Paul Keller

Die Heimat


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war sie wieder allein. Aber das stille Lächeln auf ihrem Gesichte blieb. Die Lene kam und brachte die Lampe. Sie küsste die Mutter in grosser Eile und ging bald wieder hinaus.

      Es war so stille. Man hörte, wie die Lampe knisterte. Der Dackel war verfroren vom Felde gekommen und vertrug sich heute sogar mit der Katze, nur um ein Plätzchen am Ofen neben ihr in ungestörter Ruhe zu geniessen.

      Die Uhr schlug sieben. Da ging draussen knarrend das Hoftürchen, und ein schwerer, unsicherer Schritt schlurrte über den Hof. Das war wohl ihr Mann. Sie lauschte. Die Schritte verloren sich, er kam noch nicht ins Haus.

      Erst nach einer knappen Viertelstunde trat er bei ihr ein. Er hing die Mütze an einen Nagel und sah sich unsicher um.

      „Wo is der Heinrich?“

      „Er is ein bisschen drüben beim Schaffer.“

      „So. Beim Schaffer? Ge – hört a da hin? Was? Hierher gehört a! Der Schaffer is wohl wichtiger – wie – wie ich – was?“

      Die Frau wandte sich ab: „Er kommt gleich wieder!“

      „So? Kommt gleich! – Will ich auch – will ich auch wünschen.“

      Da ging schon die Haustür, und Heinrich kam. Hannes war in seiner Begleitung. Aber als er sah, dass der „Herr“ in der Stube war, zog er es vor, draussen zu bleiben.

      „Guten Abend, Vater!“

      „Nu, kommste endlich?“

      „Ja, ich war ein bisschen beim Schaffer, weil du noch nicht da warst.“

      „Weil ich – weil ich nicht da war? Werd’ wohl noch amal fortgehen können – was?“

      „Ich bitte dich, Hermann.“

      Der Junge setzte sich niedergeschlagen und verschüchtert an den Tisch.

      Sein Vater trat vor ihn, legte die Hand auf seine Schulter und schüttelte ihn ein bisschen. Dann sagte er mit rauher Stimme: „Na, haste schon die grosse Neuigkeit gehört, dass wir – dass wir – so gut wie bankerott sind?“

      „Vater!“

      „Hermann, ich bitte dich ...“

      „Was is da zu schreien? In a paar Monaten da wissen’s alle alten Weiber – da pfeifen’s die Sperlinge ...“

      Der Knabe richtete die Augen auf den Vater – entsetzt, fassungslos.

      „Vater! Was sagst du? Das ist doch nicht wahr!“

      Er sprang auf, klammerte die Hände um den einen Arm des Vaters, und der Mund verzog sich zu zuckendem Weinen. Raschdorf liess schwer das Haupt sinken.

      „Es ist wahr – ich sag’s ja eben – es ist nichts mehr zu machen ...“

      „Vater, müssen wir da fort von unserem Hofe? Müssen wir da fort von zu Hause?“

      Der Mann war plötzlich nüchterner geworden.

      „Ja“, sagte er, und seine Stimme ging schwer, „es geht hier mit uns zu Ende.“

      Da liess ihn der Knabe los und brach in bitterliches Weinen aus. Die kranke Frau im Lehnstuhl sah ihn mit unbewegtem Gesichte an. Langsam aus der tiefsten Quelle des Herzens stiegen zwei Tränen in ihre grossen Augen. Die galten ihrem Kinde, das einen Schicksalsspruch vernahm, der es aus seiner Heimat verbannte, und das es nun nicht glauben wollte und mit unschuldigen Tränen und Bitten sich dagegen vergebens wehrte. –

      Draussen war Nacht. Ringsum am Himmel hing ein Kranz aus lichteren Wolken. Aber über dem Buchenhofe drohte ein schwarzes Gewölk – finster – zerrissen. Regentropfen rieselten aus der Unheilswolke und trafen den Buchenhof, als ob ein finsterer Geist mit seinem Weihwedel dort oben stände und einen schrecklichen Segen spräche: das Weihewort des Verderbens.

