Felix Dahn

Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane


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      Der König hatte den Schutz der Mauerlücke am Turm des Aëtius Hildebad übertragen und war sofort auf die Brandstätte geeilt.

      Als er dort eintraf, fand er das Feuer im Erlöschen: – aber nur aus Mangel an Nahrung. Der ganze Inhalt, der Speicher samt deren Brettergerüsten und dem Dach, alles, was durch Feuer zerstörbar, war bis auf den letzten Splitter und das letzte Korn verbrannt. Nur die nackten, ruß- und rauchgeschwärzten Steinmauern des ursprünglichen Marmorbaus, des Zirkus des Theodosius, starrten noch gen Himmel.

      Ein Mal des Blitzstrahls war an ihnen nicht wahrzunehmen. Das Feuer mußte sehr lange Zeit von innen heraus, wo der Blitz den Holzbau entzündet haben mochte, unvermerkt fortgeglimmt sein und sich über alle Innenräume des Holzbaues schleichend verbreitet haben. Als Flammen und Rauch aber zu den Dachlücken herausschlugen, war alle Hilfe zu spät. Krachend war bald darauf der Rest des Holzbaues zusammengestürzt; die Einwohner hatten vollauf zu tun, die nächsten, teilweise schon vom Feuer ergriffenen Häuser zu retten. Dies gelang mit Hilfe des Regens, der kurz vor Tagesanbruch endlich einfiel und dem Sturm sowie dem Blitz und Donner ein Ende machte.

      Aber statt der Speicher beleuchtete die aufgehende Sonne, als sie das Gewölk zerstreute, nur einen trostlosen Haufen Schutt und Asche in der Mitte des Marmorrundbaus.

      Schweigend, mit tief gesenktem Haupt, lehnte der König lange Zeit diesen Ruinen gegenüber an einer Säule der Basilika. Ohne Regung, nur manchmal den Mantel auf der mächtig arbeitenden Brust zusammendrückend. Im Anblick dieser Trümmer war ein schwerer Entschluß in ihm gereift. Jetzt ward es grabesstill in seinem Innern.

      Jedoch um ihn her auf dem Platze wogte das Elend der verzweifelnden Armen von Ravenna betend, fluchend, weinend, scheltend. «Oh, was wird jetzt aus uns!» – «Oh, wie war das Brot so weiß, so gut, so duftend, das ich noch gestern hier erhielt.» – «Oh, was werden wir jetzt essen?»

      «Bah, der König muß aushelfen.» – «Ja, der König muß Rat schaffen.» – «Der König?»

      «Ach, der arme Mann, woher soll er’s nehmen?» – «Hat er doch selbst nichts mehr.» – «Das ist seine Sache.» – «Er allein hat uns in all die Not gebracht.» – «Er ist an allem schuld.» – «Was hat er die Stadt nicht lang dem Kaiser übergeben.» – «Jawohl, ihrem rechtmäßigen Herrn!» – «Fluch den Barbaren!» – «Sie sind an allem schuld.» – «Nicht alle, nein, der König allein. Seht ihr’s denn nicht? Es ist die Strafe Gottes!» – «Strafe? Wofür? Was hat er verbrochen? Er gab dem Volke von Ravenna Brot!» – «So wißt ihr’s nicht? Wie kann der Eheschänder die Gnade Gottes haben? Der sünd’ge Mann hat ja zwei Weiber zugleich! Der schönen Mataswintha hat ihn gelüstet. Und er ruhte nicht, bis sie sein eigen war. – Sein ehelich Weib hat er verstoßen.»

      Da schritt Witichis unwillig die Stufen herab. Ihn ekelte des Volkes. Aber sie erkannten seinen Schritt.

      «Da ist der König! Wie finster er blickt», riefen sie durcheinander und wichen zur Seite. «Oh, ich fürchte ihn nicht. Ich fürchte den Hunger mehr als seinen Zorn. Schaff’ uns Brot, König Witichis. Hörst du’s, wir hungern!» sprach ein zerlumpter Alter und faßte ihn am Mantel. «Brot, König!» – «Guter König, Brot!» – «Wir verzweifeln!» – «Hilf uns!» Und wild drängte sich die Menge um ihn.

      Ruhig, aber kräftig machte sich Witichis frei. «Geduldet euch», sprach er ernst. «Bis die Sonne sinkt, ist euch geholfen.» Und er eilte nach seinem Gemach.

      Dort warteten auf ihn mehrere Diener Mataswinthens und ein römischer Arzt.

      «Herr», sprach dieser mit besorgter Miene, «die Königin, deine Gemahlin, ist sehr krank. Die Schrecken dieser Nacht haben ihren Geist verwirrt. Sie spricht wirre Fieberreden. Willst du sie nicht sehen?»

      «Nicht jetzt, sorgt für sie.» – «Sie reichte mir», fuhr der Arzt fort, «mit größter Angst und Sorge diesen Schlüssel. Er schien sie in ihren Wahnreden am meisten zu beschäftigen. Sie holte ihn unter ihrem Kopfkissen hervor. Und sie ließ mich schwören, ihn nur in deine Hand zu geben, er sei von höchster Wichtigkeit.»

