Stefan Zweig

Mesmer - Mary Baker Eddy - Freud: Die Heilung durch den Geist


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Akademie greift ein

       Inhaltsverzeichnis

      Angesichts einer so tollwütig um sich greifenden Epidemie geht es nicht länger an, Mesmer wissenschaftlich als nicht vorhanden zu betrachten. Die Möglichkeit oder Unmöglichkeit des animalischen Magnetismus ist aus einem Stadtgespräch zu einer Staatsangelegenheit geworden, der erbitterte Streit muß endlich vor dem Forum der Akademie entschieden werden. Das geistige Paris, der Adel hat sich fast restlos für Mesmer entschlossen, am Hofe steht die Königin Marie Antoinette unter dem Einfluß der Prinzessin von Lamballe völlig auf seiner Seite, alle ihre Palastdamen vergöttern den »göttlichen Deutschen«. Nur ein einziger im Bourbonenschloß blickt mit unerschütterlichem Mißtrauen auf das magische Treiben: der König. Gänzlich unneurasthenisch, die Nerven eingepolstert in Phlegma und Speck, ein rabelaisischer Fresser, ein guter Verdauer, vermag Ludwig der Sechzehnte einer seelischen Heilkur wenig Neugier abzugewinnen; und als Lafayette vor seiner Abreise nach Amerika sich bei ihm abmeldet, spottet der gutmütige Monarch ihn wohlgelaunt aus, »was wohl Washington sagen würde, daß er sich zum Apothekerlehrling des Herrn Mesmer hergegeben habe«. Er liebt eben keine Unruhe und keine Aufgeregtheiten, der gute, feiste König Ludwig der Sechzehnte, aus ahnungsvollem Instinkt verabscheut er Revolutionen und Neuerungen auch auf geistigem Gebiet. Als sachlicher und gründlicher Ordnungsmensch wünscht er darum, daß endlich einmal Klarheit in diesem endlosen Gezänke um den Magnetismus geschaffen werde; und im März 1784 unterschreibt er einen Kabinettsbefehl an die Gesellschaft der Ärzte und die Akademie, sofort den Magnetismus in seinen nützlichen wie schädlichen Folgeerscheinungen amtlich zu untersuchen.

      Einen imposanteren Ausschuß, als die beiden Gesellschaften für jenen Anlaß erwählten, hat Frankreich selten gesehen: fast alle seine Namen sind heute noch weltberühmt. Unter den vier Ärzten befindet sich ein gewisser Dr. Guillotin, der sieben Jahre später jene schöne Maschine erfinden wird, die alle irdischen Krankheiten in einer Sekunde heilt: die Guillotine. Unter den anderen Namen leuchtet ruhmvoll jener Benjamin Franklins, des Erfinders des Blitzableiters, Baillys, des Astronomen und späteren Bürgermeisters von Paris, Lavoisiers, des Erneuerers der Chemie, und Jussieus, des berühmten Botanikers. Aber alle Gelehrsamkeit läßt diese sonst wunderbar weitsichtigen Geister nicht ahnen, daß zwei von ihnen, der Astronom Bailly und der Chemiker Lavoisier, wenige Jahre später ihren Kopf unter die Maschine ihres Kollegen Guillotin legen werden, mit dem sie jetzt freundschaftlich vereint den Mesmerismus untersuchen.

      Eile widerspricht der Würde einer Akademie, Methodik und Gründlichkeit sollen sie ersetzen. So dauert es einige Monate, ehe die gelehrte Gesellschaft das endgültige Votum verfaßt. Ehrlich und redlich erkennt dieses amtliche Dokument zunächst die unleugbare Wirkung der magnetischen Kuren an. »Einige sind ruhig, still und verzückt, andere husten, spucken, fühlen einen leichten Schmerz, eine lokale Wärme am ganzen Leib und haben Schweißausbrüche, andere sind von Konvulsionen geschüttelt. Die Konvulsionen sind außerordentlich in ihrer Zahl, Ausdauer und Kraft. Sobald sie bei einem beginnen, äußern sie sich gleichfalls bei den anderen. Die Kommission hat solche gesehen, die drei Stunden gedauert haben, sie sind vom Auswurf eines trüben, schleimigen Wassers begleitet, das die Gewalt dieser Anstrengungen herausreißt. Man sieht auch einzelne Blutspuren darin. Diese Konvulsionen sind charakterisiert durch rasche und unbeherrschte Bewegungen aller Glieder und des ganzen Körpers, Krämpfe in der Kehle, Zuckungen in der Bauchgegend (hypochondre) und Magengegend (épigastre), in Verwirrtheit und in Starre der Augen, grellen Schreien, Aufstoßen, Weinen und wilden Lacherregungen; ihnen folgen dann lange Zustände der Ermüdung und Trägheit, Niedergeschlagenheit und Erschöpfung. Der kleinste, unvermutete Lärm läßt sie zusammenschrecken, und man hat bemerkt, daß Veränderungen in Ton und Takt der auf dem Pianoforte gespielten Melodieen die Kranken beeinflussen, so daß ein rascheres Tempo sie noch mehr anregt und die Wildheit ihrer Nervenausbrüche steigert. Nichts ist erstaunlicher als das Schauspiel dieser Konvulsionen; wenn man sie nicht gesehen hat, kann man sich davon keinen Begriff machen. Man ist jedenfalls überrascht, einerseits über die Ruhe einer Reihe von Kranken und wiederum die Erregung bei den anderen, über die verschiedenen Zwischenfälle, die sich immer wiederholen, und die Sympathie, die sich zwischen den Kranken bildet; man sieht Kranke, die einander zulächeln, zärtlich miteinander sprechen, und dies mildert ihre Krämpfe. Alle sind dem unterworfen, der sie magnetisiert. Ob sie auch in einer scheinbaren Erschöpfung sind, sein Blick, seine Stimme holen sie sofort heraus.«

