ergötzte sich an der Miene seines Chefs. »Ganz einfach: Indem man dem Patienten das richtige Medikament verabreicht.«
»Dazu muss man aber erstmal wissen, was ihm fehlt.«
»Was glauben Sie, warum ich die halbe Nacht im Labor verbracht habe? So schön sind die Frauen dort auch wieder nicht.«
Daniel winkte ab. Er war nicht hier, um sich mit Aydin über Frauen zu unterhalten.
»Und was haben Sie heute Nacht noch herausgefunden?
»Bruder Pirmin leidet an Fleckfieber.«
»Dann hatten Sie also recht.« Damit hatte Dr. Norden nun wirklich nicht gerechnet. Zuletzt war diese Krankheit während der beiden Weltkriege gehäuft aufgetreten und den schlechten hygienischen Bedingungen geschuldet gewesen. Seit diesen dunklen Zeiten war sie in Deutschland aber kaum mehr anzutreffen. »Wie konnte das geschehen?«
Milan fuhr um das Bett herum und hinüber zum Geräteturm. Er drückte ein paar Knöpfe. Kontrollierte die Werte und stellte ein Medikament neu ein.
»Eine Gruppe Helfer, die sich in Südamerika um die Ärmsten der Armen gekümmert haben, haben die Läuse ins Kloster eingeschleppt. Bruder Pirmin hat ihre Wäsche gewaschen. Diesem geballten Angriff hatte er offenbar wenig entgegenzusetzen.«
Dr. Norden machte gar nicht erst den Versuch, seine Bewunderung zu verbergen.
»Alle Achtung, Kollege Aydin. Ich bin beeindruckt von dieser detektivischen Meisterleistung.«
»Gut, dass Sie das sagen. Wenn’s mit dem Doktor nicht mehr klappt, wechsle ich einfach das Fach«, scherzte Milan gut gelaunt.
»Das werde ich zu verhindern wissen.« Dr. Norden trat ans Bett. »Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als Ihnen weiterhin gute Besserung zu wünschen.« Er reichte dem Mönch die Hand.
Inzwischen hatte Pirmin sein Frühstück beendet. Er wischte sich die Finger an der Serviette ab und ergriff die dargebotene Hand.
»Gott hat mich geprüft und mir in letzter Sekunde einen Engel geschickt«, sagte er salbungsvoll.
Daniel lachte.
»Einen Engel hatte ich mir bisher immer anders vorgestellt.«
*
»Bitte sagen Sie Frau Rittermann, dass ich sie sehr gern vertrete und mich im Laufe der Woche mit ihr in Verbindung setze.«
Annabel strahlte von einem Ohr zum anderen, als sie das Handy wegsteckte.
»Das ist ja unglaublich!« Sie konnte es selbst nicht fassen. »Papa, wo steckst du? Ich muss dir unbedingt was erzählen. Eine Klientin hat mich gebeten, Ihren Fall zu übernehmen. Es geht um richtig viel Geld.« Annabel hielt inne. Sah sich nach ihrem Vater um. Eine leise Berührung im Nacken. Sie fuhr herum und starrte die Ranke an, die sich aus einer Makramee-Blumenampel vor dem Fenster hinab schlängelte.
»Ich weiß, warum ich diese Dinger immer gehasst habe.« Sie wandte sich ab und verließ das Zimmer. Der Perlenkettenvorhang vor der Wohnzimmertür klimperte, als sie ihn mit den Händen wegschlug. Auf ihrem Weg nach draußen strafte sie gewebte Wandbehänge, antike Holzmöbel und bunte Teppiche mit Missachtung.
»Wo steckst du denn, Papa?« An der Treppe hielt Annabel inne. Blickte hinauf und spitzte die Ohren.
Keine Geräusche. Kein Wasserrauschen im Bad. Keine zuklappenden Schranktüren. Keine Schritte. Einfach nichts. Nichts außer einer ohrenbetäubenden Stille. Annabels Herz schlug schneller. Plötzlich erinnerte sie sich an Uwes entschlossene Haltung, als er aus der Küche marschiert war. Irgendetwas hatte er im Schilde geführt. Aber was?
»Vielleicht ist er im Garten.« Annabel rannte durch den Flur. Riss die Tür auf. Die klare, kalte Luft traf sie wie eine Ohrfeige. Sie schlang die Arme um den Körper und lief weiter, den Gartenweg entlang, der im Sommer von prächtigen Rosenbüschen gesäumt war. Alte Rosensorten. Eine der vielen Leidenschaften ihrer Mutter. Vielleicht war ihr Vater hier, um zu trauern. Beim Anblick der Garage verwarf sie diesen Gedanken wieder. Schlagartig war alles klar. Das Auto war verschwunden.
