung.«
»Das spricht eindeutig gegen eine Allergie. Aber auch gegen Ihre Vermutung, ich hätte das Adrenalin falsch dosiert.«
Daniel las Zeile für Zeile der Akte. Studierte das Ergebnis jeder Untersuchung, die gemacht worden war.
»Aber mit welchem Feind haben wir es dann zu tun?« Er lehnte sich zurück und fuhr sich mit der Hand über die Augen.
Das war einer dieser Momente, in denen Milan Aydin gern aufgesprungen und auf und ab gelaufen wäre. Einen Moment lang überlegte er, ob er im Rollstuhl vor dem Schreibtisch hin und her fahren sollte, entschied sich dann aber dagegen. Es wäre nicht dasselbe gewesen.
»Wenn ich Bruder Pirmin jetzt zu Gesicht bekäme, würde ich eine Tropenkrankheit diagnostizieren. Fleckfieber zum Beispiel.«
»Nette Idee. Aber erstens ist Pirmin laut eigenen Angaben nie über die Grenzen Bayerns hinausgekommen. Und zweitens passt der Herzstillstand nicht dazu«, gab Dr. Norden zu bedenken. Von draußen wehten Stimmen herein. »Wie verfahren wir also weiter?«
Es klopfte.
»Bruder Augustinus möchte Sie sprechen«, verkündete Andrea Sander.
»Bitte sehr.« Daniel machte eine einladende Geste und erhob sich, um seinen Besucher zu begrüßen. »Was kann ich für Sie tun, Bruder?«
»Ich bin gekommen, um mich nach dem Gesundheitszustand von Bruder Pirmin zu erkundigen.« Nach einem Handschlag steckte der Bruder die Hände zurück in die Ärmel der weiten Kutte. »Die Schwestern wollten mich nicht zu ihm lassen.«
Dr. Norden und Milan Aydin tauschten einen schnellen Blick. Wer würde die Botschaft überbringen?
»Leider hat Ihr Mitbruder einen Krampfanfall erlitten, der auf eine Gehirnentzündung zurückzuführen ist.« Es war Milan, der die undankbare Aufgabe übernahm. Schuld daran war auch sein schlechtes Gewissen. Der Verdacht, einen Fehler gemacht zu haben, lastete schwer auf seinem Gewissen.
Bruder Augustinus machte große Augen.
»Das klingt schrecklich.«
»Das klingt nicht nur schrecklich. Das ist es auch«, musste Dr. Aydin zugeben. »Gibt es irgendetwas, das wir wissen sollten? Irgendeine Vorerkrankung? Nimmt Bruder Pirmin …«
In seine Worte hinein lachte Augustinus auf. Es klang nicht fröhlich.
»Nun ja …«
Er senkte den Blick. Kratzte mit der Schuhspitze auf dem Boden. »Ehrlich gesagt habe ich den Verdacht, dass Pirmin ein Hypochonder ist.«
Wieder tauschten die beiden Ärzte einen Blick.
»Ist das eine Warnung, dass wir eine gar nicht existierende Krankheit behandeln?«, hakte Milan vorsichtig nach.
Augustinus zuckte mit den Schultern.
»Angeblich leidet er unter Migräne. Seit Jahren schon. Ausgerechnet Kopfschmerzen, die man nicht beweisen kann. Zu allen möglichen Gelegenheiten und besonders dann, wenn eine wichtige Aufgabe zu erledigen ist.« Ein schüchterner Augenaufschlag hinüber zu den Ärzten. »Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, aber …«
»Ist Bruder Pirmin wegen dieser Migräne in ärztlicher Behandlung?«, unterbrach Daniel Norden ihn.
»Ja. Wieso fragen Sie?«
Milan ahnte, worauf sein Chef hinaus wollte.
»Bekommt er Medikamente?«, stellte er die nächste Frage.
»Ich weiß es nicht. Aber das könnte ich herausfinden«, versprach der Bruder und verabschiedete sich wenig später.
Auch Dr. Norden wollte sich wieder an die Arbeit machen. Beugte sich über die Unterlagen. Nach einem Moment sah er wieder hoch.
Aydin saß im Rollstuhl und starrte vor sich hin. Seine Lippen bewegten sich lautlos.
»Ist noch etwas?«
»Womit wird Migräne normalerweise behandelt?«
»Da gibt es unzählige Möglichkeiten.«
»Aber eine besonders hartnäckige Migräne?«, beharrte Aydin.
Daniel neigte den Kopf. Im Geiste ging er alles durch, was ihm zu diesem Thema einfiel. Endlich ging ihm ein Licht auf.
»Sie meinen Betablocker?«
Milan grinste.
»Vor allem die Gabe von nicht gezielt herzwirksamen Betablockern kann in Kombination mit Adrenalin eine Blutdruck-Krise mit Verlangsamung der Herztätigkeit bis hin zum Stillstand auslösen.« Milan Aydin reckte die Faust in die Luft wie ein Sieger. »Meine Unschuld ist bewiesen. Gott ist gnädig mit mir. Diese Chance muss ich nutzen!« Er packte die Greifräder und fuhr zur Tür. »Ach, und herzliche Grüße an die Verwaltungsdirektorin Frau Blume«, fügte er noch hinzu, ehe er das Büro des Klinikchefs verließ.
*
Dr. Arnold Klaiber schaltete den Überwachungsmonitor ab. Nach der Hektik und dem Lärm wirkte die plötzliche Stille im Operationssaal gespenstisch. Mit hängenden Schultern und versteinerten Gesichtern unter den Masken standen Ärzte und Schwestern da. Sahen Dr. Merizani zu, wie er ein Tuch über das Gesicht der Patientin zog.
Von Berufs wegen war der Tod der größte Feind des Arztes. Und doch ließ sich der Sensenmann nicht immer überlisten. Das zu akzeptieren war eine Herausforderung für jeden im Raum.
Sophie Petzold und Dr. Merizani tauschten einen tiefen Blick.
»Wenn Sie möchten, sage ich es dem Ehemann.«
»Nein. Ich habe operiert.« Ein Surren. Die Türen schoben sich auf.
Auch im Vorraum zum OP schien das Leben stillzustehen. In Windeseile hatte sich die traurige Nachricht herumgesprochen. Mitfühlende Blicke begleiteten Sophie und Amir nach draußen.
Beim Anblick der Ärzte wurde Uwe blass im Gesicht. Er ballte die Hände zu Fäusten und starrte Dr. Merizani wortlos an. Wenn er geschrien hätte oder um sich geschlagen, wäre alles leichter gewesen. Doch das stumme Starren war unerträglich.
»Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Frau den Eingriff nicht überlebt hat.«
Tausend Mal hatte Amir Merizani diesen Satz vor dem Spiegel geübt. Und doch klang