ich vom Melitus so eben der Gottlosigkeit beschuldiget worden bin. Wenn ich durch mein Flehen euch meyneidig zu machen suchete, so wäre dieses der überzeugendste Beweis, daß ich keine Götter glaube; mithin würde mich diese Vertheidigung selbst der Atheisterey überführen. Aber nein! ich bin mehr, als alle meine Ankläger, von dem Daseyn Gottes überzeugt, und ergebe mich daher Gotte und euch, mich nach Wahrheit zu richten, und über mich zu verhängen, was ihr so wohl für euch, als für mich für das Beste haltet.«
Die Richter waren höchst unzufrieden über dieses gesetzte und unerschütterte Wesen, und unterbrachen den Plato, der nach ihm hervortrat, und zu reden begonn. »Ob ich schon der jüngste bin, Athenienser! fieng Plato an, von denen, welche diesen Ort hinaufgestiegen –« Heruntergestiegen riefen sie ihm zu und ließen ihn seine Rede nicht fortsetzen. Sokrates wurde durch die Mehrheit von drey und dreyßig Stimmen für schuldig erkannt.
Es war die Gewohnheit zu Athen, daß die Verurtheilten sich selbst eine gewisse Strafe, Geldbuße, Gefängniß oder Verbannung auflegen mußten, um dadurch die Billigkeit des Urtheils zu bekräftigen, oder vielmehr ihre Verbrechen einzugestehen. Sokrates sollte wählen; aber er wollte auf keinerlei Weise gegen sich selbst so ungerecht seyn, sich für schuldig zu erkennen.
»Wenn ich frey sagen soll, was ich verdient zu haben glaube, so wisset, Athenienser! ich glaube, durch die Dienste, die ich der Republik geleistet, wohl werth zu seyn, daß man mich auf öffentliche Kosten im Prytaneum unterhalte.« Auf Zureden seiner Freunde verstand er sich gleichwohl zu einer kleinen Geldbuße, wollte aber nicht zugeben, daß sie unter sich eine größere Summe zusammen schießen sollten.
Die Richter berathschlageten sich, welche Strafe sie ihm zuerkennen sollten, und die Bosheit seiner Feinde brachte es dahin, daß er zum Tode verurtheilt wurde: »Ihr seyd mit eurem Urtheil sehr voreilig gewesen, Athenienser! sprach Sokrates, und habt dadurch den Verleumdern dieser Stadt Stoff gegeben, euch vorzuwerfen, daß ihr den weisen Sokrates ums Leben gebracht; denn sie werden mich weise nennen, wenn ich es schon nicht bin, um euch destomehr tadeln zu können. Ihr hättet nicht lange warten dürfen, so wäre ich, ohne euer Zuthun, gestorben. Ihr sehet, wie nahe ich schon dem Tode bin5. Euch meyne ich hiermit, die ihr mir den Tod zuerkannt habet! Glaubet ihr etwa, Männer von Athen! daß es mir an Worten gefehlt, euch einzunehmen und zu überreden, wenn ich der Meynung gewesen wäre, man müßte alles thun und alles sprechen, um ein günstiges Urtheil zu erhalten? Gewißlich nicht! Wenn ich unterliege, so ist es nicht aus Mangel an Worten und Vorstellungen, sondern aus Mangel an Unverschämtheit und Niederträchtigkeit, euch solche Dinge hören zu lassen, die euch angenehm zu vernehmen, aber einem rechtschaffenen Manne unanständig sind zu sagen. Heulen, schreyen und andere solche kriechende Ueberredungsmittel, die ihr an andern gewohnt seyd, sind meiner höchst unwürdig. Ich hatte mir gleich Anfangs vorgenommen, lieber das Leben zu verlieren, als es auf eine unedle Weise zu retten. Denn ich halte dafür, daß weder ich noch ein andrer mehr berechtiget sey, vor Gericht alles zu thun, um dem Tode zu entfliehen, als im Kriege. Wie oft hat ein Mann nicht in einem Gefechte Gelegenheit sein Leben zu erretten, wenn er die Waffen von sich werfen und denjenigen, der ihm nachsetzt, um Gnade bitten will. Und so giebt es im menschlichen Leben viele Vorfälle, wo der Tod gar wohl vermieden werden kann, wenn man nur unverschämt genug ist, alles zu thun und zu sagen, was dazu erfodert wird. Dem Tode zu entfliehen, Männer von Athen! ist so schwer nicht, aber der Schande zu entkommen, ist weit schwerer: denn sie ist schneller, als der Tod. Daher kömmt es auch, daß ich langsamer, alter Mann von dem langsamsten ergriffen worden; da hingegen meine Ankläger, die ganz munter und lebhaft sind, von der sehr schnellen Schande eingeholt worden sind. Ich gehe zum Tode, zu welchem ihr mich verurtheilt habet, und sie zur Schmach und Unehre, zu welcher sie von der Wahrheit und Gerechtigkeit verdammt werden. Ich bin mit dem Urtheilsspruche zufrieden, vermuthlich sie auch: mithin gehen die Sachen, recht wie sie sollten, und ich für mein Theil finde die Wege des Schicksals auch hierinn gerecht und verehrungswerth.«
Nachdem er hierauf den Richtern, die ihn verurtheilt, freymüthig, aber ohne Galle, einige Wahrheiten gesagt, wendete er sich zu denjenigen, die für seine Lossprechung gestimmet hatten, und unterhielt sie mit einer Art von Betrachtung über Leben, Tod und Unsterblichkeit, die damals ziemlich der Fassungskraft des gemeinen Volks angemessen gewesen seyn mag. Als er aber mit seinen Schülern und vertrauten Freunden allein war, ließ er sich über eben diese Materie mit mehrerer Gründlichkeit heraus: daher wir unsre Leser, die in folgenden Gesprächen, mit den reifern Gedanken dieses Weltweisen unterhalten werden sollen, mit jener exoterischen Philosophie billig verschonen.
