Patricia Vandenberg

Chefarzt Dr. Norden Staffel 5 – Arztroman


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Aber das war immer noch besser als ein Amoklauf in der Klinik. »Ihre Frau war schon vor dem Unfall todkrank. Früher oder später wäre sie mit einer Hirnblutung umgefallen. Verstehen Sie das?«

      Wie vom Donner gerührt stand Uwe Ruhland da. Er bebte am ganzen Körper.

      »Was haben Sie da gesagt?«, keuchte er.

      Dr. Norden atmete auf. Seine Strategie schien zu funktionieren.

      »Ihre Frau litt an einer unerkannten Entzündung der Blutgefäße im Gehirn.« Diesmal war seine Stimme ruhig.

      Er machte einen Schritt auf Ruhland zu.

      »Es hätte keine Rettung gegeben.« Daniel sprach laut und deutlich. Jedes einzelne Wort sollte in Uwes Bewusstsein vordringen. Sein Herz erreichen. Die Mauer durchbrechen, damit die Tränen Erlösung bringen konnten.

      Einen Moment lang hatten sowohl Andrea Sander als auch ihr Chef Hoffnung. Ruhland sah von einem zum anderen. Fassungslos.

      »Wie meinen Sie das? Inga war doch gesund. Sie hat nie etwas gesagt.«

      Daniels Herz zog sich vor Mitgefühl zusammen. Er ahnte, wie sich Uwe fühlte. Schließlich hatte er selbst unzählige Male am Bett seiner Lieben gehofft und gebangt. Beim Anblick des schwer verwundeten Mannes hatte er fast ein schlechtes Gewissen, dass ihm das Schicksal gnädig gewesen war.

      »Ihre Frau wäre in absehbarer Zeit gestorben. Oder ein Pflegefall geworden.« Daniel wusste nicht, was schlimmer war. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie leid es mir tut.« Er machte einen weiteren Schritt auf Uwe Ruhland zu. Streckte die Arme aus, um ihm die Hände auf die Schultern zu legen. Trost durch Berührung, durch menschliche Zuwendung zu spenden. Doch ehe er es sich versah, wandte sich Ruhland ab und lief aus dem Zimmer.

      *

      »Rücksichtslos, diese Menschen heutzutage.«

      Im letzten Augenblick war es Bruder Pirmin gelungen, den Infusionsständer vor dem Wahnsinnigen in Sicherheit zu bringen, der ihn um ein Haar über den Haufen gerannt hätte. »Herr, lass Anstand vom Himmel regnen.«

      Doch ein Blick aus dem Fenster verriet, dass es damit an diesem Tag nichts werden würde. Die Sonne strahlte vom makellosen Blau und erinnerte Pirmin an sein Vorhaben.

      »Frische Luft schnuppern. Mir den Wind um die Nase wehen lassen. Das Leben spüren, das Gott mir geschenkt hat. Ihm für seine Gnade danken«, murmelte er auf dem Weg zum Klinikgarten.

      Mit wachen Augen – als sähe er die Welt zum ersten Mal – wanderte er durch die Klinikflure. Betrachtete die großformatigen Landschaftsaufnahmen, die die Wände schmückten und die Patienten an die Schönheit der Welt erinnern, ihnen Mut machen sollten. Nebenbei grüßte er freundlich lächelnd nach links und rechts.

      Schwester Elena war schon fast an ihm vorbei, als sie innehielt.

      »Bruder Pirmin?«

      »Schwester.« Sein Lächeln wurde tiefer. »Gott segne Sie und Ihre Kollegen. Eine wunderbare Arbeit, die Sie hier verrichten.«

      »Danke.« Elena konnte nicht lächeln. »Aber was machen Sie hier? Sollten Sie nicht im Bett sein?«

      »Ihr Kollege Dr. Aydin hat mir gestattet, mir ein wenig die Beine zu vertreten.«

      »Aber Ihre Gesundheit …«

      »Es ist ein Wunder!«

      Pirmin hob die Hände gen Himmel. »Gott hat mich nicht vergessen und mir einen Engel geschickt.«

      Um ein Haar hätte Elena laut herausgeprustet.

      »Sie meinen doch nicht etwa Dr. Aydin?«

      »Und ob«, erwiderte Pirmin todernst. »Dieser Mann ist ein Heilsbringer wie alle Menschen, die hier arbeiten und wirken. Ich stehe tief in Ihrer Schuld und freue mich, mich wenigstens bei Dr. Aydin erkenntlich zeigen zu können. Abt Anselm freut sich schon auf ihn. Sein Zimmer ist vorbereitet.«

      Elena meinte, sich verhört zu haben.

