Felix Dahn

Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane


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zu entrinnen; die Welschen sperrten alle Wege und lieferten, was flüchtete mit gelbem Haar, den Massageten aus. Kein Weg blieb offen als der Weg hierher nach der Rabenstadt – wohin ich als sein Weib nie hatte kommen wollen. Als flüchtige Bettlerin kam ich hier an, nur sein Roß Wallada und sein Knecht, nun sein Freigelassener, Wachis, noch mir eigen und treu.

      Aber ihm zum Heil, – von Gott hierher gezwungen, – ob ich schon nicht wollte – ihn zu retten, zu befreien von scheußlichem Verrat des eignen Weibes! Und aus seiner Feinde Bosheit. Dank dir, treuer Gott! Ich durfte nicht mehr mit ihm leben – aber – aber ich, – Rauthgundis! – darf ihn retten.» –

      Da rasselte ihr gegenüber die eiserne Hofpforte.

      Ein Mann mit Licht trat heraus, ging über den Hof und trat alsbald in das Vorzimmer. Es war der alte Kerkerwart.

      «Nun? Sprich!» rief Rauthgundis, ihren Sitz verlassend und ihm in das erste Gemach entgegeneilend.

      «Geduld – Geduld – laß mich erst die Lampe niederstellen. So! – Nun, also: er hat getrunken. Und es hat ihm wohlgetan.»

      Rauthgundis legte die Hand auf die pochende Brust. «Was tut er?» fragte sie dann.

      «Er sitzt immer schweigend in der nämlichen Stellung. Auf dem Holzschemel, den Rücken gegen die Tür gewandt, das Haupt in beide Hände gestützt. Er gibt mir keine Antwort, sooft ich ihn anspreche. Er pflegte sich sonst gar nicht zu regen. Ich glaube, der Gram und Schmerz hat ihm was angetan. Aber heute, wie ich ihm den Wein im Holzbecher hinreichte und sprach: ‹Trink, lieber Herr, es kommt von treuen Freunden›: – da blickte er auf. So traurig, so zum Sterben traurig war der Blick und das ganze Antlitz. Und tat einen tiefen Zug und nickte dankend mit dem Haupt und seufzte tief, tief, daß es mir durch die Seele schnitt.»

      Rauthgundis bedeckte die Augen mit beiden Händen.

      «Weiß Gott, was er Böses mit ihm vorhat!» brummte der Alte leise vor sich hin.

      «Was sagst du?»

      «Ich sage, du mußt jetzt auch einmal tüchtig essen und trinken. Sonst verlassen dich die Kräfte. Und du wirst sie brauchen, arme Frau.»

      «Ich werde sie haben.» – «So nimm wenigstens einen Becher Wein.» – «Von diesem? Nein, der ist für ihn allein.» – Und sie trat in das innere Gemach zurück, wo sie ihren alten Platz einnahm.

      «Der Krug reicht ja noch lang», fuhr der alte Dromon für sich fort. «Und ich fürchte: wir müssen ihn bald retten, wenn er gerettet werden soll. Da kommt Wachis. Wenn er nur gute Nachricht bringt, sonst… –»

      Wachis trat ein. Er hatte seit dem Besuch bei der Königin die Sturmhaube und seinen Mantel mit Gewändern Dromons vertauscht. «Gute Botschaft bring’ ich», sprach er im Eintreten. «Aber wo wart ihr vor einer Stunde? Ich pochte vergeblich.»

      «Wir waren beide ausgegangen, Wein zu kaufen.»

      «Ach ja, deshalb duftet das ganze Gemach so stark – was seh’ ich? Das ist ja alter, köstlicher Falerner! Womit hast du den bezahlt?»

      «Womit?» wiederholte der Alte, «mit dem edelsten Golde der Welt!» Und seine Stimme bebte vor Rührung. «Ich erzählte ihr, daß der Präfekt ihn absichtlich Mangel leiden lasse, daß er elend werde. Seit vielen Tagen hat man mir gar keine Speise für ihn gegeben. Ich habe ihn, gegen mein Gewissen, nur dadurch erhalten, daß ich den andern Gefangenen an dem ihren abbrach. Das wollte sie nicht. Sie sann nach und fragte dann: ‹Nicht wahr, Dromon, die reichen Römerinnen bezahlen immer noch das gelbe Haar der Germaninnen so hoch?› Und ich, in meiner Einfalt nichts ahnend, sagte ja.

      Und sie geht hin und schneidet schweigend ihre reichen, schönen, goldbraunen Flechten und Zöpfe ab und bringt sie mir. Und damit ward der Wein bezahlt.»

      Da stürzte Wachis in das nächste Gemach, warf sich vor ihr nieder und bedeckte den Saum ihres Gewandes mit Küssen. «O Herrin» – rief er mit versagender Stimme – «goldne, goldtreue Frau!»

