hat diese Veränderung in seinen Pflichten verursacht? Wer unterstehet sich zu antworten: Das begangene Verbrechen selbst!
Eine andre unglückselige Folge von dieser Meynung ist, daß ihre Anhänger auch endlich genöthiget sind, die Vorsehung Gottes zu läugnen. Da, nach ihren Gedanken, das Leben der Menschen zwischen die engen Grenzen von Geburt und Tod eingeschränkt ist: so können sie den Lauf desselben mit ihren Augen verfolgen und ganz übersehen. Sie haben also Kenntniß der Sache genug, die Wege der Vorsehung, wenn es eine giebt, zu beurtheilen. Nun bemerken sie in den Begebenheiten dieser Welt vieles, das offenbar mit dem Begriffe, den wir uns von den Eigenschaften Gottes machen müssen, nicht übereinkömmt: Manches widerspricht seiner Güte, Manches seiner Gerechtigkeit, und bisweilen sollte man glauben, das Schicksal der Menschen sey von einer Ursache angeordnet worden, die am Bösen Vergnügen gefunden. In dem physischen Theile des Menschen entdecken sie lauter Ordnung, Schönheit und Harmonie, die allerweisesten Absichten, und die vollkommenste Uebereinstimmung zwischen Mittel und Endzweck: lauter sichtbare Beweise der göttlichen Weisheit und Güte. Aber in dem gesellschaftlichen und sittlichen Leben der Menschen, wenigstens so viel wir davon übersehen können, sind die Spuren dieser göttlichen Eigenschaften ganz unkenntlich. Triumphirende Laster, gekrönte Uebelthaten, verfolgte Unschuld, unterdrückte Tugend sind wenigstens nicht selten; die Unschuldigen und Gerechten leiden nicht seltner, als die Uebelthäter; Meuterey gelingt so oft, als die weiseste Gesetzgebung, und ein ungerechter Krieg so gut, als die Vertilgung der Ungeheuer, oder jede andere wohlthätige Unternehmung, die zum Besten des menschlichen Geschlechts gereicht; Glück und Unglück trifft Gute und Böse, ohne merklichen Unterschied, und müssen in den Augen dieser Sophisten wenigstens, ganz ohne Absicht auf Tugend und Verdienst, unter die Menschen vertheilt zu seyn scheinen. Wenn sich ein weises, gütiges und gerechtes Wesen um die Schicksale der Menschen bekümmerte, und sie nach seinem Wohlgefallen ordnete: würde nicht in der sittlichen Welt eben die weise Ordnung herrschen, die wir in der physischen bewundern?
Zwar dürfte mancher sagen: »Diese Klagen rühren bloß von unzufriedenen Gemüthern her, denen es weder Götter noch Menschen jemals recht machen können. Erfüllet ihnen alle ihre Wünsche, setzet sie auf den Gipfel der Glückseligkeit: sie finden in den düstern Winkeln ihres Herzens noch allemal Eigensinn und üble Laune genug, sich über ihre Wohlthäter selbst zu beklagen. In den Augen eines mäßigen und genügsamen Menschen sind die Güter dieser Welt so ungleich nicht ausgetheilt, als man glaubt. Die Tugend hat mehrentheils eine innere Selbstberuhigung zur Gefährtinn, welche eine süßere Belohnung für sie ist, als Glück Ehre und Reichthum. Die unterliegende Unschuld würde sich vielleicht selten an die Stelle des Wütrichs wünschen, der ihr den Fuß in den Nacken setzet; sie würde das in die Augen fallende Glück nur allzutheuer durch innre Unruhen erkaufen müssen. Ueberhaupt, wer mehr auf die Empfindungen der Menschen Achtung giebt, als auf ihre Urtheile, der wird ihren Zustand lange so beklagenswerth nicht finden, als sie ihn in ihren gemeinen Reden und Unterhaltungen machen.« So dürfte mancher vorgeben, um die Wege einer weisen Vorsehung in der Natur zu retten. Allein alle diese Gründe haben nur alsdann ein Gewicht, wann mit diesem Leben nicht alles für uns aus ist, wann sich die Hoffnungen vor uns hin ins Unendliche erstrecken. In diesem Falle kann es, ja es muß für unsere Glückseligkeit weit wichtiger seyn, wenn wir hienieden mit dem Unglück kämpfen, wenn wir Geduld, Standhaftigkeit, und Ergebung in den göttlichen Willen lernen und üben, als wenn wir uns im Glück und Ueberfluß vergessen. Wenn ich auch das Leben unter tausend Martern endige, was thut dieses? Hat nur meine Seele dadurch die Schönheit der leidenden Unschuld erworben, so ist sie für alle ihre Pein mit Wucher bezahlt. Die Qual ist vergänglich, und der Lohn von ewiger Dauer. Aber was hält den schadlos, der unter diesen Qualen sein ganzes Daseyn aufgiebt? und mit dem letzten Odem auch alle Schönheiten seines Geistes fahren läßt, die er durch diesen Kampf erworben? Ist das Schicksal eines solchen Menschen nicht grausam? kann der gerecht und gütig seyn, der es so geordnet? Und gesetzt, das Bewußtseyn der Unschuld hielte allen schmerzhaften Empfindungen der Todesqual selbst, die der Unschuldige von den Händen seines Verfolgers leidet, das Gleichgewicht: soll jener Gewaltthäter, jener Beleidiger der göttlichen und menschlichen Rechte so dahin fahren, ohne jemals aus der blinden Verstocktheit, in welcher er gelebt, gerissen zu werden, und vom Guten und Bösen richtigere Begriffe zu erlangen? ohne jemals gewahr zu werden, daß diese Welt von einem Wesen regieret wird, welches an der Tugend Wohlgefallen findet? Wenn kein zukünftiges Leben zu hoffen ist, so ist die Vorsehung gegen den Verfolger so wenig zu rechtfertigen, als gegen den Verfolgten.
