Moses Mendelssohn

Ausgewählte philosophische Werke von Moses Mendelssohn


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als unzweifelhaft voraus, daß aus unlebenden Theilen kein lebendes Ganze, aus undenkenden Theilen kein denkendes Ganze zusammengesetzt werden könne. Warum aber kann aus unregelmäßigen Theilen ein regelmäßiges Ganze, aus harmonielosen Tönen ein harmonisches Concert, aus unmächtigen Gliedern ein mächtiger Staat zusammengesetzt werden?

      Ich wußte auch, daß nach dem System jener Schule, der ich zu sehr anhängen soll, die Bewegung aus solchen Kräften, die nicht Bewegung sind, und die Ausdehnung aus Eigenschaften der Substanzen, die etwas ganz anders, als Ausdehnung sind, entspringen sollen. Diese Schule also kann den Satz des Plotinus gewiß nicht in allen Fällen gelten lassen, und gleichwohl scheinet derselbe in Absicht auf das denkende Wesen seine völlige Richtigkeit zu haben. Ein denkendes Ganze aus undenkenden Theilen dünkt einem jeden der gesunden Vernunft zu widersprechen.

      Um von diesem Satze also überzeugt zu seyn, war noch zu untersuchen, welche Eigenschaften dem Ganzen zukommen können, ohne daß sie den Bestandtheilen zukommen, und welche nicht. Zuerst fiel in die Augen, daß solche Eigenschaften, welche von der Zusammensetzung und Anordnung der Theile herrühren, den Bestandtheilen nicht nothwendig zukommen. Von dieser Art ist Figur, Größe, Ordnung, Harmonie, die elastische Kraft, die Kraft des Schießpulvers u. d. g. – Sodann fand sich auch, daß öfters Eigenschaften der Bestandtheile Erscheinungen im Ganzen hervorbringen, die, unserer Vorstellung nach, von ihnen völlig unterschieden sind. Die zusammengesetzten Farben scheinen uns den einfachen unähnlich zu seyn. Wir fühlen die zusammengesetzten Gemüthsbewegungen ganz anders, als die einfachen, aus welchen sie bestehen. Wohlriechende Theile, die gehäuft werden, erzeugen einen ganz verschieden scheinenden, zuweilen sehr unangenehmen Geruch, so wie im Gegentheil durch Vermischung übelriechender Gummen ein angenehmer Geruch erhalten werden kan (s. Halleri Physiol. T. V. p. 169. 170.). Der Dreyklang in der Tonkunst, wenn er zugleich angestimmt wird, thut eine ganz andere Wirkung, als die einzelnen Töne, ans welchen er bestehet.

      Die Eigenschaften des Zusammengesetzten also, die den Bestandtheilen nicht nothwendig zukommen, fließen entweder aus der Anordnung und Zusammensetzung dieser Theile selbst, oder sind bloße Erscheinungen, nehmlich die Eigenschaften und Wirkungen der Bestandtheile, die unsere Sinne nicht aus einander setzen und unterscheiden können, stellen sich uns im Ganzen anders vor, als sie wirklich sind. Nunmehr machte ich die Anwendung von dieser Betrachtung auf den Satz des Plotinus.

      Das Vermögen zu denken kann keine Eigenschaft von dieser Art seyn; denn alle diese Eigenschaften sind offenbar Wirkungen des Denkungsvermögens, oder setzen dasselbe zum voraus. Die Zusammensetzung und Anordnung der Theile erfordert ein Vergleichen und Gegeneinanderhalten dieser Theile, und die Erscheinungen sind nicht sowohl in den Sachen ausser uns, als in unserer Vorstellung anzutreffen. Beide Arten sind also Wirkungen der Seele, und können das Wesen derselben nicht ausmachen. Daher kann aus undenkenden Theilen kein denkendes Ganze zusammengesetzt werden.

      Auch der andere Theil des Beweises erforderte eine weitere Ausführung. Es hat Weltweise gegeben, die den Atomen der Körper dunkele Begriffe zugeschrieben, woraus denn, ihrer Meynung nach, im Ganzen klare und deutliche Begriffe entspringen. Hier war zu beweisen, daß dieses unmöglich sey, und daß wenigstens einer von diesen Atomen so deutliche, so wahre, so lebendige u. s. w. Begriffe haben müßte, als der ganze Mensch. Ich bediente mir zu diesem Behufe den Satz, den Hr. Plouquet so schön ausgeführt, daß viele geringere Grade zusammen keinen stärkern Grad ausmachen. Woraus ganz natürlich folget, daß alle dunkele Begriffe der Atomen zusammen keinen deutlichen, ja nicht einmal einen weniger dunkeln Begriff hervorbringen können.

      Die mehresten Gründe meines dritten Gesprächs sind aus Baumgartens Metaphysik und Reimarus vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion entlehnt. Von dem Beweise aus der Harmonie unserer Pflichten und Rechte habe ich bereits in dem Vorberichte erinnert, daß ich ihn noch nirgend gefunden habe. Ich setze dabey zum voraus, daß die Todesstrafen in gewissen Fällen Rechtens sind. Nun scheinet aber der Marquis Beccaria in seiner Abhandlung von den Verbrechen und Strafen diesen Satz in Zweifel zu ziehen. Da dieser Weltweise der Meynung ist, daß sich das Recht zu strafen einzig und allein auf den gesellschaftlichen Vertrag gründe, woraus denn die Unrechtmäßigkeit der Todesstrafen freilich folget; so habe ich die Meynung selbst, in dieser zwoten Auflage, in einer Anmerkung zu widerlegen gesucht. Der Marquis selbst kann sich nicht entbrechen, die Todesstrafe in einigen Fällen für unvermeidlich zu halten. Er will zwar eine Art von Nothrecht daraus machen; allein das Nothrecht muß sich auf eine natürliche Befugniß gründen, sonst ist es bloße Gewaltthätigkeit. Ueberhaupt ist wohl der Satz nicht in Zweifel zu ziehen, daß alle Verträge in der Welt kein neues Recht erzeugen; sondern unvollkommene Rechte in vollkommene verwandeln. Wenn also die Befugniß zu strafen nicht in dem Rechte der Natur gegründet wäre; so könnte solches durch keinen Vertrag hervorgebracht werden. Gesetzt aber, das Recht zu strafen sey, ohne Vertrag, ein unvollkommenes Recht, wiewohl ich dieses für ungereimt halte; so verlieret mein Beweis dennoch nichts von seiner Bindigkeit, denn vor dem Richterstuhle des Gewissens sind die unvollkommenen Rechte eben so kräftig, die unvollkommenen Pflichten eben so verbindlich, als die vollkommenen. Ein unvollkommenes Recht, jemanden am Leben zu strafen, setzet wenigstens eine unvollkommene Obliegenheit voraus, diese Strafe zu leiden. Diese Obliegenheit wäre aber ungereimt, wenn unsere Seele nicht unsterblich wäre, wie an seinem Orte weitläufiger ausgeführt worden.

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