Johannes, Demetrius, Bessas, Acacius, Vitalius und eine Reihe andrer belisarischer Heerführer in den Palast des Königs ziehen. Sie berieten dort mit ihm die näheren Bedingungen und die Formen der Übergabe.
Unter den Goten verlautete einstweilen nur: der Friede sei geschlossen. Die beiden Hauptwünsche, um derentwillen das Volk den ganzen schweren Kampf getragen, würden erreicht: sie würden frei sein und im ungeteilten Besitz des fruchtbaren Südlands bleiben, das ihnen so teuer geworden war. Das war weitaus mehr, als nach dem schlimmen Stand der gotischen Sache seit dem Abzug von Rom und dem unvermeidlich gewordnen Verlust von Ravenna zu erwarten war. Und die Häupter der Sippen und sonst die einflußreichsten Männer im Heere, die jetzt von dem bevorstehenden Schritt Belisars verständigt wurden, billigten vollständig die beschlossenen Bedingungen.
Die wenigen, welche die Zustimmung weigerten, erhielten freien Abzug aus Ravenna und Italien. Aber auch abgesehen hiervon wurde das in Ravenna stehende Gotenheer nach allen Richtungen zerstreut. Witichis sah die Unmöglichkeit ein, in der ausgezogenen Landschaft außer den Truppen Belisars mit dessen Vorräten auch noch das gotische Heer und die Bevölkerung zu versorgen: und so bewilligte er die Forderung Belisars, daß die Goten, in Gruppen von Hunderten und Tausenden, zu allen Toren der Stadt hinausgeführt und in allen Richtungen nach ihren Heimstätten entlassen würden.
Belisars fürchtete den Ausbruch gotischer Verzweiflung, wenn der arge Verrat, den man vorhatte, ruchbar würde: und er wünschte deshalb die Verteilung des aufgelösten Heeres. War er einmal im sichern Besitz von Ravenna, so erhoffte er etwaige Erhebungen auf dem flachen Lande leicht zu dämpfen. Und Tarvisium, Verona und Ticinum, die letzten festen Plätze der Goten in ganz Italien, konnten dann nicht lange mehr seiner gesamten gegen sie gewendeten Macht widerstehen.
Die Ausführung dieser Maßregeln erforderte mehrere Tage Zeit.
Erst als nur mehr wenige Mann Goten in Ravenna versammelt waren, beschloß Belisar seinen Einzug. Und auch von diesem geringen Rest wurde die Hälfte in das byzantinische Lager verlegt, die andre Hälfte in den Quartieren der Stadt verteilt unter dem Vorwand, den etwaigen Widerstand von hartnäckigen Anhängern Justinians zu brechen.
Was aber die Ravennaten und die in den Plan nicht eingeweihten Goten am meisten wunderte, war, daß nach wie vor die blaue gotische Fahne auf den Zinnen des Palastes wehte. Freilich stand ein Lanzenträger Belisars dort oben bei ihr Wache. Denn auch der Palast war schon voll von Byzantinern.
Gegen einen etwaigen Versuch des Präfekten, sich wie in Rom durch Besetzung der wichtigsten Punkte zum Herrn der Stadt zu machen, hatte Belisar vorsichtige Maßregeln getroffen. Cethegus durchschaute sie und lächelte. Er tat nichts dagegen.
Am Morgen des zum Einzug bestimmten Tags trat Cethegus in glänzender Rüstung in das Zelt Belisars.
Er traf nur Prokop. «Seid ihr bereit?» fragte er. «Vollständig.» – «Welches ist der Moment?» – «Der Augenblick, in dem der König im Schloßhof zu Pferde steigt, uns entgegenzureiten. Wir haben alles bedacht.»
«Wieder einmal alles?» lächelte der Präfekt. «Eins habt ihr mir doch noch übriggelassen. Es wird nicht ausbleiben, daß die Barbaren, sowie unser Plan gelungen und bekannt ist, im ganzen Land in heller Wut auflodern werden. Mitleid und Rachedurst für ihren König könnten sie zu sehr wilden Taten führen.
Die ganze Begeisterung für Witichis und die Entrüstung gegen uns würde nun im Keim erstickt, und die Goten sähen sich nicht von uns, sondern von ihrem König verraten, wenn dieser selbst schriftlich bezeugen würde, er habe die Stadt nicht an Belisar als Gotenkönig und Rebellen gegen Justinian, sondern einfach an den Feldherrn Justinians übergeben. Jene Empörung Belisars, die ja auch wirklich ausbleibt, erscheint dann den Goten als eine bloße von ihrem König ersonnene Lüge, die Schande der Ergebung ihnen zu verhüllen.»
«Das wäre vortrefflich; aber Witichis wird das nicht tun.»
