Patricia Vandenberg

Chefarzt Dr. Norden Staffel 5 – Arztroman


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zum anderen.

      »Dann möchte ich jetzt bitte mit meiner Frau sprechen.« Er machte Anstalten, sich an den Ärzten vorbei zu drängen.

      Dr. Petzold vertrat ihm den Weg.

      »Wir haben alles versucht, Herr Ruhland. Leider war das nicht genug. Ihre Frau ist tot.«

      Uwe öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Ein letzter ungläubiger Blick, ehe er die Augen verdrehte und lautlos in sich zusammen sackte.

      Von dem, was danach geschah, bekam er nichts mit. Spürte nicht, wie er von starken Armen aufgefangen und mit vereinten Kräften auf eine eilig herbeigeholte Liege gehoben wurde. Hörte nicht das leise Knirschen der Räder auf dem Vinylboden.

      Die Liege stand längst am Fenster des Behandlungszimmers, als er stöhnte. Den Kopf hin und her drehte und ins Licht des Tages blinzelte. Uwes Blick fiel auf Bäume, die ihre kahlen Äste in den Himmel streckten.

      Im nächsten Moment beugte sich ein Gesicht über ihn.

      »Hallo, Papa. Wie geht es dir?«

      Uwe antwortete nicht sofort. Er sah durch seine Tochter hindurch.

      »Inga … Sie hat noch nicht einmal mehr mit mir geredet.« Eine Falte grub sich zwischen seine Augen. »Hat sich einfach aus dem Staub gemacht und mich im Stich gelassen.« Er klang wütend.

      Dr. Sophie Petzold trat an die Liege. Bemerkte Annabels Gesichtsausdruck.

      »Keine Sorge. Aggression kann bei Trauer eine ganz natürliche und für den Trauernden durchaus hilfreiche Reaktion sein«, erklärte sie in ihrer nüchternen Art. »Sie richtet sich nicht gegen den Verstorbenen persönlich. Viel mehr handelt es sich bei dieser irrationalen Reaktion um einen urzeitlichen Verteidigungsmechanismus gegen die seelische Erschütterung.«

      »Aha!« Mehr fiel Annabel nicht ein.

      Sophie sah auf Uwe hinab. Faltete die Hände vor dem Schoß.

      »Ich möchte Ihnen mein aufrichtiges Beileid aussprechen.

      Uwe drehte den Kopf weg.

      *

      »Dachte ich es mir doch!« Milan Aydins Siegeszug hielt an. Er stand neben Bruder Pirmins Bett und machte einen sehr zufriedenen Eindruck. »Diese Pillen sind für den Herzstillstand verantwortlich.«

      Der Blister knisterte, als er ihn zurück auf den Nachttisch legte.

      Verkabelt und verdrahtet mit allen möglichen Geräten, angeschlossen an verschiedene Infusionen, lag der Mönch erschöpft im Bett. Zum Glück taten die Medikamente ihre Arbeit. Sein Geist war wieder klar.

      »Das heißt aber nicht, dass Sie jetzt wissen, was mir fehlt, oder?« Jedes Wort bedeutete eine Anstrengung.

      Aydins Mundwinkel wanderten nach unten.

      »Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, dass Sie ein Spielverderber sind?«

      »Das höre ich fast jeden Tag«, krächzte Pirmin und kratzte die mit Pusteln übersäten Hände. »Ich bin ja fast froh über diesen Ausschlag. Dann können mir meine Mitbrüder nicht wieder vorwerfen, ich würde mich nur vor der Arbeit drücken.«

      »Ich dachte immer, so ein Kloster ist eine zwischenmenschliche Insel der Glückseligkeit«, platzte Milan heraus und griff nach Pirmins Handgelenk.

      »Schön wäre es«, seufzte der Mönch. »Aber leider sind wir alle doch nicht so gottähnlich, wie wir es gern wären.« Er sah hinüber zu Aydin. »Und? Wie sieht es aus?«

      »104. Gar nicht so schlecht.« Dr. Aydin griff nach dem Tablet in seinem Schoß und tippte den Wert in die elektronische Krankenakte ein.

      »Hoffentlich sind Sie ein besserer Arzt als ein Lügner.«

      Seufzend legte Milan das Tablet weg.

