Felix Dahn

Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane


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zu. Witichis hielt Rauthgundis vor sich, hinter dem Hals des Rosses. «Mein Weib! Mit dir hatte ich alles verloren! Leben und Lebensmut. Aber nun will ich’s noch einmal wagen um das Reich. Oh, wie konnte ich dich von mir lassen, du Seele meiner Seele.»

      «Dein Arm ist wund vom Druck der Kette! So! Leg’ ihn hier auf meinen Nacken, o du mein alles.»

      «Vorwärts, Wallada! Rasch! Es gilt das Leben.»

      Da bogen sie aus dem Dickicht des Hains ins Freie. Das Ufer des Flusses war erreicht. Wachis trieb sein bäumendes Pferd in die dunkle Flut. Das Tier scheute und widerstrebte. Der Freigelassene sprang ab. «Er geht sehr tief, sehr reißend. Es ist Hochwasser seit drei Tagen. Die Furt ist nicht zu brauchen. Die Gäule müssen schwimmen, und stark rechts abwärts wird’s uns reißen. Und es sind Felsen im Fluß. Und das Mondlicht wechselt sooft und täuscht.» – Ratlos prüfte er am Ufer hin und her.

      «Horch, was war das?» fragte Rauthgundis. «Das war nicht der Wind in den Steineichen.»

      «Pferde sind’s», sagte Witichis. «Sie nahen in Eile. Ja, wir sind verfolgt. Waffen klirren. Da – Fackeln. Jetzt hinein in den Strom auf Leben und Sterben. Aber leise!»

      Und er führte sein Pferd am Zügel in die Flut.

      «Kein Bodengrund mehr. Die Gäule müssen schwimmen. Halte dich fest an der Mähne, Rauthgundis, Vorwärts, Wallada!»

      Schnaubend, zitternd, blickte das Tier in die schwarze Flut – die Mähne flog wirr kopfüber – die Vorderfüße vorgestreckt, den Hinterbug zurückgestemmt.

      «Vorwärts, Wallada!» Und leise rief Witichis dem treuen Roß ins Ohr: «Dietrich von Bern!» Da setzte das edle Tier in stolzem Sprung willfährig in die Flut.

      Schon jagten die verfolgenden Reiter aus dem Wald, voran Cethegus, ihm zur Seite Syphax, eine Fackel hebend. «Hier, im Ufersand, verschwindet die Spur, o Herr.»

      «Sie sind im Wasser! Vorwärts, ihr Hunnen!»

      Aber die Reiter zogen die Zügel an und rührten sich nicht.

      «Nun, Ellak? Was zögert ihr? Sofort in die Flut!»

      «Herr, das können wir nicht. Ehe wir zur Nachtzeit in fließend Wasser reiten, müssen wir Phug, den Wassergeist, um Verzeihung bitten. Wir müssen erst zu ihm beten.»

      «Betet nachher, wenn ihr drüben seid, solang ihr wollt, nun aber –»

      Da fuhr ein stärkerer Windstoß über den Fluß und verlöschte alle Fackeln. Hochauf rauschte die Flut.

      «Du siehst, o Herr, Phug zürnt.»

      «Still! Saht ihr nichts? Da unten, links?»

      Der Mond war aus dem jagenden Gewölk getaucht.

      Er zeigte Rauthgundis helles Untergewand; den braunen Mantel hatte sie verloren.

      «Zielt rasch dorthin.»

      «Nein, Herr! Erst ausbeten.»

      Da war es wieder dunkel am Himmel. Mit einem Fluch riß dem Hunnenhäuptling Cethegus Bogen und Köcher von der Schulter.

      «Nun rasch vorwärts!» rief leise Wachis, der schon fast das rechte Ufer gewonnen hatte, zurück – «ehe der Mond aus jener schmalen Wolke tritt.»

      «Halt, Wallada!» rief Witichis, abspringend, die Last zu erleichtern, und sich an der Mähne haltend. «Da ist ein Fels! Stoße dich nicht, Rauthgundis.»

      Roß, Mann und Weib stockten einen Augenblick an dem ragenden Stein, wo in gurgelndem, tiefem Wirbel das Wasser reißend zog.

      Da ward der Mond ganz frei. Hell beleuchtete er die Fläche des Stroms und die Gruppe am Felsen.

      «Sie sind es!» rief Cethegus, der schon den gespannten Langbogen bereit hielt, zielte und schoß. Schwirrend flog der lange, schwarzgefiederte Pfeil von der Sehne.