      Daß also Mesmer auf seine Patienten suggestiven oder sonstigen Einfluß übt, ist nun amtlich bescheinigt. Irgend etwas, stellen die Professoren fest, ist da im Spiel, etwas Unerklärliches und ihnen trotz aller Gelehrsamkeit Unbekanntes. »Man kann nach diesen ständigen Wirkungen eine gewisse Kraft nicht ableugnen, die auf die Menschen wirkt, sie beherrscht und deren Träger der Magnetiseur ist.« Mit dieser letzten Formulierung hat die Kommission eigentlich den Finger schon ganz nahe an dem heiklen Punkt: ihr fällt sofort auf, daß diese überraschenden Phänomene vom Menschen, von der besondern Persönlichkeitswirkung des Magnetiseurs ausgehen. Ein Schritt noch weiter gegen diesen unerklärlichen »rapport« zwischen Magnetiseur und Medium, und hundert Jahre wären übersprungen, das Problem in den Gesichtswinkel der modernen Betrachtung gerückt. Aber die Kommission tut diesen einen Schritt nicht. Ihre Aufgabe ist, laut königlichem Reskript festzustellen, ob ein magnetischanimalisches Fluid, also ein neues physikalisches Element existiere oder nicht. Schulmäßig genau stellt sie darum nur zwei Fragen, groß A und groß B, erstens, ob dieser animalische Magnetismus überhaupt nachweisbar, zweitens, ob er als Heilmittel nützlich sei: »denn«, argumentiert sie more geometrico, »einerseits kann wohl der animalische Magnetismus existieren und nicht nützlich sein, aber keinesfalls kann er nützlich sein, wenn er nicht existiert.«

      Nicht um den geheimnisvollen Kontakt zwischen Arzt und Patienten, zwischen Magnetiseur und Medium – das ist, um das eigentliche Problem – bemüht sich also die Kommission, sondern einzig um die »présence sensible« des geheimnisvollen Fluids und dessen Nachweisbarkeit. Kann man es sehen? Nein. Kann man es riechen? Nein. Kann man es wägen, tasten, messen, schmecken, unter dem Mikroskop beobachten? Nein. Also stellt die Kommission zunächst diese Nichtwahrnehmbarkeit für die äußern Sinne fest. »S’il existe en nous et autour de nous, c’est donc d’une manière absolument insensible.« Nach dieser nicht sehr schwierigen Feststellung geht die Kommission daran, zu untersuchen, ob wenigstens eine Wirkung dieser unsichtbaren Substanz nachweisbar sei. Zu diesem Behufe lassen sich die Experimentatoren zunächst einmal selbst magnetisieren. Aber auf Skeptische und Kerngesunde wirkt bekanntermaßen suggestive Behandlung so viel wie gar nicht. »Keiner von uns hat etwas gefühlt und zumindest nichts, was als Reaktion des Magnetismus erklärt werden könnte; ein einziger hat am Nachmittag eine Nervenreizung empfunden, aber keiner von uns ist zur Krise gekommen.« Nun schon mißtrauisch geworden, untersuchen sie die unbestreitbare Tatsache der Wirkung bei den anderen mit gesteigerter Voreingenommenheit. Sie stellen den Patienten eine Reihe von Fallen; sie reichen zum Beispiel einer Frau mehrere Tassen, von denen nur eine einzige magnetisiert ist, und tatsächlich irrt sich die Patientin und wählt eine andere Tasse als die magnetisierte. Damit schiene die Wirkung als Schwindel, als »Imagination«, als Einbildung erwiesen. Aber gleichzeitig müssen die Akademiker doch zugeben, daß bei ebenderselben Patientin sofort eine Krise entsteht, sobald der Magnetiseur selbst ihr die Tasse hinreicht. Die Lösung liegt also abermals ganz nah und eigentlich schon auf der flachen Hand: sie müßten jetzt logischerweise feststellen, daß jene Phänomene durch einen besonderen Kontakt zwischen Magnetiseur und Medium und nicht durch eine mystische Materie entstehen. Aber wie Mesmer selbst, so lassen auch die Akademiker das schon auf die Finger brennende Problem der Persönlichkeitswirkung durch suggestive oder fluidale Wesensübertragung links liegen und beschließen nur feierlich die »nullité du magnétisme«. Wo man nichts sieht, nichts fühlt, nichts riecht, ist nichts vorhanden, erklären sie, und jene merkwürdige Wirkung beruhe einfach auf Imagination, auf bloßer Einbildung – was natürlich nur ein sehr danebengängerisches Wort für den übersehenen Begriff der Suggestion ist.

      Mit dieser feierlichen Nichtexistenzerklärung des Magnetismus erledigt sich selbstverständlich auch die zweite Frage nach der allfälligen Nützlichkeit der magnetischen (wir sagen psychischen) Behandlung. Denn eine Wirkung, für welche eine Akademie die Ursache nicht weiß, darf um keinen Preis vor