      »Milan geht ins Kloster?«

      »Er wird unser Gast sein, bis seine Wohnung wieder bewohnbar ist.«

      »Hoffentlich haben Sie sich das gut überlegt«, platzte Elena heraus.

      Pirmin musterte sie überrascht.

      »Da gibt es nichts zu überlegen, Schwester. Dieser Mann hat mein Leben gerettet. Ich stehe tief in seiner Schuld.«

      Elena haderte mit sich. Sollte sie ihrem Freund und Kollegen einen Streich spielen? Sie trat einen Schritt näher.

      »Nichts für ungut, Bruder Pirmin«, raunte sie so leise, dass nur der Mönch sie hören konnte. »Aber in Wahrheit sucht Milan Aydin einen Weg, um Buße zu tun.«

      »Wirklich? Aber warum? Ein so edler Mann.«

      »Ich würde Ihnen uneingeschränkt recht geben, wären da nicht die Frauen …«

      Pirmin zuckte zurück.

      »Sie meinen er ist … er ist …«

      »Genau das meine ich«, flüsterte Elena zurück.

      Die Wangen des Mönchs färbten sich tiefrot.

      »Bei uns hat er die Möglichkeit, seine Fehler zu bereuen und Buße zu tun. Sie müssen nicht länger um sein Seelenheil bangen.«

      Elena lächelte. Zu schade, dass sie Milans Gesicht nicht sehen konnte, wenn er zum Beichtstuhl geführt wurde. Aber zumindest war sie sicher, sein Gezeter und Gemecker zu hören. Sie konnte nur hoffen, vor Lachen nicht vom Stuhl zu fallen.

      »Vielen Dank, Bruder.« Es fehlte nicht viel und sie hätte einen Knicks gemacht.

      »Gern geschehen.« Bruder Pirmin sah sich um. »Ach, könnten Sie mir noch den Weg zum Garten zeigen? So einen herrlichen Tag darf man nicht ungenutzt verstreichen lassen.«

      »Den Gang hinunter, dann rechts und die zweite Tür wieder rechts«, erklärte sie bereitwillig, ehe sie sich für den Moment verabschiedete. Höchste Zeit, an die Arbeit zurückzukehren.

      *

      Im Bauch der Klinik herrschte ein Betrieb wie in einem Ameisenhaufen.

      Schwestern und Pfleger eilten über die Flure.

      Überholten Ärzte, die auf dem Weg zu ihren Patienten die Köpfe zusammensteckten und über Diagnosen und geeignete Behandlungsmethoden diskutierten. Betten mit und ohne Patienten wurden an andere Orte gebracht. Dazwischen schwammen die Tresen der verschiedenen Stationen wie Inseln im stürmischen Meer.

      An einem solchen Ort trafen Sophie Petzold und Dr. Merizani an diesem Vormittag zusammen.

      »Gut, dass ich Sie treffe.« Die Ellbogen auf die nussbaumfarbene Theke gestützt, wartete Sophie auf eine Patientenakte, als Amir ebenfalls an den Tresen trat. »Es gibt gute Neuigkeiten.«

      Amir musterte sie aus unergründlichen Augen. Normalerweise war Sophie gar nicht schlecht darin, in fremden Gesichtern zu lesen. Bei Merizani scheiterte sie jedes Mal wieder.

      »So?« Mehr sagte er nicht.

      »Der Autopsiebericht von Frau Ruhland ist da. Wir sind von jeglicher Schuld freigesprochen.«

      »Haben Sie etwas anderes erwartet?«, fragte er ohne den Anflug eines Lächelns.

      Was für ein seltsamer Mann! Wäre Sophie nicht mit dem Chef der Notaufnahme liiert gewesen, hätte es sie gereizt, Merizanis Geheimnis zu lüften. Aber so …

      »Interessiert Sie nicht, woran Frau Ruhland gestorben ist?«

      Endlich lächelte Amir doch.

      »Mir sind schon bei der Operation die Gefäßveränderungen aufgefallen.«

      Sophie Petzold machte große Augen.

      »Dann wissen Sie, dass sie an einer Entzündung der Blutgefäße gestorben ist? Warum haben Sie nichts gesagt?«

      »Was