      »Ehrlich gesagt tappen wir immer noch völlig im Dunkeln, was Ihre Erkrankung angeht.«

      »Sind meine Symptome so ungewöhnlich?«

      »Wenn Sie im tropischen Ausland gewesen wären, läge die Sache auf der Hand.«

      »Ich weiß, gerade in Zeiten wie den unseren klingt es seltsam.« Jedes Wort fiel ihm schwer. Keuchend holte er Luft. »Aber ich habe Deutschland noch nie verlassen«, gestand Bruder Pirmin. Seine Wangen leuchteten nicht nur vom Fieber. »Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob ich überhaupt schon einmal außerhalb Bayerns war.«

      »In diesem Fall werden wir wohl weitersuchen müssen.« Milan rollte hinüber zur Infusion. Kontrollierte die Tropfgeschwindigkeit und regulierte sie am roten Rädchen. Er überprüfte den Sitz der Sauerstoffdusche, die Bruder Pirmin beim Atmen unterstützte. »Bitte sagen Sie Bescheid, falls Ihnen noch etwas einfällt, was uns weiterhelfen könnte. Egal, was es ist«, bat er an der Tür.

      Der Mönch sah ihm nach wie ein trauriger Clown.

      »Ich fürchte, da müssen Sie jemand anderen fragen«, murmelte er.

      Milan war schon halb zur Tür hinaus, als er noch einmal anhielt.

      »Gar keine schlechte Idee!«

      *

      Draußen auf dem Flur kamen Schritte näher. Nicht das dumpfe Tappen von Herrenschuhen, sondern klappernde Absätze. Statt sich wieder zu entfernen, verhallten sie. Die Tür wurde geöffnet und ebenso leise wieder geschlossen. Dann wieder Schritte. Ein zarter Geruch nach Leder und Holz stieg Dr. Amir Merizani in die Nase. Er kannte nur eine Frau, die einen derart männlichen Duft trug. Trotzdem drehte er sich nicht um. Starrte weiter aus dem Fenster, hinab in den verwaisten Klinikpark.

      Obwohl die frühere Klinikchefin Jenny Behnisch versucht hatte, ein Vier-Jahreszeiten-Paradies zu schaffen, trugen auch Bäume und Sträucher, Gräser und Ranken an diesem Nachmittag Trauer. Die sonst so bevölkerten Kieswege waren verwaist. Nur ein Paar wanderte Seite an Seite über die verschlungenen Pfade. Die Gesichter konnte er nicht erkennen.

      »Manche sagen, man gewöhnt sich daran«, murmelte er, als sich Dr. Sophie Petzold zu ihm gesellte. Er drehte kurz den Kopf. »Ich nicht.«

      »Ich auch nicht«, erwiderte sie. Eine Krähe war auf einem kahlen Ast gelandet. Er bog sich unter dem Gewicht, brach aber nicht. »Ich will mich auch gar nicht daran gewöhnen.«

      »Unser größter Ruhm ist nicht, niemals zu fallen, sondern jedes Mal wieder aufzustehen.« Amir bemerkte den Seitenblick. »Sagte Nelson Mandela.«

      »Leichter gesagt als getan.« Sophie seufzte. »Ich war mir sicher, dass Inga Ruhland es schafft. Ein Glück, dass ich das ihrem Mann nicht gesagt habe. Wie stünde ich jetzt da?«

      »Sie sind eine großartige Ärztin. Das ist alles, was zählt.«

      Sophie Petzold atmete tief durch.

      »Ich weiß. Trotzdem fällt es mir schwer zu akzeptieren, dass es eine Macht gibt, die über uns steht. Größer und mächtiger als alle ärztliche Kunst der Welt. Eine Macht, die unsere Arbeit gnadenlos zerstört. Jede Anstrengung mit einem Handstreich zunichtemacht.«

      Krächzend erhob sich die Krähe in die Lüfte. Merizani sah ihr nach, bis sie sich im Grau des Himmels auflöste.

      »Vielleicht muss das so sein, damit wir nicht überheblich werden«, erwiderte er endlich. »Demütig bleiben und uns immer daran erinnern, dass auch wir sterblich sind.«

      Überrascht sah Sophie zu ihrem Kollegen auf.

      »Sie sind tatsächlich so weise, wie die anderen immer behaupten.«

      Amir lachte leise. Gleichzeitig schüttelte er den Kopf.

      »Ein paar Sprichwörter, ein bisschen Küchenphilosophie machen noch lange keinen weisen Mann.«

      Sophie legte den Kopf schief.

      »Aber der ganze Rest«, widersprach sie, ehe sie sich verabschiedete, um nach der kurzen Pause wieder einzutauchen in den Klinik­alltag, der kaum Zeit für Trauer ließ. Aber vielleicht war das ja