Felix Dahn

Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane


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Wellen auf ihre Schultern und von den Schultern bis über den Rücken floß. Das Unterkleid, von schwerster weißer Seide mit goldnen Blumen durchwirkt, war nur unterhalb der Knie sichtbar. Denn Brust und Schoß bedeckte der weite Purpurmantel. Ihr Antlitz war marmorweiß, ihr Auge loderte in geisterhaftem Glanz. «Prinz Germanus», rief sie dem Eintretenden entgegen, «du hast mir von Liebe geredet? Aber weißt du, was du geredet? Lieben ist sterben.»

      Germanus sah fragend auf Cethegus.

      Dieser trat vor. Er wollte sprechen.

      Aber Mataswintha hob mit heller Stimme wieder an:

      «Prinz Germanus, sie rühmen dich den Feinstgebildeten an einem weisen Hof, wo man sich übt in spitzer Rätsel Ratung. Auch ich will dir eine Rätselfrage stellen: sieh zu, ob du sie lösest. Laß dir nur helfen dabei von dem klugen Präfekten, der sich so ganz auf Menschengemüter versteht. Was ist das? Weib und doch Mädchen? Witwe und doch nie Weib? Vermagst es nicht zu deuten? Hast recht. Der Tod nur löst alle Rätsel.»

      Rasch zur Seite warf sie den Purpurmantel. Ein breites, starkes Schwert blitzte. Mit beiden Händen stieß sie sich’s tief in die Brust.

      Aufschreiend sprangen Germanus von vorn, Aspa von rückwärts hinzu. Schweigend fing Cethegus die Sinkende auf Sie starb, sowie er das Schwert aus der Wunde zog. Er kannte das Schwert. Er hatte selbst ihr es einst gesendet.

      Es war das Schwert des Königs Witichis.

      Sechstes Buch:

       Totila Erste Abteilung

       Inhaltsverzeichnis

      

      «Heil, daß uns dieser Sonnen-Jüngling lebt» Markgraf Rüdiger von Bechelaren

      Erstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Wenige Tage nach dem Tode Mataswinthens und der Abreise des tieferschütterten Prinzen kam eine Botschaft aus Castra nova, die den Aufbruch byzantinischer Truppen von Ravenna notwendig machte.

      Hildebad war durch flüchtige Goten, die sich durch die Linien der Belagerer geschlichen, von der verräterischen Gefangennehmung des Königs unterrichtet worden. Da ließ er durch Gefangene, die er freigab, Belisar und Cethegus, jeden einzeln oder beide zusammen, wie sie wollten, zum Zweikampf laden, «wenn sie eine Ader von Mut, einen Tropfen von Ehre im Leibe trügen».

      «Er glaubt Belisar noch im Lande und scheint ihn nicht eben zu fürchten», sagte Bessas. – «Hier läge ein Mittel» erwiderte Cethegus lauernd, «den ungestümen Raufbold zu verderben. Aber freilich, Mut gehört dazu. Mut, wie ihn Belisar gehabt.»

      «Du weißt, ich weiche ihm auch darin nicht.»

      «Gut», sprach Cethegus, «folge mir in mein Gemach.

      Ich will dir Rat und Mittel zeigen, den Riesen zu vernichten. Du sollst vollbringen, was Belisar mißlang.» Zu sich selber aber sprach er: «Bessas ist zwar ein löblich schlechter Feldherr, aber Demetrius kein besserer, und leichter zu leiten. Und Bessas schuld’ ich noch Vergeltung für das tiburtinische Tor zu Rom.»

      Nicht ohne Grund hatte der Präfekt gefürchtet, der schon fast erloschene Widerstand der Goten werde sich neu beleben bei der Kunde von der hinterlistigen Vernichtung des Königs.

      Mit jedem Mittel hatte er daher jene Erklärung von Witichis erzwingen wollen, die jede Begeisterung der Rache erstickt haben würde. Noch war an den alten Hildebrand zu Verona, an Totila nach Tarvisium und an Teja zu Ticinum keine genauere Nachricht gelangt. Nur die Kunde, daß Ravenna gefallen, der König gefangen sei, hatte sie erreicht. Dunkel verlautete dabei der Verrat. Und der Schmerz und Zorn der Freunde ließen es sich nicht nehmen: mit rechten Dingen könne nicht die feste Stadt, der wackre König erlegen sein. Statt sie zu entmutigen, verstärkte das Unheil die Kraft ihres Widerstandes. In wiederholten glücklichen Ausfällen schwächten sie die Belagerer. Und diese sahen sich schon fast genötigt, die Einschließung aufzugeben.

      Denn die Anzeichen einer bedeutsamen Veränderung der Verhältnisse in ganz Italien strömten von allen Seiten auf sie ein.

