Moses Mendelssohn

Ausgewählte philosophische Werke von Moses Mendelssohn


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ansehe, meine Freunde! so ist nicht nur das Licht der Sonne, das von eurem Antlitze wiederstralt, in einem beständigen Strome; sondern eure Leiber haben unterdessen in ihrer innern Bildung und Zusammenfügung unendliche Veränderungen gelitten: alle Theile derselben haben aufgehört die vorigen zu seyn, sie sind in stetem Wechsel und Fluße von Veränderungen, der sie unabläßig mit sich fortreißt. Wie die glückseligen Weisen der vorigen Zeiten schon bemerket, daß die körperlichen Dinge nicht sind, sondern entstehen und vergehen: nichts ist in denselben von Dauer und Bestandheit; sondern alles folget einem unaufhaltsamen Strome von Bewegungen, dadurch die zusammengesetzten Dinge ohne Unterlaß erzeugt und aufgelöset werden. Dieses hat auch Homer darunter verstanden, wenn er den Ocean den Vater, und die Thetis die Mutter aller Dinge nennet: er hat damit anzeigen wollen, daß alle Dinge in der sichtbaren Welt durch den steten Wechsel entstehen, und wie in einem fortströmenden Weltmeer, nicht einen Augenblick an der vorigen Stelle bleiben.

      Ist nun das Zusammengesetzte an sich selbst keines Fortdauerns fähig: wie viel weniger wird es ihre Vollkommenheit seyn, die ihnen, wie wir gesehen, niemals an und für sich selbst, sondern nur in Beziehung auf das Empfindende und Denkende in der Schöpfung zugeschrieben werden kann? Dahero sehen wir in der leblosen Schöpfung das Schöne verwelken und aufblühen, das Vollkommene verderben und in einer andern Gestalt wieder zum Vorscheine kommen, scheinbare Unordnung und Regelmäßigkeit, Harmonie und Mißstimmung, Angenehmes und Widriges, Gutes und Böses in unendlicher Mannigfaltigkeit mit einander abwechseln, so wie es Gebrauch, Nutzen, Bequemlichkeit, Lust und Glückseligkeit der lebendigen Dinge erfodert, um deren Willen jene hervorgebracht worden.

      Der lebendige Theil der Schöpfung enthält zwo Klassen, sinnlichempfindende und denkende Naturen. Beide haben dieses gemein, daß sie von fortdaurendem Wesen sind, eine immer für sich bestehende Vollkommenheit besitzen und genießen können. Wir finden bey allen Thieren, die diesen Erdboden bedecken, daß ihre Empfindungen, ihre Kenntnisse, ihre Begierden, ihre eingepflanzten Naturtriebe auf das wunderbarste mit ihren Bedürfnissen übereinstimmen, und insgesamt auf ihre Erhaltung, Bequemlichkeit und Fortpflanzung, auch zum Theil auf das Wohlseyn ihrer Nachkommen abzielen. Diese Harmonie wohnet ihnen innerlich bey; denn alle diese Fühlungen und Naturtriebe sind Beschaffenheiten des einfachen, unkörperlichen Wesens, das sich in ihnen seiner selbst und anderer Dinge bewußt ist: daher besitzen sie eine wahre Vollkommenheit, die nicht erst in Beziehung auf andere außer ihnen so genennet werden darf, sondern ihre Bestandheit, und ihr Fortdaurendes für sich hat. Sind die leblosen Dinge zum Theil ihrentwegen da, damit sie Unterhaltung, Lust und Bequemlichkeit finden sollen: so sind sie ihrer Seits auch fähig diese Wohlthaten zu genießen, Lust und Unlust, Angenehmes und Widriges, Verlangen und Abscheu, Wohlseyn und Unglückseligkeit zu fühlen, und dadurch innerlich vollkommen oder unvollkommen zu werden. Sind die leblosen Dinge die Mittel gewesen, derer sich der allerweiseste Schöpfer bedienet: so gehören die Thiere schon mit zu seinen Absichten; denn um ihrentwillen ist ein Theil des Leblosen hervorgebracht worden, und sie besitzen das Vermögen zu genießen, und dadurch in ihrer innern Natur übereinstimmend und vollkommen zu werden. Hingegen bemerken wir bey ihnen, so wie wir sie auf dem Erdboden vor uns sehen, keinen beständigen Fortgang zu einer höhern Stufe der Vollkommenheit. Sie erhalten ohne Unterweisung, ohne Ueberlegung, ohne Uebung, ohne Vorsatz und Wissensbegierde, gleichsam unmittelbar aus der Hand des Allmächtigen, diejenigen Gaben, Fertigkeiten und Triebe, die zu ihrer Erhaltung und Fortpflanzung nöthig sind. Ein mehreres erwerben sie nicht, und wenn sie Jahrhunderte leben, oder sich unendlich vermehren und fortpflanzen. Sie können auch das Erhaltene weder verbessern noch verschlimmern, auch keinen andern mittheilen; sondern üben es auf die ihnen eingepflanzte Weise aus, so lange es ihren Umständen zuträglich ist, und hernach scheinen sie es wohl selber wieder zu vergessen. Durch menschlichen Unterricht können zwar einige Hausthiere etwas weniges erlernen, und zum Kriege, oder zu häuslichen Verrichtungen gewöhnet und gezogen werden: sie zeigen aber durch die Art und Weise, wie sie diesen Unterricht annehmen, zur Gnüge, daß ihr Leben hienieden nicht bestimmt sey, ein beständiger Fortgang zur Vollkommenheit zu seyn; sondern daß ein gewisser Grad der Fähigkeit, den sie erreichen, auch ihr letztes Ziel sey, und daß sie von selbst nie weiter streben, nie höhere Dinge zu beginnen von innen angetrieben werden. Nun ist zwar dieses Stillstehen, diese dumme Zufriedenheit mit dem Erreichten, ohne sich erheben und empor schwingen zu wollen, ein Zeichen, daß sie in dem großen Entwurfe der Schöpfung nicht das letzte Ziel gewesen, sondern als niedrigere Absichten, zugleich Mittel abgeben, und Dingen von würdigern und erhabenern Bestimmungen in Erfüllung der Endabsichten Gottes behilflich seyn sollten. Allein die Quelle des Lebens und der Empfindungen in ihnen, ist ein einfaches für sich bestehendes Wesen, das unter allen Abänderungen, die es in dem Laufe der Dinge leidet, etwas Beständiges und Fortdaurendes hat; daher die Eigenschaften, die es einmal durch Erlernen, oder als ein unmittelbares Geschenk von der Hand des Allgütigen erhalten, ihm eigenthümlich zukommen, durch natürliche Wege nie wieder gänzlich verschwinden, sondern von unaufhörlichen Folgen seyn müssen. Da diese empfindende Seele natürlicher Weise nie aufhört zu seyn, so hört sie auch nie auf die Absichten Gottes in der Natur zu befördern, und sie wird mit jeder Dauer ihres Daseyns immer tüchtiger und tüchtiger, ihres Urhebers großen Endzweck in Erfüllung bringen zu helfen. Dieses ist der unendlichen Weisheit gemäß, mit welcher der Plan dieses Weltalls in dem Rathe der Götter ist entworfen worden. Alles ist in unaufhörlichen Arbeit und Bemühung, gewisse Absichten in diesem Plane zu erfüllen; einer jeden wahren Substanz ist eine unabsehbare Folge und Reihe von Verrichtungen vorgeschrieben, die sie nach und nach bewirken muß, und die wirkende Substanz wird allezeit durch die letzte Verrichtung tüchtiger, die nächstfolgende auszuführen. Nach diesen Grundsätzen ist das geistige Wesen, das die Thiere belebt, von unendlicher Dauer, und fähret auch in Ewigkeit fort, die Absichten Gottes in der Reihe und Stufenfolge zu erfüllen, die ihm in dem allgemeinen Plane angewiesen worden.