Atemlos und mit hängenden Schultern stand Annabel Ruhland da und dachte nach. Schwer vorstellbar, dass Uwe sich in dieser Situation ums Geschäft kümmerte. Eigentlich gab es nur einen Ort, an dem er sein konnte.
Annabel begann zu zittern. Ein Morgenmantel war eindeutig die falsche Wahl für einen kühlen Wintermorgen wie diesen. Sie kehrte ins Haus zurück. Schlug die Tür hinter sich zu und hastete die Stufen hinauf in ihr altes Kinderzimmer.
Zwanzig Minuten später verließ sie das Haus mit fliegenden Schritten und wehendem Haar.
*
Mit weit ausgreifenden Schritten eilte Dr. Daniel Norden über den Flur. Er grüßte nach links und rechts. Wich einem Krankentransport aus. Blieb stehen und beantwortete die Frage einer Schwester, ehe er weitereilte. Die gute Nachricht von Bruder Pirmins baldiger Genesung hatte ihn in Hochstimmung versetzt. Wenn ein Tag so begann, konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen. Mit wehendem Kittel bog er ins Vorzimmer ab.
»Einen wunderschönen guten Morgen, liebe Andrea. Ich wünsche, wohl geruht zu haben.«
Andrea Sander schaltete die Kaffeemaschine ein und drehte sich um.
»Sie haben ja so gute Laune, Chef. Sagen Sie bloß, Sie haben die gute Nachricht schon bekommen?«
»Also falls Sie Bruder Pirmin meinen …«
Andrea trat an den Schreibtisch. Sie griff nach einem großen braunen Kuvert.
»Der Obduktionsbericht von Inga Ruhland.«
Die Papiere raschelten in Dr. Nordens Händen. Während der Lektüre stutzte er.
»Frau Ruhland litt an einer Entzündung der Blutgefäße im Gehirn. Sie war für die unstillbare Blutung verantwortlich.«
»Und was genau bedeutet das?«
Noch einmal ging Daniel Norden die Unterlagen durch. Es gab keinen Zweifel. Der Bericht aus der Pathologie war eindeutig.
»Frau Ruhland befand sich auch vor dem Unfall schon in akuter Lebensgefahr«, murmelte er, ohne den Blick von den Papieren zu wenden. »Ohne Vaskulitis hätte sie bei dem Unfall möglicherweise gar keine Hirnblutung erlitten.« Endlich hob er den Kopf. Sein Blick fiel über Andreas Schulter aus dem Fenster. Hinauf in den strahlend blauen Himmel. Er wusste, dass die Welt für Uwe Ruhland alle Farben verloren hatte. Aber vielleicht konnte ihn diese Nachricht wenigstens ein bisschen trösten.
Ein Rumpeln, gefolgt von einem empörten Ruf vor der Tür riss ihn aus seinen Gedanken.
»Passen Sie doch auf, wo Sie hinlaufen!«, rief eine Stimme. »Rennt einfach weiter! So eine Unverschämtheit!«
Daniel war auf dem Weg zur Tür, als sie aufgestoßen wurde. Uwe Ruhland tauchte auf. Sein Gesicht glänzte. Sein Atem ging stoßweise.
»Hier stecken Sie!«, keuchte er grußlos. »Wo ist diese Petzold?«
Einem ersten Impuls folgend wollte Dr. Norden den Rasenden um Ruhe bitten. Zum Glück erinnerte er sich rechtzeitig an Fees Ratschläge. Ihre Kenntnisse als Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie hatten ihm auch bei Erwachsenen schon oft weitergeholfen.
»Ich verstehe Ihren Schmerz, Herr Ruhland.«
»Gar nichts verstehen Sie! Fassen Sie mich nicht an!«, fauchte Uwe wie von Sinnen. »Meine Frau ist tot. Daran ist Ihre Frau Petzold schuld. Das wird sie mir büßen. So wahr ich hier stehe!«
»Herr Ruhland …«
»Wo. Ist. Sie?« Spucketröpfchen flogen durch die Luft. Uwe Ruhlands Blick hatte etwas Wildes, Irres. »Raus mit der Sprache! Sonst durchsuche ich das ganze Krankenhaus. Danach steht kein Stein mehr auf dem anderen. Da können Sie sicher sein.«
»Und Sie können sicher sein, dass meine Mitarbeiter keinen Fehler gemacht haben.« Daniels Stimme erschütterte den Raum. Andrea Sander ging in Deckung. So hatte sie