Nachhut eintraf – die Vorräte in der Mitte hatten wir preisgegeben –, das Gefecht gegen Totila zu stellen. Aber nicht auf lange. Denn nun war auch die zweite Schar der gotischen Reiter heran; wie der Sturmwind sauste der schwarze Teja herzu, durchbrach unsern rechten Flügel, der ihm zunächst stand, von vorn, durchbrach dann meine eigene gegen Totila gerichtete Front von der Flanke und zersprengte unsern ganzen Schlachthaufen. Ich gab das Gefecht verloren, ergriff ein ledig Roß und eilte dem Feldherrn nach. Aber auch Teja hatte die Richtung von dessen Flucht erkannt und jagte uns wütend nach. An der fulvischen Brücke holte er die Bedeckung ein; Johannes und ich hatten mehr als die Hälfte der noch übrigen Leibwächter an der Brücke aufgestellt, den Übergang zu wehren, unter Principus, dem tapfern Pisidier, und Tarmuth, dem riesigen Isaurier. Dort fielen sie alle dreißig, zuletzt auch die beiden treuen Führer, von dem Schwerte des Teja allein, wie ich vernahm. Dort fiel die Blüte von Belisars Leibwächtern: darunter viele meiner nächsten Waffenfreunde, Alamundarus der Sarazene, Artasines der Perser, Zanter der Armenier, Longinus der Isaurier, Bucha und Chorsamantes die Massageten, Kutila der Thrakier, Hildeger der Vandale, Juphrut der Maure, Theodoritos und Georgios die Kappadokier. Aber ihr Tod erkaufte unsere Rettung. Wir holten hinter der Brücke unser hier zurückgelassenes Fußvolk ein, das dann noch die feindlichen Reiter so lang beschäftigte, bis das tiburtinische Tor sich – spät genug! – dem wunden Feldherrn öffnete. Dann eilt’ ich, als wir ihn auf einer Sänfte Antoninens Pflege zugesandt, an das Grabmal Hadrians, wo, wie es hieß. die Stadt genommen sei, und fand dich dem Tode nah.»
«Und was hat jetzt Belisar beschlossen?»
«Seine Wunden sind nicht so schwer wie die deine und doch die Heilung langsamer. Er hat den Goten den Waffenstillstand gewährt, den sie verlangten, ihre vielen Toten zu bestatten.»
Cethegus fuhr auf von den Kissen. «Er hätte ihn verweigern sollen! Keine unnütze Verzögerung der Entscheidung mehr! ich kenne diese gotischen Stiere; nun haben sie sich die Hörner stumpf gestürmt: jetzt sind sie müd und mürbe.
Jetzt kam die Zeit für einen letzten Schlag, den ich schon lang ersonnen. Die Hitze draußen in der glühenden Ebene werden ihre großen Leiber schlecht ertragen, schlechter den Hunger: am schlechtesten den Durst. Denn der Germane muß saufen, wenn er nicht schnarcht oder prügelt. Nun braucht man nur ihren vorsichtigen König noch ein wenig einzuschüchtern. Sage Belisar meinen Gruß, und mein Dank für sein Schwert sei mein Rat: Er solle noch heute den gefürchteten Johannes mit achttausend Mann durch das Picenum gegen Ravenna schicken: die flaminische Straße ist frei und wird wenig gedeckt sein, denn Witichis hat die Besatzungen aller Festungen hierher gezogen, und leichter gewinnen wir jetzt Ravenna, als die Barbaren Rom. Sowie aber der König Ravenna, seinen allerletzten Hort, bedroht sieht, wird er eilen, ihn um jeden Preis zu retten. Er wird sein Heer hinwegziehen von diesen uneinnehmbaren Mauern und wieder der Verfolgte statt Verfolger sein.» – «Cethegus», sprach Prokop aufspringend, «du bist ein großer Feldherr.» – «Nur nebenbei, Prokopus! Geh jetzt und grüße mir den großen Sieger Belisar.»
Fünfzehntes Kapitel
An dem letzten Tage des Waffenstillstands konnte Cethegus bereits wieder auf den Wällen des Grabmals Hadrians erscheinen, wo ihn seine Legionäre und Isaurier mit lautem Zuruf begrüßten. Sein erster Gang war zu dem Grabmal des Kallistratos; er legte auf die schwarze Marmorplatte einen Kranz von Lorbeeren und von Rosen nieder. Während er von hier aus die Verstärkung der Befestigungen anordnete, brachte ihm Syphax ein Schreiben von Mataswintha.
Es lautete lakonisch genug: «Mach’ bald ein Ende. Nicht länger kann ich den Jammer ansehn. Die Bestattung von vierzigtausend Männern meines Volks hat mir die Brust zerrissen. Die Klagelieder schienen alle mich anzuklagen. Währt das noch länger, so erlieg’ ich. Der Hunger wütet furchtbar in dem Lager. Ihre letzte Hoffnung ist eine große Zufuhr von Getreide und Vieh, die aus Südgallien unter Segel ist. An den nächsten Kalenden wird sie auf der Höhe von Portus erwartet. Handle danach – aber mach’ rasch ein Ende.»