      «Was treibst du, Wachis? Steh auf und erzähle.»

      «Ja, erzähle», sprach Dromon hinzutretend, «was rät mein Sohn?»

      «Wozu brauchen wir seinen Rat?» sprach die Frau. «Ich, ich allein will es vollenden.»

      «Sehr nötig brauchen wir ihn. Der Präfekt hat aus allen jungen Ravennaten, nach dem Muster der römischen, neun Kohorten Legionäre gebildet und meinen Paulus auch eingereiht. Zum Glück hat er diesen Legionären die Bewachung der Stadttore anvertraut.

      Die Byzantiner liegen draußen im Hafen, seine Isaurier hier im Palast.»

      «Die Tore nun», fuhr Wachis fort, «werden zur Nacht sorgfältig gesperrt. Aber die Mauerlücke am Turm des Aëtius ist immer noch nicht ausgebaut. Nur die Wachen stehen dort.»

      «Wann trifft meinen Sohn die Wache?»

      «In zwei Tagen: die dritte Nachtwache.»

      «Allen Heiligen sei Dank. Viel länger durft’ es nicht währen: – ich fürchte… –» Und er stockte.

      «Was? Sprich», mahnte Rauthgundis entschlossen. «Ich kann alles hören.»

      «Es ist am Ende besser, du weißt es. Denn du bist klüger und findiger als wir beide. Und findest eher Rat als wir. Ich fürchte: sie haben’s schlimm mit ihm vor.

      Solange Belisar hier befahl, ging es ihm noch gut.

      Aber seit der fortgebracht und der Präfekt, der schweigsam kalte Dämon, Herr im Palast ist, hat’s ein gefährlich Ansehn. Alle Tage besucht er ihn selbst im Kerker.

      Und spricht lang und eifrig und drohend in ihn hinein. Ich habe oft im Gang gelauscht. Er muß aber wenig ausrichten. Denn der Herr gibt ihm, glaub’ ich, gar keine Antwort. Und wenn der Präfekt herauskommt, blickt er so finster wie – wie der König der Schatten. Und seit sechs Tagen erhalte ich keinen Wein und keine Speisen für ihn als ein kleines Stück Brot. Und die Luft da unten ist so moderdumpf wie im Grabe.»

      Rauthgundis seufzte tief

      «Und gestern, als der Präfekt herauf kam – er sah grimmiger als je darein – da fragte er mich… –»

      «Nun? Sprich es aus, was es auch sei!»

      «Ob die Foltergeräte in Ordnung seien.» Rauthgundis erbleichte, aber sie schwieg. «Der Neiding!» rief Wachis, «was hast du» – «Sorget nicht, eine Weile hat’s noch gute Wege.

      ‹Clarissime›, antwortete ich – und es ist die reine Wahrheit – die Schrauben und die Zangen, die Gewichte und die Stacheln und das ganze saubere Qualzeug liegt in schönster Ordnung alles beisammen.’ – ‹Wo?› fragte er. ‹Im tiefen Meer. Ich selbst hab’ es, schon auf König Theoderichs Befehl, hineingeworfen.› Denn wisset, Frau Rauthgundis: euer Herr hat einmal, da er noch einfacher Graf war, mich gerettet, da die Geräte an mir selbst versucht werden sollten. Da wurde auf sein Bitten das Foltern völlig abgetan: ich schulde ihm mein Leben und meine heilen Glieder. Und darum wag’ ich mit Freuden meinen Hals für ihn. Und will auch, wenn’s nicht anders geht, gern diese Stadt mit euch verlassen. Aber lange dürfen wir nicht säumen. Denn der Präfekt bedarf nicht meiner Zangen und Schrauben, wenn er einem das Mark aus dem Leibe quälen will. Ich fürcht’ ihn wie den Teufel.»

      «Ich haß’ ihn wie die Lüge», sagte Rauthgundis grimmig.

      «Darum müssen wir rasch sein, eh’ er seine schwarzen Gedanken vollführen kann. Denn er sinnt Arges gegen den guten König. Ich weiß nicht, was er noch weiter von dem armen Gefangenen will. Also hört und merkt euch meinen Plan. In der dritten Nacht, da mein Paulus die Wache hat, wann ich ihm den Nachttrunk bringe, schließe ich ihm die Ketten los, werfe ihm meinen Mantel über und führe ihn aus dem Kerker und dem Gang in den Hof.

      Von da kommt er ungehindert bis an das Tor des Palastes, wo ihn die Torwache um die Losung fragt. Diese werd’ ich ihm sagen.

      Ist er auf der Straße, dann rasch an den Turm des Aëtius, wo ihn mein Paulus die Mauerlücke passieren läßt. Draußen