mit der Flotte, und wir schwelgen in allem Guten.»
«Er ist noch nicht da!» sprach Teja.
«Und unser Verlust an Menschen, so schwer er ist», ermutigte Totila, «wird er nicht durch frische Mannschaft ersetzt, wenn Graf Ulithis von Urbinum eintrifft, mit den Besatzungen, die der König aus den Festen von Ravenna bis Rom weggezogen hat, unsre leeren Zelte zu füllen?»
«Auch Ulithis ist noch nicht da», sprach Teja. «Er soll noch in Picenum stehen. Und kommt er glücklich an, so wird der Mangel im Lager noch größer.»
«Doch auch die Römerstadt muß fasten!» meinte Hildebad, das harte Brot mit der Faust auf dem Steintisch zerschlagend. «Laß sehn, wer’s länger aushält!»
«Oft hab’ ich’s überdacht in schweren Tagen und schlummerlosen Nächten», fuhr der König langsam fort.
«Warum? Warum das alles so kommen mußte? Nach bestem Gewissen hab’ ich immer wieder Recht und Unrecht abgewogen, zwischen diesen Feinden und uns: und ich kann’s nicht anders finden, als daß Recht und Treue auf unsrer Seite stehen. Und wahrlich, an Kraft und Mut haben wir’s nicht fehlen lassen.»
«Du am wenigsten», sagte Totila.
«Und an keinem schwersten Opfer!» seufzte der König. «Und wenn nun doch, wie wir alle sagen, ein Gott im Himmel waltet, gerecht und gut und allgewaltig, warum läßt er all dies ungeheure, unverdiente Elend zu? Warum müssen wir erliegen vor Byzanz?»
«Wir dürfen aber nicht erliegen», schrie Hildebad. «Ich habe nie viel gegrübelt über unsern Herrgott. Aber wenn er das geschehen ließe, müßte man Sturm laufen gegen den Himmel und ihm seinen Thron mit Keulen zerschlagen.»
«Lästre nicht, mein Bruder!» sprach Totila. «Und du, mein edler König, Mut und Vertrauen.
Ja, es waltet ein gerechter Gott dort über den Sternen. Drum muß zuletzt die gute Sache siegen. Mut, mein Witichis, und Hoffnung, bis ans Ende.»
Aber der Tiefgebeugte schüttelte das Haupt. «Ich gestehe es euch, ich habe aus diesem Irrsal, aus den schrecklichen Zweifeln an Gottes Gerechtigkeit, nur einen Ausweg gefunden. Es kann nicht sein, daß wir all dies schuldlos leiden. Und da unsres Volkes Sache zweifellos gerecht, so muß verborgne Schuld an mir, an eurem König haften. Wiederholt, erzählen unsre Lieder aus der Heidenzeit, hat sich ein König für sein Volk selbst den Göttern geopfert, wenn Unsieg, Seuche, Mißwachs jahrelang den Stamm verfolgte. Er hat die verborgne Schuld auf sich genommen, die auf den Volksgenossen zu lasten schien, und sie durch den Tod gebüßt, oder indem er ohne die Krone ins Elend ging, ein friedloser Landflüchtiger. – Laßt mich die Krone abtun von diesem Haupt ohne Glück noch Stern. Wählt einen andern, dem Gott nicht zürnt: wählt Totila, oder –»
«Das Wundfieber faselt noch aus dir!» unterbrach ihn der alte Waffenmeister. «Du mit Schuld beladen! Du, der Treueste von uns allen! Nein, ich will’s euch sagen, ihr Kinder allzujunger Tage, die ihr der Väter alte Kraft mit der Väter altem Glauben verloren habt und nun keinen Trost wißt für eure Herzen. Mich erbarmt eurer Reden ohne Zuversicht.» – Und seine grauen Augen leuchteten in seltnem Glanze über die Freunde hin. «Alles, was hier auf Erden erfreut und schmerzt, ist kaum der Freude noch des Schmerzes wert. Nur auf eines kommt es hier unten an: ein treuer Mann gewesen sein, kein Neiding, und den Schlachttod sterben, nicht den Strohtod. Den treuen Helden aber tragen die Walküren aus dem blutigen Feld auf roten Wolken hinauf in Odins Saal, wo die Einheriar mit vollen Bechern ihn begrüßen. Dann reitet er alltäglich mit ihnen hinaus zur Jagd und Waffenspiel beim Morgenlicht und wieder herein zu Trunk und Skaldensang in goldner Halle beim Abendlicht. Und schöne Schildjungfrauen kosen mit den Jungen: und weise Vorzeitrunen raunen wir Alten mit den alten Helden der Vorzeit. Und ich werde sie alle wiederfinden, die starken Gesellen meiner Jugend, den kühnen Winithar und Herrn Waltharis von Aquitanien und Guntharis, den Burgunden. Und schauen werd’ ich auch ihn, dessen Anblick ich lange begehrt: Herrn Beowulf, den Geaten, und aus grauen Urtagen den Cherusken, der zuerst die Römer schlug, von dem noch die Sänger der Sachsen singen und sagen. Und wieder trag’ ich Schild und Speer meinem Herrn, dem König mit den Adleraugen. Und so leben wir fort in alle Ewigkeit in Licht und heller Freude, vergessen der Erde hier unten und alles ihres Wehs.»