      Ob diese thierischen bloß sinnlich empfindenden Naturen mit der Zeit ihre niedrige Stufe verlassen, und von einem Winke des Allmächtigen gelockt, sich in die Sphäre der Geister emporschwingen werden, läßt sich mit keiner Gewißheit ausmachen, wiewohl ich sehr geneigt bin, es zu glauben.

      Die vernünftigen Naturen und Geister nehmen in dem großen Weltall, so wie insbesondere der Mensch auf diesem Erdboden, die vornehmste Stelle ein. Diesem Unterherrn der Schöpfung schmückt sich die Natur in ihrer jungfräulichen Schönheit. Ihm dienet das Leblose, nicht nur zum Nutzen und zur Bequemlichkeit, nicht nur zur Nahrung, Kleidung, Wohnung, und zum sichern Aufenthalt, sondern vornehmlich zur Ergetzung und zum Unterrichte; und die erhabensten Sphären, die entferntesten Gestirne, die kaum mit dem Auge entdeckt werden können, müssen ihm in dieser Absicht nützlich seyn. Wollt ihr seine Bestimmung hienieden wissen: so sehet nur, was er hienieden verrichtet. Er bringet auf diesen Schauplatz weder Fertigkeit, noch Naturtrieb, noch angebornes Geschick, weder Wehr noch Schutz mit, und erscheinet bey seinem ersten Auftritte dürftiger und hülfloser, als das unvernünftige Thier. Aber die Bestrebung und die Fähigkeit sich vollkommener zu machen, diese erhabensten Geschenke, deren eine erschaffene Natur fähig ist, ersetzen vielfältig den Abgang jener viehischen Triebe und Fertigkeiten, die keiner Verbesserung, keines höhern Grades der Vollkommenheit je fähig werden können. Kaum genießt er das Licht der Sonnen, so arbeitet schon die gesamte Natur, ihn vollkommener zu machen: dieses schärfet seine Sinne, Einbildungskraft, und Erinnerungsvermögen; jenes übet seine edlern Erkenntnißkräfte, bearbeitet seinen Verstand, seine Vernunft, seinen Witz, seine Scharfsinnigkeit; das Schöne in der Natur bildet seinen Geschmack und verfeinet seine Empfindung; das Erhabene erregt seine Bewunderung, und erhebt seine Begriffe gleichsam über die Sphäre dieser Vergänglichkeit hinweg. Ordnung, Uebereinstimmung, und Ebenmaß dienen ihm nicht nur zum vernünftigen Ergetzen, sondern beschäfftigen seine Gemüthskräfte alle in gehöriger und ihrer Vollkommenheit zuträglicher Harmonie. Bald tritt er mit seines gleichen in Gesellschaft, um sich wechselsweise die Mittel zur Glückseligkeit zu erleichtern: und siehe! es zeugen und bilden sich an ihm in dieser Gesellschaft höhere Vollkommenheiten, die bisher wie in einer Knospe eingewickelt gewesen. Er erlanget Pflichten, Rechte, Befugnisse, und Obliegenheiten, die ihn in die Klasse moralischer Naturen erheben; es entstehen Begriffe von Gerechtigkeit, Billigkeit, Anständigkeit, Ehre, Ansehen, Nachruhm. Der eingeschränkte Trieb der Familienliebe wird in Liebe zum Vaterlande, zum ganzen menschlichen Geschlecht erweitert, und aus dem angebornen Keime des Mitleidens entsprossen Wohlwollen, Mildthätigkeit, und Großmuth.

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