Stefan Zweig

Mesmer - Mary Baker Eddy - Freud: Die Heilung durch den Geist


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des Herrn Mesmer bedeute eine Gefahr, weil diese künstlich erzeugten Krisen und Konvulsionen chronisch werden könnten. Und in einem Satz bedenklich langen Atems fällen sie schließlich ihr Verdikt: »Nachdem die Kommissäre erkannt haben, daß das Fluidum des animalischen Magnetismus durch keinen unserer Sinne wahrgenommen werden kann, da es keine Wirkungen weder auf sie selbst ausübte noch auf die Kranken, die sie ihm unterworfen haben, da sie feststellten, daß die Berührungen und Streichungen nur selten günstige Veränderungen in der Körperlichkeit hervorgebracht haben und immer gefährliche Erschütterungen in der Einbildungskraft, da sie auch anderseits bewiesen haben, daß auch die Einbildung ohne Magnetismus Krämpfe erzeugen kann und der Magnetismus ohne Einbildung nichts, haben sie einstimmig beschlossen, daß nichts den Beweis eines magnetisch-animalischen Fluidums gibt und daß dieses nicht feststellbare Fluidum infolgedessen ohne Nutzen ist, daß die gewaltsamen Wirkungen, die man bei der öffentlichen Behandlung bemerkt hat, teils auf die Berührung zurückzuführen sind, auf die dadurch erregte Einbildung und die automatische Einbildung, die uns gegen den eigenen Willen zwingt, Vorgänge, die auf unsere Sinne wirken, zu wiederholen. Gleichzeitig fühlt sie sich verpflichtet, beizufügen, daß diese Berührungen, die immer wiederholte Heranziehung zur Krisenerzeugung schädlich sein kann und daß der Anblick solcher Krisen gefährlich wird durch den Zwang zur Nachahmung, den die Natur uns auferlegt hat, und deshalb jede öffentliche Behandlung auf die Dauer nur gefährliche Folgen haben kann.«

      Diesem öffentlichen Bericht vom 11. August 1784 schließt die Kommission an den König noch einen handschriftlichen Geheimbericht bei, der in düsteren Worten auf die Gefahren für die Sittlichkeit durch die Nervenreizung und die Vermischung der Geschlechter hinweist. Mit diesem Votum der Akademie und dem gleichfalls grimmig absprechenden Bericht der Ärztekammer ist für die gelehrte Welt die psychische Methode, die Heilung durch Persönlichkeitsbeeinflussung, endgültig erledigt. Es hilft nichts, daß ein paar Monate später die Phänomene des Somnambulismus, der Hypnose und der medialen Willensbeeinflussung entdeckt und durch viele Versuche unwiderlegbar sonnenklar vorgeführt werden, daß sie die ganze intellektuelle Welt in eine ungeheure Aufregung versetzen: für die Pariser gelehrte Akademie gibt es, nachdem sie einmal im achtzehnten Jahrhundert ihre Meinung schriftlich dargelegt hat, bis knapp ins zwanzigste Jahrhundert hinein keine suggestiven und übersinnlichen Phänomene. Als ihr um 1830 ein französischer Arzt neuerdings den Beweis vorführen will, lehnt sie ab. Sie lehnt selbst noch ab, als 1840 Braid mit seiner »Neurypnologia« die Hypnose bereits längst zu einem selbstverständlichen Werkzeug der Wissenschaft gemacht hat. In jedem Dorfe, in jeder Stadt Frankreichs, Europas, Amerikas zeigen seit 1820 in vollgedrängten Sälen schon Laienmagnetiseure die überraschendsten Beeinflussungen, kein Halb-und Viertelgebildeter versucht mehr, sie zu leugnen. Aber die Pariser Akademie, eben dieselbe, die Franklins Blitzableiter und Jenners Pockenimpfung verworfen, die Fultons Dampfboot eine Utopie genannt, beharrt in ihrem unsinnigen Hochmut, dreht den Kopf weg und behauptet, nichts zu sehen und nichts gesehen zu haben.

      Und so dauert es genau hundert Jahre, bis endlich der französische Gelehrte Charcot 1882 durchsetzt, daß die erlauchte Akademie von der Hypnose offiziell Kenntnis zu nehmen geruht; so lange, hundert geschlagene Jahre, hat das fehlgängerische Votum der Akademie über Franz Anton Mesmer in Paris eine Erkenntnis verzögert, die bei gerechterer, klarerer Aufmerksamkeit schon 1784 die Wissenschaft hätte bereichern können.

