dauert der Sommer fast ein volles Erdenjahr, währenddessen der Pol in fortwährendem Sonnenschein liegt, so daß der Schnee zum größten Teil fortschmilzt. Die Pole des Mars sind daher den Marsbewohnern nicht nur bekannt, sondern sie haben gerade auf ihnen ihre bedeutendsten wissenschaftlichen Stationen angelegt. Denn die Pole eines Planeten sind ausgezeichnete Punkte, sie unterliegen nicht der Umdrehung um die Achse im Verlauf eines Tages, und sie bieten dadurch Gelegenheit zu Beobachtungen, die sich an keiner anderen Stelle so einfach anstellen lassen.
Gerade nun für die Untersuchung der Schwerkraft zeigte sich dies von größter Wichtigkeit. Ihre Wirkungen im Kosmos zu studieren, das heißt ihre Wechselwirkung mit andern kosmischen Kräften, mußte man sich von der Rotation des Planeten um seine Achse und allen dadurch entstehenden Komplikationen unabhängig machen. Dies konnte nur am Pol geschehen. Vom Pol gingen denn auch die Untersuchungen der Martier aus.
Die Martier hatten entdeckt, daß die Gravitation, ebenso wie das Licht, die Wärme, die Elektrizität, sich in Form einer Wellenbewegung durch den Weltraum und die Körper fortpflanzt. Während aber die Geschwindigkeit der strahlenden Energie, die wir als Licht, Wärme und Elektrizität beobachten, 300 000 Kilometer in der Sekunde beträgt, ist diejenige der Gravitation eine millionenmal größere. Nach den Berechnungen der Martier durchläuft die Gravitation den Raum mit einer Geschwindigkeit von 300 000 Millionen Kilometern pro Sekunde, sie verhält sich also zu derjenigen des Lichts etwa so wie die des Lichts zur Geschwindigkeit des Schalls. Den Weg von der Sonne bis zur Erde legt somit die Wirkung der Schwere in einem halben Tausendteil einer Sekunde zurück; kein Wunder, daß es den Astronomen der Erde nicht gelungen war, die von ihnen allerdings vermutete endliche Geschwindigkeit der Gravitation zu konstatieren.
Einen Körper, der die Lichtwellen nicht durch sich hindurchgehen läßt, nennen wir undurchsichtig; ließe er sie vollständig hindurchgehen, so würde er absolut durchsichtig sein, wir würden ihn so wenig sehen wie die Luft. Ein Körper, der die Wärmewellen durch sich hindurchgehen läßt, bleibt kalt; er muß sie in sich aufnehmen, sie absorbieren, um sich zu erwärmen. So ist es nun, wie die Martier entdeckten, auch mit der Gravitation. Die Körper sind darum schwer, weil sie die Gravitationswellen absorbieren. Körper ziehen sich nur dann gegenseitig an, wenn sie die von ihnen wechselseitig ausgehenden Gravitationswellen nicht durch sich hindurchtreten lassen. Sobald aber ein Körper so beschaffen ist, daß er die Gravitationswellen eines Planeten oder der Sonne nicht aufnimmt, sondern frei durchläßt, so wird er nicht angezogen, er hat keine Schwere, er ist diabar, schweredurchlässig, und dadurch schwerelos.
Die Martier hatte gefunden, daß das Stellit, ein auf ihrem Planeten vorkommender Körper, sich so verändern läßt, daß die Schwerewellen hindurchtreten können. Und mit diesem Augenblick wurde dieser Körper vom Mars wie von der Sonne nicht mehr angezogen. Allerdings ließ es sich nicht erreichen, absolut schwerelose Körper herzustellen, wie es ja auch keine absolut durchsichtigen Körper gibt; wohl aber ließ sich die Schwere so vermindern, daß sie nur kaum merklich auf den diabaren Körper wirkt. Indem man die Schwerelosigkeit verstärkte oder verminderte, konnte man nun, wenn einmal der Körper eine bestimmte Geschwindigkeit besaß, durch passende Benutzung der Anziehung der Planeten und der Sonne die Bahn des Körpers im Weltraum regulieren – vorausgesetzt, daß man sich in einem solchen diabaren Körper befand, in einer Kugel aus Stellit.
Dieses Wagestück, einen Apparat herzustellen, in welchem ein Mensch sich in den Weltraum schleudern lassen konnte, um dann durch Regelung der Anziehung, welche die Weltkörper auf ihn ausübten, seinen Weg zu lenken, das hatte zuerst der Martier Ar unternommen. Aber man hatte ihn nie wiedergesehen. War er in die Fixsternwelt jenseits des Sonnensystems hinausgeflogen? War er in die Sonne gestürzt? Umkreiste sein Raumschiff die Sonne oder irgendeinen Planeten als ein neuer Trabant? Niemand wußte es.
