Jakob Wassermann

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann


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er ihn. Er küßte ihn auf die Lippen und fragte zärtlich: »Warum sind deine Lippen kalt?« er betastete ihm Haupt und Hände, er lachte kindlich und herzte ihn, – aber Hephästion? Hephästion schwieg. Hephästion schaute in Alexanders Augen, er schaute tief in ihn hinein. Da war er des Lebens müde, da begann er des Todes sich zu freuen. Denn was er in einer Sekunde überirdischer Hellsichtigkeit dort erblickte, war ein Schicksal, so hart, so qualvoll, so unerhört, daß es zum Wahnsinn führte, nur darum zu wissen. Wie sie nun so Brust an Brust standen, blickte jeder in eine andere Welt. Plötzlich machte sich Hephästion los, drückte Alexander stumm die Hand und ging, seine Schwäche verbergend, den Rest der Besinnung gewaltsam festhaltend. Jetzt war Alexander durch etwas Geheimnisvolles in Hephästion betroffen. Er setzte sich auf einen Sessel, stützte den Kopf in die Hand und verfiel in ein langes Nachdenken, beeinflußt durch die Nacht, durch die starr horchenden Augen der Söldner, durch irgendeinen Singsang vor dem Tor und durch eine wunderliche Trauer, die aus seinem Innern stieg wie Nebel aus dem Wasser.

      Hephästion verließ die Stadt. Er war mit eiskaltem Schweiß bedeckt, und der Kopf auf den Schultern wurde ihm zur fürchterlichen Last. Wenn er die Augen aufschlug, schwirrte die Luft um ihn wie geschmolzenes Silber. Vor einem Zelt war eine Frauensperson beschäftigt, Melonen aufzuschneiden und in Honigwasser zu legen. Ihn erfaßte Begierde nach der Frucht, ebenso rasch ekelte ihn wieder. Der Hauch aus seinem Mund war so heiß und trocken, daß bei jedem Atemzug die Lippen schmerzten. Die Knochen schienen als eine weichliche Masse im Körper zu zerfließen. Verzehrend war sein Durst, aber er konnte nicht reden. Er hörte das Meer, es war wie ein wunderbares Töne-Gespinst, und den Zuruf der Matrosen. Nyppapai, riefen sie, Ryppapai!

      In geringer Entfernung tauchte ein Zug von Männern auf: Griechen, Perser, Babylonier. Ihre Gesichter waren aufgedunsen. Sie verrenkten im Tanz die Glieder, jauchzten und jammerten, trugen kleine geschnitzte Götterbilder, die sie küßten. Allen voran stand Liblitu in einem muschelförmigen Wagen auf hohen Bronzerädern, der von zwei zahmen mesopotamischen Panthern gezogen wurde.

      Hephästion sah sich der Babylonierin gegenüber. Von den Haaren herab wallte ihr nach rückwärts ein weißes Gewebe, das ganz mit Silberplättchen durchflochten war und einen zauberhaften Schimmer verbreitete. Wie in einer glitzernden Wolke stand sie nackt darin. Dicke Perlenketten liefen von Ohr zu Ohr über die Stirn, und zwischen den Brüsten trug sie, an dünner Goldkette befestigt, einen herrlichen Topas.

      Hephästion wandte keinen Blick von ihr. »Du Traumgenosse,« redete sie ihn lächelnd an.

      Die Panthertiere wurden unruhig, ihre tückischen gelben verschlafenen Augen zogen sich zusammen. Sie schlugen mit den Schwänzen und scharrten mit den Pranken die Erde. Als Liblitu mit der Zunge schnalzte, setzten sie sich in Bewegung. Das Gesicht des Weibes, vom Fieber verzerrt, blieb Hephästion zugewandt. »Du Traumgenosse,« sagte sie.

      Ein Priester stimmte den Klagegesang an, um die Dämonen des Fiebers zu rühren: In Fesseln bin ich geworfen, ein Dolch hat mich durchbohrt, ich kann nicht mehr aufatmen in der Nacht, meine Gedanken sind zerrissen, kein Gott hilft, keine Göttin faßt meine Hand, offen ist das Grab.

      Sie waren vor dem Tempel angelangt. Der Oberpriester öffnete das Tor und sagte: »Tritt ein, meine Herrin, die Todesgöttin befiehlt es.«

      Liblitu stieg vom Wagen. Der alte Priester nahm ihr die Perlenschnur von der Stirn. »Warum, Wächter, nimmst du mein Geschmeide?« fragte sie demütig.

      »Die Todesgöttin befiehlt es,« antwortete der Priester. Dann löste er die Nadel, durch die der Schleier in den Haaren befestigt war.

      »Warum, Wächter, tust du das?« fragte sie.

      »Die Todesgöttin befiehlt es,« entgegnete der Priester.