Unglücklicher Weise werden viele durch diese anscheinende Schwierigkeiten verführt, die Vorsehung zu leugnen. Das allerhöchste Wesen, wähnen sie, bekümmere sich um das Schicksal der Menschen gar nicht, so sehr es sich auch die Vollkommenheit seiner physischen Natur hat angelegen seyn lassen. Tugend und Laster, Unschuld und Verbrechen, wer ihm dienet, und wer ihn lästert, sprechen sie, seyn dem allgemeinen Weltgeist vollkommen gleich, und was dergleichen so lächerlicher als strafbarer Meynungen mehr sind, auf die man nothwendig gerathen muß, so bald man den Weg zur Wahrheit verfehlt. Ich halte es für überflüßig, meine Freunde! von dem Ungrunde dieser Meynungen viele Worte zu machen, da wir alle versichert sind, daß wir unter der göttlichen Obhut stehen, und das Gute von seinen Händen, so wie das Böse nicht anders, als mit seiner Zulassung, empfangen.
Hingegen wissen wir einen sicherern und leichtern Weg, uns aus diesem Labyrinthe zu finden. In unsern Augen verleugnet das Sittliche so wenig, als das Physische dieser Welt, die Vollkommenheit ihres Urhebers. So wie sich in der physischen Welt Unordnungen in den Theilen, Stürme, Ungewitter, Erdbeben, Ueberschwemmung, Pest, u. s. w. in Vollkommenheiten des unermeßlichen Ganzen auflösen: eben also dienen in der sittlichen Welt, in dem Schicksale und den Begegnissen des geselligen Menschen, alle zeitlichen Mängel zu ewigen Vollkommenheiten, vergängliches Leiden zu unaufhörlicher Seligkeit, und kurze Prüfung zu dauerhaftem Wohlseyn. Das Schicksal eines einzigen Menschen in seinem gehörigen Lichte zu betrachten, müßten wir es in seiner ganzen Ewigkeit übersehen können. Alsdann erst könnten wir die Wege der Vorsehung untersuchen und beurtheilen, wann wir die ewige Fortdauer eines vernünftigen Wesens unter einen einzigen, unserer Schwachheit angemessenen Gesichtspunkt bringen könnten: aber alsdann seyd versichert, meine Lieben! würden wir weder tadeln, noch murren, noch unzufrieden seyn; sondern voller Verwunderung die Weisheit und Güte des Weltbeherrschers verehren und anbeten.
Aus allen diesen Beweisgründen zusammengenommen, meine Freunde! erwächst die zuverläßigste Versicherung von einem zukünftigen Leben, die unser Gemüth vollkommen befriedigen kann. Das Vermögen zu empfinden ist keine Beschaffenheit des Körpers, und seines feinen Baues; sondern hat seine Bestandheit für sich. Das Wesen dieser Bestandheit ist einfach, und folglich unvergänglich. Auch die Vollkommenheit, die diese einfache Substanz erworben, muß in Absicht auf sie selbst von unaufhörlichen Folgen seyn, und sie immer tüchtiger machen, die Absichten Gottes in der Natur zu erfüllen. Insbesondere gehört unsere Seele, als ein vernünftiges und nach der Vollkommenheit strebendes Wesen zu dem Geschlechte der Geister, die den Endzweck der Schöpfung enthalten, und niemals aufhören Beobachter und Bewunderer der göttlichen Werke zu seyn. Der Anfang ihres Daseyns ist, wie wir sehen, ein Bestreben und Fortgehen von einem Grade der Vollkommenheit zum andern; ihr Wesen ist des unaufhörlichen Wachsthums fähig; ihr Trieb hat die augenscheinlichste Anlage zur Unendlichkeit, und die Natur beut ihrem nie zu löschenden Durst eine unerschöpfliche Quelle an. Ferner haben sie, als moralische Wesen, ein System von Pflichten und Rechten, das voller Ungereimtheiten und Widersprüche seyn würde, wenn sie auf dem Wege zur Vollkommenheit gehemmt und zurück gestoßen werden sollten. Und endlich verweiset uns die anscheinende Unordnung und Ungerechtigkeit in dem Schicksale der Menschen auf eine lange Reihe von Folgen, in welcher sich alles auflöset, was hier verschlungen scheinet. Wer hier mit Standhaftigkeit, und gleichsam dem Unglücke zu Trotz, seine Pflicht erfüllet, und die Widerwärtigkeiten mit Ergebung in den göttlichen Willen erduldet, muß den Lohn seiner Tugenden endlich genießen; und der Lasterhafte kann nicht dahin fahren, ohne auf eine oder die andere Weise zur Erkenntniß gebracht zu seyn, daß die Uebelthaten nicht der Weg zur Glückseligkeit sind. Mit einem Worte, allen Eigenschaften Gottes, seiner Weisheit, seiner Güte, seiner Gerechtigkeit würde es widersprechen, wenn er die vernünftigen und nach der Vollkommenheit strebenden Wesen nur zu einer zeitlichen Dauer geschaffen hätte.
Es dürfte Jemand von euch sprechen: »Gut, Sokrates! Du