Aber andere kühne Forscher ließen sich nicht zurückschrecken. Sie hatten jetzt die theoretische Möglichkeit des interplanetaren Verkehrs eingesehen, es war jetzt keine Tollkühnheit mehr, sich dem Raum anzuvertrauen, sondern eine dringende Aufgabe der Kultur und somit eine sittliche Forderung, eine Pflicht der ›Numenheit‹. Die größte Schwierigkeit lag nur darin, die Geschwindigkeit unschädlich zu machen, welche der Planet in seiner eigenen Bahn besaß und die sich natürlich auf das schwerelose Raumschiff übertrug, sobald es den Mars verließ. Man reiste von einem der Pole ab, um von der Rotation des Planeten unabhängig zu sein, aber die Geschwindigkeit des Mars in seiner Bahn beträgt 24 Kilometer in der Sekunde, und mit dieser flog man hinaus in den Raum, fort von der Sonne in der Richtung der Tangente der Marsbahn. Es kam dann darauf an, sich der Sonnenanziehung in dem richtigen Augenblick zu überlassen, um durch die Flugbahn des Raumschiffs in den Anziehungsbereich der Erde zu gelangen. Man war somit ganz auf die vorhandenen Gravitationskräfte angewiesen, wie ein Schiff auf dem Meer auf die Richtung der Wasser- und Luftströmungen; und auf einen weiteren Erfolg konnte man erst hoffen, wenn es auch noch gelang, Mittel zu finden, die Richtung der erhaltenen Geschwindigkeit willkürlich abzulenken.
Aber auch dieses Problem war allmählich gelöst worden. Die Geschichte der menschlichen Entdeckungen auf der Erdoberfläche war nicht weniger reich an Opfern als diejenige der Versuche der Martier, den Weltenraum zu durchsegeln. Endlich aber war einmal nach jahrelangem Ausbleiben ein Raumschiff zurückgekehrt, das die Erde dreimal in großer Nähe umflogen hatte. Ein anderes war auf dem Mond der Erde gelandet. Zuletzt war es dem rastlosen Erdforscher Col auf seiner dritten Raumreise gelungen, den Nordpol der Erde zu erreichen. Der Südpol wurde zuerst vom Kapitän All betreten. Von jetzt ab verkürzte sich immer mehr die Reisezeit nach der Erde durch die vervollkommnete Technik der Raumfahrt, anstelle der vereinzelten Entdeckungsreisen trat eine planmäßige Besetzung des Nordpols. Und nachdem durch Konstruktion der Außenstation und die Errichtung des abarischen Feldes die Landung auf der Erde ebenso gesichert war wie die eines Dampfschiffes im Schutz eines trefflichen Hafens, waren die Martier an dem ersehnten Ziel angelangt, die Erde nach Belieben besuchen zu können.
Nur freilich, die beiden Pole waren bis jetzt die einzigen Punkte, welche sie zu erreichen vermochten. Am Südpol hatten sie eine ähnliche, wenn auch kleinere und weniger benutzte Station angelegt wie am Nordpol. Denn nur während des Sommers der Nordhalbkugel konnten sie die Nordstation unterhalten. Im Winter verlegten sie das abarische Feld auf den Südpol, der zu dieser Zeit Sommer hatte. Dagegen war es ihnen noch nicht gelungen, zu den bewohnten Teilen der Erde vorzudringen. Noch niemals hatten sie einen zivilisierten Menschen kennengelernt. Einige Eskimos waren die einzigen Vertreter, nach denen sie die Eigentümlichkeiten der Erdbewohner zu beurteilen vermochten. Aber bei ihren Umkreisungen der Erde in der Entfernung von einigen tausend Kilometern zeigten ihnen ihre vorzüglichen Instrumente natürlich die Einrichtungen der Kultur in solcher Deutlichkeit, daß sie sehr wohl wußten, die Hervorbringer dieser Werke seien keine Eskimos. Doch an andern Stellen als an den Polen zu landen, war ihnen bisher nicht gelungen. Durch die Rotation der Erde wurden die Verhältnisse dort so kompliziert, daß die technischen Schwierigkeiten nicht überwunden werden konnten. Diese ergaben sich aus der besonderen Natur der Gravitation und dem dadurch bedingten Bau der Raumschiffe, welche dem Druck der Luft und ihren Stürmen nicht widerstehen konnten. Auch am Pol war ja die Landung erst mit Sicherheit durchzuführen, seitdem es nach vielen Opfern und Verlusten gelungen war, die Außenstation zu errichten und so die Raumschiffe außerhalb der Atmosphäre zu halten. Wie die Brandung einer Insel gegen die Überrumpelung durch landende Feinde schützt, so deckte die Umdrehung um ihre Achse und die Dichtheit ihrer Atmosphäre die Erde gegen einen plötzlichen Einfall der Marsbewohner von der Luftseite her. Nur am Pol konnten sie sich festsetzen. Und wenn sie nun auf der Erde vordringen wollten, so mußte dies über die Gletscher und Eisschollen der Polargegenden geschehen.
Mit diesem Plan trugen sich nun freilich die Marsbewohner. Aber die Überwindung dieser Eiszonen bot ihnen ebensoviel Schwierigkeiten, als wenn Europäer in das vernichtende Sumpfklima eines tropischen Urwaldes oder über die wasserlose Wüste vordringen wollten. Unsere Schiffe tragen uns wohl ans Ufer unbekannter Länder, aber in das Innere vermögen wir erst später und unter den größten Schwierigkeiten einen Einblick zu gewinnen. Die Martier hatten auf der Erde vor allem mit zwei gewaltigen Hindernissen zu kämpfen: Luft und Schwere. Die Dichtigkeit der Luft, ihre Feuchtigkeit und die Größe des Luftdrucks waren für die Konstitution ihres Körpers verderblich; sie konnten das Klima der Erde nur kurze Zeit ertragen. Und die Stärke der Schwerkraft, dreimal so groß