      Die Nacht kroch über die Stadt, lauernd wie ein Skorpion. Ihre Augen funkelten von Mordgier. Sie fraß das Licht von der Erde weg wie eine Schlange den harmlos zögernden Vogel, würgte es hinab in ihren Bauch – der an-und anschwoll, die Finsternis selbst. Es ragten Säulen in diese Dunkelheit, wie angsterstarrte Warnungsfinger, Mauern erhoben sich wie todumfangene Stirnen, Straßen liefen wie Sand, der vor Grauen beweglich geworden ist, Palmen standen mit den Kronen auf eine Seite geneigt gleich windbewegten Fackelflammen. Es dufteten die Malven, das Kardamon und Phönixgras.

      Niemand durfte schlafen oder wachen in Opis. Die erstgeborenen Söhne wurden in unterirdische Gemächer gebracht und man zitterte für ihr Leben. Alle Fieberkranken wurden vor die Mauern getrieben; entkleidet und mit gräßlichem Geschrei jagten sie durch die Dunkelheit und mieden die hellerleuchteten Lager der fremden Heere.

      Perser und Makedonier, durch die Gastfreundschaft der Fürsten vereinigt, feierten ein Trinkgelage. Die goldbefransten Purpurdecken der Zelte glühten in tausendfachem Fackellicht und im Schein der mächtigen Pechflammen. Von Stamm zu Stamm der jungen Zypressen kränzten und spannten sich dunkelleuchtende Weinreben. Alles schrie, sang und tanzte. Zu Hunderten hatten sich fremde Barbaren eingefunden, mit Lorbeer und Efeu geschmückt. Sklaven lagen bäuchlings und schlürften den auf der Erde verschütteten Wein. Man verlangte nach Alexander. Alexander war beim Fackellauf der Knaben. Kyprische Kranzflechterinnen zogen liedersingend zum Platz des Wettkampfes.

      Da ertönte aus der Finsternis der Ebene herein ein Schrei: furchtbar langgezogen, heiser, in Absätzen immer wieder beginnend. Und er kam näher. An der Grenze des Lichtkreises tauchte ein riesengroßer Körper auf, oder doch riesengroß erscheinend in der zerteilten Beleuchtung, eine rote Brust, ein helmloses Haupt von schwarzen Haaren umstürmt, zähnefletschend, die Lippen voll Schaum. Mehr gleitend als gehend, schleifte er weit vorgebeugt an seinem linken Arm einen Weiberkörper nach, den er an den Haarwurzeln gefaßt hatte.

      Die Makedonier taumelten entsetzt auseinander, als sie Hephästion erkannten. Sein Kleid war zerfetzt, die Rüstung beschmutzt, die Füße nackt. Fortwährend schrie er denselben Schrei. Er sauste in den Lichtkreis der Gelage und schleuderte die Babylonierin, die er an den Haaren dahergezogen hatte, wie ein erlegtes Wild quer über einen der Tische. Dann wankte er und stützte die Stirn schwer gegen den Stamm eines Baumes. Der Saft einer Traube, die er so zerquetschte, rann ihm wie Blut über das Gesicht. Er ergriff mit beiden Armen eine hüftenhohe Amphore, neigte sie, kauerte nieder und trank in gierigen Zügen. Als er fertig war, blickte er starr zum Himmel und sah Sterne, Sterne hoch über Wasser und Land, den stillen Nordstern und Dionysos leuchtendes Antlitz.

      Langsam schlossen sich seine Augen. Schauer auf Schauer durchschüttelte ihn. Er griff mit den Armen um sich und stürzte zu Boden. Ein Grieche suchte ihn aufzuhalten »Er stirbt!« schrieen die Makedonier. Der Hauptmann Lamachos warf sich auf ein Pferd um Alexander zu holen. Einige liefen nach den Ärzten. Ein paar Sklaven umstanden den Leichnam der Liblitu.

      Siebentes Kapitel.

       Die Nächte zwischen den Strömen

       Inhaltsverzeichnis

      Alexander war über die Brüstung des Spielplatzes gebeugt und jauchzte dem Makedonischen Knaben zu, der mit der Fackel im hocherhobenen Arm wie ein Vogel dem Ziel entgegenflog.

      Der Sand spritzte von den Zehen des Jünglings. Die fast wagrecht liegende Flamme der Fackel schien der stürmischen Bewegung entgegenzuwirken, und wie die Sandkörner von den Füßen des Läufers, sprühten die Funken von ihr in die Nacht. Dicht hinter dem Makedonier folgten zwei junge Griechen, dann andere, die für den Wettkampf gar nicht mehr in Betracht kamen.

      Die Gesichter der Zuschauer tauchten in die Halbnacht, und die geöffneten Lippen formten schon den Schrei, mit dem sie den Sieger begrüßen wollten. Noch drei Spannen, – noch eine, – der Makedonier hatte gewonnen. Aufseufzend wie ein Sterbender brach er in die Kniee, die Fackel flog verlöschend von ihm zu Boden, mit beiden Händen umklammerte er den Pflock, und während die Griechen, über seinen Körper stolpernd, gleichfalls niederstürzten, erschallte das betäubende Beifallsgeschrei der Makedonier. Sie klatschten in die Hände, stampften auf den Boden, warfen Blumen und Kränze über den Sieger, dessen Körper von einer dicken Staubkruste überzogen war.

      Da