      Eine dunkle Gestalt jagte flatternd über den Hof. Ein Keuchen ging von ihrem Munde. Sie fiel. Sie sprang auf. Die Haustür riss sie auf, die Stubentür: „Jeses, es brennt in der Scheune!“

      „Es brennt – es brennt!“

      Ein schriller Laut aus dem Munde der Frau, die sich erhob und leblos zurücksank.

      „Es brennt?! Es brennt?!“ Ein lallendes Kinderwimmern.

      „Es brennt!“ Ein lautes, gellendes Männerlachen! –

      Im Garten unter einem Apfelbaume, abseits von der Menge stand Mathias Berger, der Lumpenmann, und hielt mit seinen Armen Heinrich Raschdorf umschlungen. Ringsum standen Tische, Schränke, Stühle, lagen Betten, Kleider, Wirtschaftsgeräte verstreut im Garten.

      Der Markt der Unglücklichen!

      Die Fackeln des Unheils beleuchteten ihn. Das friedliche Laub der Bäume zitterte vor der Höllenglut, färbte sich rot und sank zur Erde. Und die kahlen Äste starrten dem Feuer entgegen, wie zitternde Tiere vor ringelnden Schlangen beben.

      „Heinrich! Du musst ins Haus! Sieh mal, das Wohnhaus brennt nich ab – das is nu vorbei! Du musst ins Warme, Heinrich!“

      „Ich will nicht, Mathias – ich – ich muss Wasser tragen!“

      „Du kannst nicht mehr! Du bist ja durchnässt, du zitterst ja am ganzen Leibe.“

      „Es ist unser Hof – ich – ich – oh – oh – Mathias ...“

      Der Knabe war ohnmächtig.

      Berger rief über den Garten:

      „Ehrenfried, he – Ehrenfried!“

      Ein Bauer kam heran.

      „Ehrenfried, pass a bissel auf hier, dass niemand was stiehlt! Ich muss den Jungen ins Warme bringen; er holt sich sonst den Tod.“

      Der Bauer war zu dem Dienst gern bereit.

      „Schaff ihn doch zum Schräger ’rüber ins Wirtshaus“, riet er.

      Berger schüttelte den Kopf und trug den ohnmächtigen Knaben ins Wohnhaus. Die Leute machten ihm scheu Platz.

      Ein donnerndes Krachen dröhnte durch den Hof. Eine hohe Mauer war eingestürzt. Funken sprühten um das ohnmächtige Kind und seinen Retter.

      Drinnen in der Wohnstube war der grosse Ofen noch warm, und Hund und Katze lagen friedlich unter der Ofenbank. Sonst war alles ausgeräumt. Nur die Petroleumlampe brannte noch. Aber ihr trautes Licht wurde schrecklich überstrahlt von der roten Lohe, die von draussen hereinleuchtete. Berger legte den Knaben auf den Fussboden und ging nach dem Garten zurück. Dort raffte er eine Menge Betten auf und trug sie nach der Stube.

      Fürsorglich bettete er das kranke Kind, nachdem er es der triefenden Kleider entledigt. Dann kniete er neben dem Lager nieder und drückte einen Kuss auf die kalte Stirn des Knaben.

      Da ging die Tür auf. Eine Frau trat langsam in die Stube. Ihre Stirn war marmorweiss, aber auf den Wangen brannte das Fieber, und das Feuer von draussen beleuchtete sie.

      „Berger! Was ist denn? O Gott, was ist?“

      Der Lumpenmann erhob sich und erschrak.

      „Frau Raschdorf, Sie! – Sie sollen doch im Gasthause bleiben! Es ist nicht gut für Sie ...“

      „Was ist mit Heinrich? Berger, was ist mit Heinrich?“

      „Er ist ohnmächtig, gerade erst ohnmächtig geworden. Er hat sich so sehr angestrengt, und dann die Aufregung ...“

      „Heinrich, mein lieber Heinrich!“ Und die Frau kniete aufweinend neben dem Lager nieder.

      Berger schlich hinaus. Aus dem grossen Durcheinander im Garten suchte er den Lehnstuhl und eine Decke heraus und trug beides nach der Stube.

      „Ich bringe Ihnen Ihren Lehnstuhl, Frau Raschdorf.“

      Sie erhob sich. „Mathias, er kommt nicht zu sich. Was wird werden? Was wird mit ihm werden?“

      Der Lumpenmann beugte