Jakob Wassermann

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann


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Jahrzehnten berühren, dem König von Portugal. Er wandte sich, wie üblich, an den Beichtvater des Königs, setzte ihm in einem bemerkenswerten Brief die geographischen Verhältnisse, wie er sie auffaßte, klar auseinander und empfahl den Seeweg nach Indien mit den dringlichsten Argumenten. Er schrieb am 24. Juni 1474: »Ihr erseht aus meiner Karte, daß die Entfernung von Lissabon nach der Stadt Quinsay sechsundzwanzig Espacios, d. h. dreitausend neunhundertdreißig Meilen beträgt, die von der Insel Antilia bis nach Zipangu (d. i. Japan) fünfzehnhundert Meilen. Ich wünsche, daß die Karte Seiner Hoheit gefallen möge und bitte, Deroselben zu sagen, daß ich bereit und willens bin, in jeder Sache, zu der ich befohlen werde, zu Diensten zu sein.«

      König Alfonso, sei es, daß es ihm an Geld mangelte, sei es, daß seine Interessen nach anderer Richtung gingen, zeigte keine Neigung für das Projekt, und so blieb der Brief des Florentiners jahrelang unbeachtet in den Archiven liegen. Columbus, der schwerlich vor dem Jahr 1477 nach Portugal gekommen ist, mag auf irgendeine Art davon erfahren haben. Man kannte seine Leidenschaft, wie hätte er sie seiner Umgebung verhehlen können, man wußte, daß er mit seinem glühenden Traum eingesperrt war wie mit einem Tiger im Käfig, an dessen Gittern er verzweifelt rüttelte, man wird ihm gesagt haben: Toscanelli hat dem König ein wichtiges Geheimnis mitgeteilt, sieh zu, daß du das Dokument zu lesen bekommst. Das wurde nun sein einziges Trachten. Wahrscheinlich hatte ihn seine Frau mit Personen aus den Hofkreisen in Verbindung gebracht, durch deren Einfluß er die monumentale Epistel des Italieners lesen durfte, vielleicht nur in der Abschrift. Und was er las, muß ihn mit Blitzgewalt getroffen haben. Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß diese Stunde sein Schicksal gebar. Von da an vermochte er, was er wollte, zu formulieren.

      Er schrieb nun seinerseits an Toscanelli, und zwar so, als wisse er nichts von dessen Brief an den König, kenne auch die Erdkarte nicht, die der Florentiner an den Beichtvater geschickt. Toscanelli antwortete mit großer Bereitwilligkeit, schickte eine neue Karte, gab genaue Auskunft und schloß mit den Worten: »Seid versichert, daß Ihr mächtige Königreiche finden werdet und daß es den Fürsten, die dort herrschen, Freude bereiten wird, wenn Ihr ihnen den Weg öffnet, mit der Christenheit in Verbindung zu treten und in unserer Religion und allen unsern Wissenschaften unterrichtet zu werden.«

      Columbus, sehr empfänglich für jede Art der Weissagung, schloß diese tief in sein Herz und machte sie zu seinem Glaubensartikel. Durch die Ermunterung eines solchen Mannes fühlte er sich gleichsam zum Ritter geschlagen, und nun kam alles darauf an, das Ohr des Königs zu gewinnen. Es war König Joan, dem er sein Anliegen vortrug, Alfonso war 1481 gestorben. Was er hierfür an Material, an Nachweisen, an Argumentation gesammelt, in mühevoller Arbeit vermutlich, entzieht sich unserer Kenntnis, mit alleiniger Ausnahme des Umstandes, daß er es ängstlich vermied, sich auf Toscanelli zu beziehen. Alle seine Gewährsmänner führte er ins Feld, Dichter, Philosophen, Astrologen, die biblischen Propheten, hier wie später in Spanien, den Namen Toscanelli nannte er nicht, obschon es nahelag, dem gefeierten Manne seine Reverenz zu erweisen und sich selbst dadurch zu beglaubigen.

      Sonderbar. Dabei steht fest, daß er bei der ersten Ausfahrt, zehn Jahre nachher, Toscanellis Karte an Bord hatte und nach ihr die Fahrtrichtung bestimmte. Wenn es nicht schlechtes Gewissen war, was ihn zu dieser Felonie bewog, war es vielleicht die Angst vor dem Zeitgenossen, die am Anfang begründeter Hoffnung seine dunkle und dämonisch befangene Seele erfüllte; denn wie Toscanelli ihn zur Tat befeuert, mochte es auch einem andern geschehen sein, der ihm zuvorkommen konnte. War er der erste nicht, so war er verloren und verworfen.

      Die ganze Briefgeschichte hat unter den bedingungslosen Anhängern des Columbus von jeher eine Art Panik verursacht. Um ihn von dem Vorwurf der Unredlichkeit und Hinterhältigkeit zu reinigen, wurden die Daten verschoben, der Wortlaut verschleiert oder bewußt mißdeutet, der Sachverhalt vertuscht. Alles, um glauben zu machen, er habe sich aus eigenem Antrieb an Toscanelli gewendet und nicht erst auf Schleich-und Umwegen Einblick in den jahrealten Brief an König Alfonso erhalten. Sein Brief an den Florentiner kann aus sehr stichhaltigen Gründen kaum vor dem Jahre 1479 abgefaßt sein; schon dies heißt seiner Geduld viel zumuten, denn da König Alfonso den Vorschlag Toscanellis abgelehnt hatte und ein zweiter Versuch zwecklos gewesen wäre, dauerte es ohnehin zwei Jahre, bis sich seine Aussichten durch den Tod Alfonsos verbesserten. In der Zwischenzeit wird er wohl sein Projekt den Regierungen von Frankreich und England und dem Rat von Genua vorgelegt haben, um überall abgewiesen oder vertröstet zu werden.