«Triumph», sprach der Präfekt, «die Belagerung ist aus. Unsre kleine Flotte lag bisher fast müßig zu Populonium. Jetzt soll sie Arbeit finden. Diese Königin ist die Erinnys der Barbaren.» Und er ging selbst zu Belisar, der ihn mit edler Großheit empfing. –
In derselben Nacht, der letzten der Waffenruhe, zog Johannes zum pincianischen Tore hinaus, dann links nach der flaminischen Straße schwenkend. Ravenna war sein Ziel. Und eilende Boten flogen zur See mit raschen Segeln nach Populonium, wo sich ein kleines römisches Geschwader gesammelt hatte. Der Kampf um die Stadt ruhte, trotz Ablaufs des Waffenstillstands, fast ganz. Eine Woche darauf etwa machte der König, der sein Schmerzenslager zum erstenmal verließ, in Begleitung seiner Freunde den ersten Gang durch die Zelte. Drei von den sieben vormals menschenwimmelnden Lagern waren völlig verödet und aufgegeben: auch die übrigen vier waren nur noch spärlich bevölkert. Todmüde, ohne Klage, aber auch ohne Hoffnung, lagen die abgemagerten Gestalten, von Hunger und Fieber verzehrt, vor ihren Zelten.
Kein Zuruf, kein Gruß erfreute den wackern König auf seinem schmerzensreichen Gang: kaum daß sie die müden Augen aufschlugen bei dem Schall der nahenden Schritte.
Aus dem Innern der Zelte drang das laute Stöhnen der Kranken, der Sterbenden, die den Wunden, dem Mangel, den Seuchen erlagen. Kaum fand man die hinlängliche Zahl von Gesunden, die nötigsten Posten zu beziehen. Die Wachen schleppten die Speere hinter sich her, zu matt, sie aufrecht oder auf der Schulter zu tragen.
Die Heerführer kamen an die Schanzen vor dem aurelischen Tor; im Wallgraben lag ein junger Schütz und kaute an dem bittern Gras. Hildebad rief ihm zu: «Beim Hammer! Gunthamund, was ist das? Deine Sehne ist ja gesprungen, was ziehst du keine andre auf?» – «Kann nicht, Herr, die Sehne sprang gestern bei meinem letzten Schuß. Und ich und die drei Burschen neben mir, haben die Kraft nicht, eine neue aufzuziehen.» Hildebad gab ihm einen Trunk aus seiner Lederflasche: «Hast du auf einen Römer geschossen?» – «O nein, Herr», sagte der Mann, «eine Ratte nagte dort an der Leiche. Ich traf sie glücklich, und wir teilten sie zu viert.»
«Iffaswinth, wo ist dein Oheim Iffamer?» fragte der König. «Tot, Herr.»
«Er fiel hinter dir, als er dich hinwegtrug. Vor dem verfluchten Marmorgrab.»
«Und dein Vater Iffamut?» – «Auch tot. Er vertrug’s nicht mehr, das giftige Wasser aus den Pfützen. Der Durst, König, brennt noch heißer als der Hunger. Und es will ja nicht regnen aus diesem bleiernen Himmel.» – «Ihr seid alle aus dem Athesistal?» – «Ja, Herr König, vom Iffinger-Berg. Oh, welch köstlich Quellwasser dort daheim!»
Teja sah in einiger Entfernung einen andern Krieger aus einer Sturmhaube trinken. Seine Züge verfinsterten sich noch mehr. «He, du, Arnulf!» rief er ihm zu, «du scheinst nicht Durst zu leiden?» – «Nein, ich trink oft», sprach der Mann. «Was trinkst du?» – «Das Blut von den Wunden der Frischgefallenen. Anfangs ekelt’s sehr: aber man gewöhnt’s in der Verzweiflung.»
Schaudernd schritt Witichis weiter. «Schick all meinen Wein ins Lager, Hildebad. Die Wachen sollen ihn teilen.» – «All deinen Wein? O König, mein Schenkamt ist gar leicht geworden. Du hast noch anderthalb Krüge. Und Hildebrand, dein Arzt, sprach, du sollst dich stärken.»
«Und wer stärkt diese, Hildebad? Die Not macht sie zu wilden Tieren!»
«Komm mit nach Hause», mahnte Totila, des Königs Mantel ergreifend. «Hier ist nicht gut sein.»
Im Zelt des Königs angelangt, setzten sich die Freunde schweigend um den schönen Marmortisch, der auf goldnen Gefäßen steinhartes verschimmeltes Brot aufwies und wenige Stücke Fleisch. «Es war das letzte Pferd aus den königlichen Ställen», sagte Hildebad, – «bis auf Boreas.» – «Boreas wird nicht geschlachtet! – mein Weib, mein Kind sind auf seinem Rücken gesessen.»
Und er stützte das müde Haupt auf die beiden Hände: eine neue schwere Pause trat ein. «Freunde», hob er endlich an, «das geht nicht länger also. Unser Volk verdirbt vor diesen Mauern.