«Ein schön Gedicht, alter Heide», lächelte Totila. «Wenn uns aber das nicht mehr tröstet für wirkliches, herznagendes Leid? Sprich du doch auch, Teja, du finstrer Gast. Was ist dein Gedanke bei diesen unsern Leiden? Nie fehlt uns dein Schwert: was versagst du dein Wort? Was schweigt dein tröstender Harfenschlag, du liederkundiger Sänger?»
«Mein Wort», sagte Teja aufstehend, «mein Wort und Gedanke wäre euch vielleicht schwerer zu tragen als all dies Leid. Laß mich noch schweigen, mein sonnenheller Totila. Vielleicht kommt noch der Tag, da ich dir Antwort gebe. Vielleicht auch zur Harfe spiele, wenn dann noch eine Saite daran hält.» Und er schritt aus dem Zelte.
Denn draußen in dem Lager hatte sich ein wirrer, rätselhafter Lärm von rufenden, fragenden Stimmen erhoben.
Die Freunde sahen ihm schweigend nach. «Ich weiß wohl, was er denkt», sagte der alte Hildebrand endlich. «Denn ich kenne ihn vom Knaben auf:
Er ist nicht wie andere. Auch im Nordland denken manche so, die nicht an Thor und Odin glauben, sondern nur an die Nort und ihre eigene Kraft und Stärke. Es ist fast zu schwer für ein Menschenherz. Und glücklich, glücklich macht es nicht, wie er zu denken. Mich wundert, daß er singt und Harfe schlägt dabei.»
Da riß Teja, wieder eintretend, die Zeltvorhänge auf: sein Antlitz war noch bleicher als zuvor, seine dunkeln Augen blitzten, aber seine Stimme war ruhig wie sonst, da er sprach: «Brich das Lager ab, König Witichis. Unsere Schiffe sind bei Ostia in der Feinde Hand gefallen. Sie haben Graf Odoswinths Kopf ins Lager geschickt. Und sie lassen auf den Wällen Roms, vor den Augen unserer Wachen, von den gefangenen Goten die erbeuteten Rinder schlachten. Große Verstärkungen aus Byzanz unter Valerian und Euthalius: Hunnen, Sclavenen und Anten, hat eine segelreiche Flotte aus Byzanz in den Tiber geführt. Denn der blutige Johannes hat das Picenum durchzogen…» –
«Und Graf Ulithis?»
«Er hat Ulithis geschlagen und getötet, Ancona und Ariminum genommen. Und –»
«Ist das noch nicht alles?» rief der König.
«Nein, Witichis! Eile tut not! Er bedroht Ravenna: er steht nur noch wenige Meilen vor der Stadt.»
Sechzehntes Kapitel
Am Tage nach dem Eintreffen dieser für die Goten so verhängnisvollen Nachrichten hatte Witichis die Belagerung Roms aufgegeben und sein tief entmutigtes Heer aus den vier noch übrigen Lagern herausgezogen.
Ein volles Jahr und neun Tage hatte die Einschließung gewährt. So viel Mut und Kraft, so viele Anstrengungen und Opfer waren vergeblich gewesen.
Schweigend zogen die Goten an den stolzen Wällen vorüber, an denen ihr Glück und ihre Macht zerschellt waren. Schweigend trugen sie die höhnenden Worte, die Römer und «Romäer» (Byzantiner) ihnen von den sichern Zinnen herab zuriefen. Ihr Zorn und ihre Trauer waren zu groß, um durch solchen Spott getroffen zu werden.
Aber als Belisars Reiterei, aus dem pincianischen Tore brechend, die Abziehenden verfolgen wollte, wurde sie grimmig zurückgewiesen. Denn Graf Teja führte die gotische Nachhut.
So zog das Heer von Rom auf der flaminischen Straße durch Picenum in raschen Märschen (obwohl den von den Feinden besetzten Plätzen Narnia, Spoletium und Perusium ausgewichen werden mußte) nach Ravenna, wo Witichis zur rechten Zeit eintraf, die gefährliche Stimmung der Bevölkerung, die auf die Kunde von dem Unglück der Barbaren schon mit dem drohenden Johannes in geheime Verhandlungen getreten war, zu unterdrücken.
Johannes zog sich bei Annäherung der Goten in seine letzte wichtige Eroberung Ariminum zurück. In Ancona lag Konon, der Nauarch Belisars, mit den thrakischen Speerträgern und mit Kriegsschiffen.