      Aber darum handelt es sich nicht. Um Ehrenrettung nicht, um Bemäntelung und Schönfärberei nicht. Hier soll kein Postament errichtet, sondern ein Mensch gezeigt werden, dessen eigentümliche, mit Finsterkeit vermengte Größe erst hinter der traditionellen Historie erkennbar wird. Alle die moralischen Anfechtbarkeiten gehören wie die geschichtlichen Unsicherheiten in das Kapitel ›Nebulosa de Colón‹, das ein moderner spanischer Schriftsteller mit einer Fülle von Stoff ausgestattet hat. Wären die Bemühungen der Kirche, diese Nebel zu zerstreuen, um einen neuen Heiligen zu inthronisieren, nur im entferntesten geglückt, so hätte die Figur damit ihren tragischen Glanz und ihre ergreifende Problematik eingebüßt.

      Mit dem Tag, wo ihm König Joan Audienz gewährt, tritt Columbus in das volle Licht der Geschichte.

      Er verheißt goldene Berge, im wahrsten Sinn. Er verspricht das Paradies, ebenfalls ohne Metapher, denn es zu finden, will er ausziehen. Er zeigt sich als ein Mann von erstaunlicher Beredsamkeit, und obschon ihm diese Gabe angeboren ist, kann man sich doch vorstellen, bis zu welchem Fieber, zu welch hinreißender Gewalt sie sich steigert, da er zum erstenmal Gelegenheit hat, an so hohem Ort von seiner Idee, von seiner Mission zu sprechen und alles vom Nein oder Ja des Fürsten abhängt.

      Der König schwankt. Er läßt den Vorschlag von seinen Räten prüfen. Die Räte erklären Columbus für einen hirnlosen Schwätzer, der mit seinen Phantastereien von der Insel Zipangu keinen Glauben verdiene. Hätte der Monarch noch irgend Neigung gehabt, sich weiter in Verhandlungen einzulassen, so mußte er durch die geradezu unsinnigen Forderungen des Mannes abgeschreckt werden. (An eben diesen Forderungen hielt er auch später den spanischen Hoheiten gegenüber mit eisenstirniger Hartnäckigkeit fest, ohne zu begreifen, daß sie ihn in den Augen jedes vernünftig und billig Denkenden zum Verrückten stempelten.)

      Eine zweifelhafte Überlieferung berichtet, daß König Joan heimlicherweise ein Schiff ausgerüstet, es mit den Plänen und Karten des Genuesen versehen und unter dem Vorwand, es solle Proviant nach den Kapverdischen Inseln bringen, auf eine Entdeckungsreise ausgeschickt habe. Der Schiffer sei jedoch unverrichteterdinge zurückgekehrt und habe beteuert, Orkane und stürmische See hätten der Fahrt unüberwindliche Hindernisse bereitet. Diese treulose Handlung habe Columbus veranlaßt, den portugiesischen Hof zu verlassen und nach Spanien zu fliehen.

      So einfach war die Sache nicht. Die Flucht des schwer enttäuschten Mannes steht allerdings fest, die Motive sind aber dunkel. Es scheint, daß er mit den Gerichten in Konflikt kam. Einige Andeutungen (in einem späteren Brief des Königs) lassen darauf schließen, daß ihm Schuldhaft, wenn nicht Schlimmeres, drohte. Man darf nicht vergessen, daß er ein gedrückter kleiner Beamter war, vielleicht nicht einmal das, Herumlungerer, Petitionist, Antichambrist, Pläneschmied. Solchen Personen mißtraut man instinktiv, und sie sind beständig in Gefahr, geringe Verfehlungen wie große Verbrechen büßen zu müssen, wozu noch der Ruf der Lächerlichkeit kommt, in dem sie stehen.

      Er nimmt sein Söhnchen Diego auf die Reise mit, die Frau und die kleineren Kinder bleiben in Portugal, vermutlich in Not und Elend. Besorgt, diese Herzlosigkeit könne ein allzu übles Licht auf ihren Heros werfen, behaupten moralisierende Biographen, Donna Filippa sei schon vorher gestorben, und er habe das älteste Kind zu einer Verwandten nach Huelva in Spanien bringen wollen. Ich vermag aber nicht zu glauben, daß ihn in diesem finstern Lebensmoment Rücksichten des Gefühls sollten verhindert haben, ein Land zu verlassen, wo er keine Hilfe mehr zu erwarten hatte. Der Kern seines Wesens ist Unrast. Er ist ewig auf der Flucht, bis zu seinem Tode. Unablässig wandert er durch die Länder, zieht er durch die Meere, eine der friedlosesten Gestalten, von denen die Geschichte weiß.

      Es ist ungemein fesselnd, von der weiten Entfernung aus, die der historisch abgeschlossene Verlauf erzeugt, zu beobachten, wie ein großer Mensch von seinem Stern wie durch eine nie aussetzende magnetische Kraft zu dem ihm bestimmten Ziel hingezogen wird; was er