Man führte ihn ins Gefängniß, das, wie Seneka sagt, durch die Gegenwart dieses Mannes seine Schmach verlor, indem das kein Kerker seyn kann, wo ein Sokrates ist. Unterwegs begegneten ihm einige von seinen Schülern, die über dasjenige was ihm widerfahren, ganz untröstlich waren. »Warum weinet ihr? fragte sie der Weise. Hat mich die Natur nicht gleich bey meiner Geburt zum Tode verurtheilt? Wenn mich der Tod einem wahren und ersprießlichen Gute entrissen, so hätte ich, und diejenigen die mich lieben, Ursache, mein Schicksal zu bedauren. Da ich aber hienieden nichts, als Jammer und Elend zurücklasse: so sollten mir meine Freunde zu meiner Reise vielmehr Glück wünschen.«
Apollodorus, der als ein sehr gutherziger Mensch, aber etwas schwacher Kopf beschrieben wird, konnte sich gar nicht zufrieden geben, daß sein Lehrer und Freund so unschuldig sterben müßte. Guter Apollodorus! sprach Sokrates lächelnd, indem er ihm die Hand auf den Kopf legte, würdest du es lieber sehen, wenn ich schuldig sterben müßte? –
Was übrigens im Gefängnisse und in den letzten Stunden des sterbenden Sokrates vorgegangen, wird der Leser in folgenden Gesprächen erfahren. Nur ist noch eine Unterredung mit dem Krito nicht aus der Acht zu lassen, aus welcher Plato ein besonderes Gespräch gemacht hat. Einige Tage vor der Hinrichtung des Sokrates, kam Krito vor Anbruch des Tages zu ihm ins Gefängniß, fand ihn in süßem Schlafe, und setzte sich leise neben sein Bett, um ihn nicht zu stören. Als Sokrates erwachte, fragte er ihn, »warum so früh heute, Freund Krito?« Dieser meldete ihm, er hätte Nachricht, daß den nächsten Tag das Todesurtheil vollzogen werden sollte. »Wenn es der Wille Gottes ist, antwortete Sokrates, mit seiner gewöhnlichen Gelassenheit, so sey es! Indessen glaube ich nicht, daß es morgen vor sich gehen werde. Ich hatte, so eben als du zu mir kamst, einen angenehmen Traum. Mir erschien ein Frauenzimmer von ungemeiner Schönheit, in einem langen weißen Gewande, rief mich beym Namen und sprach: In drey Tagen wirst du in dein fruchtbares Phthia anlangen.« Eine feine Anspielung! wodurch er zu verstehen gab, daß er sich nach jenem Leben, wie beym Homer der erzürnte Achilles sich aus dem Lager weg, und nach Phthia, seinem Vaterlande, sehnete. Krito aber, der ganz andre Absichten hatte, entdeckte seinem Freunde, daß er die Wache bestochen, und alles Nöthige vorgekehrt hätte, ihn bey nächtlicher Weile aus dem Gefängnisse zu entführen; und daß es nunmehr nur auf ihn ankäme, ob er einem schimpflichen Tode entkommen wollte. Er suchte ihn auch durch die wichtigsten Vorstellungen zu überführen, daß dieses seine Pflicht und Schuldigkeit sey. Da er seine Liebe für sein Vaterland kannte: so stellte er ihm vor, wie er verbunden wäre zu verhüten, daß die Athenienser nicht unschuldiges Blut vergössen; er führte überdem an, daß ers um seiner Freunde willen thun müßte, die, außer dem Schmerz über seinen Verlust, auch der schmählichen Nachrede würden ausgesetzt bleiben, daß sie seine Befreyung vernachläßiget. Endlich unterließ er auch nicht, ihm ein bewegliches Bild von dem Unglück seiner hilflosen Kinder vorzuhalten, die alsdann seines väterlichen Unterrichts, Beyspiels und Schutzes beraubt seyn würden. Hierauf antwortete Sokrates. »Mein lieber Krito! deine freundschaftliche Vorsorge ist löblich, und daher mit Dank anzunehmen, wenn sie sich mit der gesunden Vernunft verträgt. Ist sie aber derselben zuwider, so haben wir uns um so viel mehr dafür zu hüten. Wir sollten daher erst in Ueberlegung nehmen, ob dein Vorschlag gerecht und mit der Vernunft übereinstimmig sey, oder nicht. Ich habe mich allzeit gewöhnt, mich zu nichts bereden zu lassen, als was ich, nach reiflicher Ueberlegung, für das Beste gehalten, und ich sehe keinen Grund, warum ich von meinen bisherigen Lebensregeln anjetzo abwiche, ob ich gleich in der Verfassung bin, in welcher du mich siehest: sie erscheinen mir noch immer in eben dem Lichte, und daher kann ich nicht anders, als