      «Rauthgundis!» rief Witichis entsetzt. Denn sie zuckte zusammen und sank nach vorwärts auf die Mähne des Rosses, aber sie klagte nicht.

      «Bist du getroffen?» – «Ich glaube. Laß mich hier. Und rette dich». – «Niemals! Laß dich stützen.»

      «Um Gott, Herr, duckt euch! Taucht! Sie zielen!»

      Die Hunnen hatten jetzt ausgebetet. Sie ritten bis hart an den Strom, bis in sein Uferwasser, bogenspannend und zielend.

      Laß mich, Witichis! Flieh, ich sterbe hier.» – «Nein, ich lasse dich nie mehr!» Er wollte sie aus dem Sattel heben und sie auf dem Stein bergen. In hellem Mondlicht stand die Gruppe.

      «Gib dich gefangen, Witichis!» rief Cethegus, sein Roß bis an den Bug in das Wasser spornend.

      «Fluch über dich, du Lügner und Neiding.»

      Da schwirrten zwölf Pfeile auf einmal. Hoch auf sprang das Roß Theoderichs und versank für immer in die Tiefe.

      Aber auch Witichis war auf den Tod getroffen. «Bei dir!» – hauchte noch Rauthgundis. Fest mit beiden Armen umfing sie Witichis. – «Mit dir!»

      Umschlungen verschwanden sie im Fluß.

      Jammernd rief drüben Wachis im Schilf des Ufers noch dreimal ihren Namen. Er erhielt keine Antwort. Da jagte er davon in die Nacht.

      «Schafft die Leichen ans Land!» befahl Cethegus düster, sein Roß wendend. Und die Hunnen ritten und schwammen bis an den Stein und suchten.

      Aber sie suchten vergebens. Der rasche Strom hatte sie mit fortgerissen und die wieder vereinten Gatten mit sich hinausgetragen ins tiefe, freie Meer.

      *

      Am gleichen Tage war Prinz Germanus von Ariminum in den Hafen von Ravenna zurückgekehrt, bereit, demnächst Mataswintha nach Byzanz zu führen.

      Diese war aus ihrer Betäubung erst durch die Hammerschläge der Werkleute geweckt worden, die das Mauerwerk neben der Gangtür durchbrachen, die eingesperrten Söldner zu befreien. Man fand die Fürstin auf den Kerkerstufen zusammengebrochen. Sie ward in vollem Fieber in ihre Gemächer hinaufgetragen, wo sie auf den Purpurpolstern ohne Laut und Regung, aber mit starr geöffneten Augen lag.

      Gegen Mittag ließ sich Cethegus melden. Sein Blick war finster und drohend, sein Antlitz von eisiger Kälte. Er trat dicht an ihr Lager. Mataswintha sah ihm ins Auge.

      «Er ist tot!» sagte sie dann ruhig.

      «Er wollte es nicht anders. Er – und du. Dir Vorwürfe machen ist zwecklos. Aber du siehst, was das Ende wird, wenn du mir entgegen handelst. Das Geschrei von seinem Untergang wird unfehlbar die Barbaren in neue Wut treiben. Schwere Arbeit hast du mir geschaffen. Denn nur du hast ihm Flucht und Tod bereitet. Das mindeste, was du zur Sühne tun kannst, ist: meinen zweiten Wunsch erfüllen. Prinz Germanus ist gelandet, dich abzuholen. Du wirst ihm folgen.»

      «Wo ist die Leiche?»

      «Nicht gefunden. Der Strom hat ihn davongetragen. Ihn und – das Weib.»

      Mataswinthens Lippe zuckte. «Noch im Tode! Sie starb mit ihm?»

      «Laß diese Toten! In zwei Stunden werde ich mit dem Prinzen wieder kommen. Wirst du bis dahin bereit sein, ihn zu begrüßen?»

      «Ich werde bereit sein.»

      «Gut. Wir wollen pünktlich sein.»

      «Auch ich. Aspa, rufe alle Sklavinnen herbei. Sie sollen mich schmücken: Diadem, Purpur, Seide.»

      «Sie hat den Verstand verloren», sagte Cethegus im Hinausgehen. «Aber die Weiber sind zäh. Sie wird ihn wiederfinden. Sie können fortleben mit aus der Brust gerissenem Herzen.»

      Und er ging den ungeduldigen Prinzen zu vertrösten.

      Noch vor Ablauf der bedungenen Zeit kam eine Sklavin, beide Männer zur Königin zu entbieten.

      Germanus eilte mit raschem Fuße über die Schwelle ihres Gemaches. Aber gefesselt von Staunen blieb er stehen. So schön, so prachtvoll