      Mit einem bittern Lächeln nahm der König den Schlüssel und warf ihn zur Seite. «Er ist es nicht mehr. – Geht, verlaßt mich und sendet meinen Schreiber.»

      *

      Eine Stunde später ließ Prokop den Präfekten in das Zelt des Feldherrn eintreten.

      Als er eintrat, rief ihm Belisar, der mit hastigen Schritten auf und nieder ging, entgegen: «Das kommt von deinen Plänen, Präfekt! Von deinen Künsten! Von deinen Lügen! Ich hab’ es immer gesagt: vom Lügen kommt Verderben, und ich verstehe mich nicht drauf! Oh, warum bin ich dir gefolgt! Jetzt steck’ ich in Not und Schande!»

      «Was bedeuten diese Tugendreden?» fragte Cethegus seinen Freund.

      Dieser reichte ihm einen Brief. «Lies. Diese Barbaren sind unergründlich in ihrer großartigen Einfalt. Sie schlagen den Teufel durch Kindessinn; lies.»

      Und Cethegus las mit Staunen: «Du hast mir gestern drei Dinge zu wissen getan:

      Daß die Franken mich verraten haben. Daß du im Bund mit den Franken das Westreich deinem undankbaren Kaiser entreißen willst. Daß du uns Goten freien Abzug über die Alpen ohne Waffen anbietest.

      Darauf habe ich dir gestern geantwortet, die Goten geben nie ihre Waffen ab und räumen nicht Italien, die Eroberung und Erbschaft ihres großen Königs: eher fall’ ich hier mit meinem ganzen Heer. So habe ich gestern gesprochen. So spreche ich heute noch, obwohl sich Feuer, Wasser, Luft und Erde gegen uns empörten. Aber was ich immer dunkel gefühlt, hab’ ich heut nacht unter den Flammen meiner Vorräte klar erkannt: es liegt ein Fluch auf mir. Um meinetwillen erliegen die Goten. Ich bin das Unglück meines Volkes. Das soll nicht länger also sein. Nur meine Krone versperrte einen ehrenvollen Ausweg: sie soll’s nicht mehr. Du erhebst dich mit Recht gegen Justinian, den treulosen und undankbaren Mann. Er ist unser Feind wie der deine. Wohlan: stütze dich, statt auf ein Heer der falschen Franken, auf das ganze Volk der Goten, deren Kraft und Treue dir bekannt. Mit jenen sollst du Italien teilen: mit uns kannst du es ganz behalten. Laß mich den Ersten sein, der dich begrüßt wie als Kaiser des Abendlands so als König der Goten. Alle Rechte bleiben meinem Volk, du trittst einfach an meine Stelle. Ich selber setze dir meine Krone auf das Haupt, und wahrlich: kein Justinian soll sie dir entreißen. Verwirfst du diesen Antrag: so mache dich gefaßt auf einen Kampf, wie du noch keinen gekämpft. Ich breche dann mit fünfzigtausend Goten in dein Lager. Wir werden fallen. Aber auch dein ganzes Heer. Eins oder das andre. Ich hab’s geschworen. Wähle. Witichis.»

      Einen Augenblick war der Präfekt aufs furchtbarste erschrocken. Rasch hatte er einen forschenden Blick auf Belisar geworfen. Aber dieser eine Blick beruhigte ihn wieder ganz. «Er ist ja Belisar», sagte er sich abermals. «Jedoch gefährlich ist es immer, mit dem Teufel zu spielen. Welche Versuchung! –»

      Er gab den Brief zurück und sagte lächelnd: «Welch ein Einfall! Wozu doch die Verzweiflung führt.»

      «Der Einfall», meinte Prokop, «wäre gar nicht so übel, wenn…»

      «Wenn Belisar nicht Belisar wäre», lächelte Cethegus.

      «Spart euer Lachen», schalt dieser. «Ich bewundre den Mann. Und es darf mich nicht mehr beleidigen, daß er mich der Empörung fähig hält. Hab’ ich es ihm doch selber vorgelogen.» Und er stampfte mit dem Fuß. «Ratet jetzt und helft! Denn ihr habt mich in diese leidige Wahl geführt. Ja sagen kann ich nicht. Und sag’ ich nein: darf ich des Kaisers Heer als vernichtet ansehn. Und muß obendrein bekennen, daß ich die Empörung erlogen.»

      Cethegus sann schweigend nach, das Kinn mit der Linken langsam streichend. Plötzlich durchblitzte ihn ein Gedanke. Ein Strahl der Freude flog verschönend über sein Gesicht: «So kann ich sie beide verderben!» Er war in diesem Augenblick sehr mit sich zufrieden. Aber erst wollte er Belisar ganz sicher machen. «Du kannst vernünftigerweise nur zwei Dinge tun», sagte er zaudernd.

      «Rede, ich sehe weder eins noch das andre.»

      «Entweder