      Diese Veränderung war ein sich rasch vollziehender Umschwung in Stimmung und Gesinnung der römischen Bevölkerung, wenigstens des gesamten Mittelstandes: der Kaufleute und Handwerker in den Städten, der Bauern und Colonen auf dem flachen Lande.

      Die Italier hatten überall die Byzantiner jubelnd als Befreier begrüßt. Aber nach kürzester Zeit legte sich dieser Jubel. Im Gefolge Belisars zogen ganze Scharen von Finanzbeamten aus Byzanz, von Justinian gesendet, sofort die Früchte des Kampfes zu ernten und die immer leeren Kassen des Ostreichs mit den Reichtümern Italiens zu füllen. Mitten in den Leiden des Krieges begannen und betrieben diese Eifrigen ihr Werk. Sowie Belisar eine Stadt besetzt hatte, so berief der mit eingerückte Logothetes (Kassenrechnungsführer) alle freien Bürger in die Kurie oder auf das Forum, ließ die Bürger sich selbst nach dem Vermögen in sechs Klassen teilen und forderte nun je die ärmere Klasse auf, die nächst höhere nach ihrem Vermögen zu schätzen. Auf Grund dieser Schätzung legten dann die kaiserlichen Beamten jeder Klasse eine möglichst hochgegriffene Steuer auf.

      Und da sie, schon durch die Vorenthaltung, Verkürzung, Verzögerung bei dem niemals pünktlich bezahlten Gehalte fast darauf angewiesen, stets neben den Kassen des Kaisers die eigne Tasche zu füllen bedacht waren, wurde der Druck unerträglich. Die Logotheten waren nicht zufrieden mit den hohen Steuersätzen, die der Kaiser für drei Jahre vorausbezahlt verlangten mit der besonderen, jeder befreiten Stadt Italiens auferlegten «Freiheits-, Dank-und Freudenschatzung» – neben den starken Beisteuern und Lieferungen, die Belisar und seine Heerführer zur Verpflegung des Heeres ausschreiben mußten – denn von Byzanz kam weder Geld noch Vorrat –, verlegten sich jene Finanzkünstler darauf, mit besonderen Mitteln den reicheren Bürgern noch besondere Zahlungen abzunötigen.

      Sie stellten überall Nachprüfungen der Steuerlisten an, entdeckten Rückstände aus der Zeit der Gotenkönige oder gar noch aus den Tagen Odoakers und ließen den Bürgern nur die Wahl zwischen ungeheuren Abfindungssummen oder ungeheuren Rechtsstreiten mit dem Fiskus Justinians, der noch nie einen Prozeß verloren.

      Waren aber die Steuerlisten unvollständig oder zerstört – was häufig genug in diesen Jahren der Kämpfe geschehen –, so stellten die Rechnungsführer sie nach eigner Willkür wieder her.

      Kurz, alle Finanzkünste, welche die Provinzen des Ostreichs zugrunde richteten, wurden seit Belisars Landung in ganz Italien geübt, soweit die kaiserlichen Waffen reichten.

      Ohne Rücksicht auf die Not des Krieges spannten die Steuerboten dem Bauer das pflügende Rind aus dem Pflug, nahmen dem Handwerker das Gerät aus der Werkstatt, dem Kaufmann die Waren aus der Halle. In manchen Städten erhob sich das Volk, die Steuerlisten verbrennend, in hellem Aufruhr gegen seine Peiniger, die freilich alsbald in größeren Scharen mit strengerer Härte wiederkehrten. Mit afrikanischen Bluthunden jagten die maurischen Reiter Justinians die verzweifelnden Bauern aus ihren Waldverstecken, wohin sie sich geflüchtet, den Steuererhebern zu entrinnen.

      Cethegus aber, der allein in der Stellung gewesen wäre, Abhilfe zu versuchen, sah dem allen zu mit berechnender Ruhe. Ihm war es erwünscht, daß Italien schon vor Beendigung des Krieges die Tyrannei von Byzanz fühlbar kennenlernte. Desto leichter würde er es mit fortreißen können, sich zu erheben mit eigner Kraft und nach den Goten auch die Byzantiner abzuschütteln. Mit Achselzucken hörte er die Klagen der Städtegesandten an, die seine Vermittlung anriefen, und gab die lakonische Antwort: «Das ist byzantisch Regiment ihr müßt euch dran gewöhnen.» – «Nein», hatten die Abgeordneten von Rom gerufen, «das Unerträgliche gewöhnt man nicht. Und der Kaiser könnte ein Unerhörtes erleben, das er sich nicht träumen läßt.»

      Dies Unerhörte konnte sich Cethegus nur als die Erhebung