«Wissentlich schwerlich. Aber vielleicht unwissentlich. Ihr habt ihn den Vertrag doch nur im Original unterschreiben lassen?»
«Er hat nur einmal unterschrieben.»
«Diese Urkunde ist in seinem Besitz? Gut, ich werde ihn hier dies von mir aufgesetzte Duplikat unterzeichnen lassen, auf daß auch Belisar», lächelte er, «das wertvolle Schriftstück besitze.»
Prokop blickte hinein. – «Wenn er das unterzeichnet, hebt sich freilich kein gotisch Schwert mehr für ihn. Aber –»
«Laß die Aber mich besiegen. Entweder unterschreibt er heute freiwillig, im Drang des Augenblicks, ohne zu lesen» –
«Oder?»
«Oder», vollendete Cethegus finster, «er unterschreibt später. Unfreiwillig. – – Ich eile voraus. Entschuldige, wenn ich euern Triumphzug nicht begleite. Meinen Glückwunsch an Belisar.»
Aber da trat Belisar in das Zelt. Antonina folgte ihm. Er war nicht gerüstet und blickte düster vor sich hin.
«Eile, Feldherr», mahnte Prokop, «Ravenna harrt ihres Besiegers. Der Einzug –»
«Nichts von Einzug», sprach Belisar grimmig. «Ruf’ die Soldaten ab. Mich reut der ganze Handel.»
Cethegus blieb an dem Ausgang des Zeltes stehen.
«Belisar!» rief Prokop entsetzt, «welcher Dämon hat dir das eingeblasen?» – «Ich!» sagte Antonina stolz, «was sagst du nun?» – «Ich sage, daß große Staatsmänner keine Frauen haben sollten!» rief Prokop ärgerlich. «Belisar entdeckte mir erst in dieser Nacht euer Vorhaben. Und ich hab’ ihn unter Tränen… –»
«Versteht sich», brummte Prokop, «die kommen stets zu rechter Zeit.» – «Unter Tränen beschworen, abzustehen. Ich kann meinen Helden nicht von so schwerem Verrat befleckt sehen.»
«Und ich will’s nicht sein. Lieber reit’ ich besiegt im Orkus ein, denn also als ein Sieger in Ravenna. Meine Briefe an den Kaiser sind noch nicht abgegangen. – Also ist’s noch Zeit.»
«Nein», sagte Cethegus herrisch, von der Tür ins Zelt schreitend. «Zum Glück für dich ist’s nicht mehr Zeit. Wisse: ich habe schon vor acht Tagen an den Kaiser geschrieben, ihm alles mitgeteilt und Glück gewünscht, daß sein Feldherr ohne mindesten Verlust Ravenna gewonnen hat und den Krieg beendet.»
«Ah, Präfekt», rief Belisar. «Du bist ja sehr dienstfertig. Woher dieser Eifer?»
«Weil ich Belisarius kenne und seinen Wankelmut. Weil man dich zu deinem Glücke zwingen muß. Und weil ich ein Ende des Krieges will, der mein Italien zerfleischt.» Und drohend trat er gegen die Frau heran, die auch jetzt der dämonischen beherrschenden Gewalt seines Blickes nicht zu entgehen vermochte. «Wag’ es, versuch’ es jetzt! Tritt zurück, enttäusche Witichis und opfre einer Grille deines Weibes Ravenna, Italien und dein Heer. Siehe zu, ob dir das Justinianus je vergeben kann. Auf Antoninas Seele diese Schuld! Horch, die Trompeten rufen: rüste dich! Es bleibt dir keine Wahl!» Und er eilte hinaus.
Bestürzt sah ihm Antonina nach. «Prokop», fragte sie dann, «weiß es der Kaiser wirklich schon?»
«Und wenn er es noch nicht wüßte, – zu viele sind schon in das Geheimnis eingeweiht. Nachträglich erfährt er jedenfalls, daß Ravenna und Italien sein war, und – daß Belisar um die Gotenkrone, die Kaiserkrone warb. Nur daß er sie erlangt und – abgeliefert, kann ihn rechtfertigen vor Justinian.»
«Ja», sagte Belisar seufzend, «er hat recht. Es bleibt mir keine Wahl.»
«So geh», sprach Antonina eingeschüchtert, «Mir aber sei’s erlassen, bei diesem Einzug dich zu begleiten: – es ist ein Schlingenlegen, kein Triumph!»
*
Die Bevölkerung von Ravenna, wenn auch im unklaren über die näheren Bestimmungen, war doch gewiß, daß der Friede geschlossen und den langen und schweren Leiden des verheerenden Kampfes ein Ende gemacht sei.
Und die Bürger hatten in aufatmender Freude über diese Erlösung die Trümmer, die das Erdbeben auf sehr viele Straßen geworfen, hinweggeräumt und ihre befreite Stadt festlich geschmückt.