      Der Kampf um die Berichte

       Inhaltsverzeichnis

      Wieder einmal – zum wievielten Male? – ist die seelische Heilmethode von der akademischen Justiz niedergekämpft. Kaum veröffentlicht die Medizinische Gesellschaft ihr abweisendes Urteil, so bricht im Lager der Gegner Mesmers heller Jubel aus, als sei nun für ewige Zeiten jede Heilung auf seelischem Wege erledigt. In den Buchläden verkauft man amüsante Kupferstiche, die den »Sieg der Wissenschaft« auch für Analphabeten sinnfällig darstellen: von blendender Aureole umstrahlt, entrollt dort die Gelehrtenkommission das Vernichtungsdekret, und vor diesem »siebenmal glühenden Licht« entfliehen, auf einem Hexenbesen reitend, Mesmer und seine Schüler, jeder mit einem Eselskopf und Eselsschwanz geziert. Ein anderes Blatt zeigt die Wissenschaft, Blitze schleudernd gegen die Scharlatane, die über den zerbrochenen Gesundheitszuber stolpernd zur Hölle stürzen; ein drittes bildet mit der Unterschrift: »Nos facultés sont en rapport« Mesmer ab, einen langohrigen Esel magnetisierend. Dutzende von Spottschriften erscheinen, auf den Straßen singt man ein neues chanson:

       Le magnétisme est aux abois,

      La faculté, l’Académie

      L’ont condamné tout d’une voix

      Et même couvert d’infamie.

      Après ce jugement, bien sage et bien légal,

      Si quelque esprit original

      Persiste encore dans son délire,

      Il sera permis de lui dire:

      Crois au magnétisme … animal!

      Und ein paar Tage hat es wirklich den Anschein, als sei durch den wuchtigen Schlag mit dem akademischen Zepter Mesmer wie einst in Wien nun auch in Paris endgültig das Genick zerschmettert. Aber man schreibt 1784; zwar ist das Gewitter der Revolution noch nicht ausgebrochen, doch Unruhe und Auflehnung geistern bereits gefährlich in der Atmosphäre. Ein Dekret, vom allerchristlichsten König gefordert, von der königlichen Akademie feierlich erlassen – unter dem Sonnenkönig hätte niemand einem so zerschmetternden Bannfluch zu trotzen vermocht. Aber unter dem schwachen Ludwig dem Sechzehnten bedeutet ein königliches Siegel keine Sicherheit mehr vor Spott und Diskussion; der revolutionäre Geist ist längst in die Gesellschaft eingedrungen und stellt sich gern in leidenschaftlichen Widerspruch zur königlichen Meinung. So flattert ein erbitterter Schwarm Verteidigungsschriften auf Paris und Frankreich nieder, um Meister Mesmer zu rechtfertigen. Advokaten, Ärzte, Kaufleute, Mitglieder des höchsten Adels veröffentlichen unter ihrem vollen Namen dankbare Berichte über ihre Heilungen, und inmitten laienhaften und leeren Geschreibsels entdeckt man in diesen Pamphleten manches klare und kühne Wort. So fragt J. B. Bonnefoy vom chirurgischen Kollegium in Lyon energisch an, ob die Herren von der Akademie denn eine bessere Behandlungsart zu bieten hätten? »Wie verhält man sich denn bei Nervenkrankheiten, diesen heute noch vollkommen unbekannten Krankheiten? Man gibt kalte und warme Bäder, aufpeitschende, erfrischende, erregende oder beruhigende Mittel, und keines dieser ärmlichen Palliative hat bisher ähnlich erstaunliche Wirkungen hervorgebracht, wie die psychotherapeutische Methode Mesmers.« In den »Doutes d’un Provincial« beschuldigt ein Anonymus die Akademie, aus hochmütiger Borniertheit dem eigentlichen Problem überhaupt nicht nahe getreten zu sein. »Es ist nicht genug, meine Herren, daß Ihr Geist sich über Vorurteile des Jahrhunderts erhebt. Es wäre auch nötig, das Interesse des eigenen Standes um der Wohlfahrt willen zu vergessen.« Ein Advokat schreibt prophetisch wahr: »Herr Mesmer hat auf der Grundlage seiner Entdeckungen ein großes System aufgebaut. Dieses System ist vielleicht ebenso schlecht wie alle ihm vorausgegangenen, denn es ist immer gefährlich, auf die ersten Ursachen zurückzugreifen. Aber wenn er unabhängig von diesem System auch nur einige verstreute Ideen klargelegt hat, wenn nur irgendeine große Wahrheit ihm ihre Existenz dankt, so hat er das unveräußerliche Recht auf den Respekt der Menschen. In diesem Sinne wird er einer späteren Zeit gelten, ohne daß alle Kommissionen und Regierungen der Welt ihm sein Verdienst nehmen könnten.«

      Aber Akademieen und gelehrte Gesellschaften diskutieren nicht, sie entscheiden. Sobald sie eine Entscheidung getroffen haben, belieben sie über jeden Einwand mit Hochmut hinwegzusehen. Jedoch in diesem einen besonderen Fall geschieht ihr etwas sehr Peinliches und Unerwartetes – nämlich aus ihren eigenen Reihen erhebt sich ein Mann zur Anklage, ein Mitglied der Kommission und nicht das geringste, nämlich der berühmte Botaniker Jussieu. Auf Befehl des Königs hat er den Versuchen beigewohnt, sie gründlicher und vorurteilsloser vorgenommen als die meisten und darum bei dem endgültigen Votum seine Unterschrift unter die große Bannbulle verweigert. Dem geschärften Blick des Botanikers, der gewohnt ist, auch die winzigsten und unscheinbarsten Fäden und Samenspuren mit ehrfürchtiger Geduld zu beobachten, ist der schwache