Belisars Zug von dem Tore Stilichos nach dem Forum des Honorius wurde nicht gestört. Im Palast angelangt, berief er den Senat, die Dekurionen der Stadt, und nahm sie in Eid und Pflicht für Kaiser Justinianus. Prokopius wurde mit den goldenen Schlüsseln von Neapolis, Rom und Ravenna nach Byzanz gesendet. Er sollte ausführlichen Bericht erstatten und für Belisar Verlängerung des Amtes erbitten bis zur demnächst zu erwartenden völligen Beruhigung Italiens und hierauf, wie nach dem Vandalenkrieg, die Ehre des Triumphes, unter Aufführung des gefangenen Königs der Goten im Hippodrom.
Denn Belisar sah den Krieg für beendet an. Cethegus teilte beinah diesen Glauben. Doch fürchtete er in den Provinzen den Ausbruch gotischen Zornes über den geübten Verrat. Er sorgte daher dafür, daß über die Art des Falles der Stadt vorläufig keine Kunde durch die Tore drang: und er suchte eifrig im Geiste nach einem Mittel, den gefangenen König selbst als ein Werkzeug zur Dämpfung des etwa neu auflodernden Nationalgefühls zu verwerten. – Auch bewog er Belisar, Hildebad, der in der Richtung nach Tarvisium entkommen war, durch Acacius mit den persischen Reitern verfolgen zu lassen.
Vergebens versuchte er, die Königin zu sprechen. Sie hatte sich seit jener Nacht der Schrecken noch immer nicht ganz erholt und ließ niemand vor. Auch die Nachricht von dem Falle der Stadt hatte sie mit dumpfem Schweigen hingenommen. Der Präfekt bestellte ihr eine Ehrenwache – um sich ihrer zu versichern. Denn er hatte noch große Pläne mit ihr vor.
Dann sandte er ihr das Schwert des gefangenen Königs und schrieb ihr dabei: «Mein Wort ist gelöst. König Witichis ist vernichtet. Du bist gerächt und befreit. – Nun erfülle auch du meine Wünsche.»
Einige Tage darauf beschied Belisar, seines treuen Beraters Prokop beraubt, den Präfekten zu sich in den rechten Flügel des Palastes, wo er sein Quartier aufgeschlagen. «Unerhörte Meuterei!» rief er dem Eintretenden entgegen. – «Was ist geschehen?»
«Du weißt, ich habe Bessas mit den lazischen Söldnern in die Schanze des Honorius gelegt, einen der wichtigsten Punkte der Stadt. Ich vernehme daß der Geist dieser Truppen unbotmäßig – ich rufe sie ab und Bessas… –» – «Nun?» – «Weigert den Gehorsam.» – «Ohne Grund? Unmöglich!»
«Lächerlicher Grund! Gestern ist der letzte Tag meiner Amtsgewalt abgelaufen.» – «Nun?» – «Bessas erklärt, seit letzter Mitternacht hätt’ ich ihm nichts mehr zu befehlen.»
«Schändlich. Aber er ist im Recht.»
«Im Recht? In ein paar Tagen trifft des Kaisers Antwort ein, auf mein Gesuch. Natürlich ernennt er mich, nach dem Gewinn von Ravenna, aufs neue zum Feldherrn, bis zur Beendigung des Krieges. Übermorgen kann die Nachricht da sein.»
«Vielleicht schon früher, Belisar. Die Leuchtturmwächter von Classis haben schon bei Sonnenaufgang ein Schiff angemeldet, das von Ariminum her naht. Es soll eine kaiserliche Triere sein. Jede Stunde kann sie einlaufen. Dann löst sich der Knoten von selbst.»
«Ich will ihn aber zuvor durchhauen. Meine Leibwächter sollen die Schanze stürmen und Bessas, den halsstarrigen Kopf… –»
Da eilte Johannes atemlos herein. «Feldherr», meldete er, «der Kaiser! Kaiser Justinianus selbst ankert soeben im Hafen von Classis.»
Unmerklich zuckte Cethegus zusammen. Sollte ein solcher Blitzstrahl aus heiterer Luft, eine Laune des unberechenbaren Despoten, nach solchen Mühen, das fast vollendete Gebäude seiner Pläne gerade vor der Bekrönung niederwerfen?
Aber Belisar fragte mit leuchtenden Augen: «Mein Kaiser? Woher weißt du?» – «Er selbst kommt, dir für deine Siege zu danken. Solche Ehre ward noch keinem Sterblichen zuteil. Das Schiff von Ariminum trägt die kaiserliche Präsenzflagge. Purpur und Silber. Du weißt, das bedeutet, daß der Kaiser an Bord.»
«Oder ein Glied seines Hauses!» verbesserte Cethegus in Gedanken, aufatmend.
«Eilt in den Hafen, unsern Herrn zu empfangen», mahnte Belisar.
*
Sein Stolz und seine Freude wurden enttäuscht, als ihnen auf dem Wege nach Classis die ersten ausgeschifften Höflinge begegneten und im Palast Quartier forderten, nicht für den Kaiser selbst, sondern für dessen Neffen, den Prinzen Germanus.
«So sendet er doch den Ersten nach ihm selbst», sprach Belisar, sich selber tröstend im Weitergehen zu Cethegus. «Germanus ist der edelste Mann am Hof. Unbestechlich, gerecht und unverführbar rein. Sie nennen ihn: ‹die Lilie im Sumpf›. Aber du hörst mich nicht!»
«Vergib, ich bemerkte dort im Gedränge, unter den eben Gelandeten, meinen jungen Freund Licinius.»
«Salve Cethege!» rief dieser, sich Weg zum Präfekten bahnend.
«Willkommen im befreiten Italien! Was bringst du von der Kaiserin?» fragte er flüsternd.
«Das Abschiedswort: Nike (Viktoria)! und diesen Brief», flüsterte der Bote ebenso leise. – «Aber», und seine Stirne furchte sich – «schicke mich nie mehr zu diesem Weibe.» – «Nein, nein, junger Hippolytos, ich denke, es wird nie mehr nötig sein.»
Damit hatten sie die Steindämme des Hafens erreicht, dessen Stufen soeben der kaiserliche Prinz hinanstieg. Die edle Erscheinung, von einem reich geschmückten Gefolge umgeben, ward von den Truppen und dem rasch zusammenströmenden Volk mit Jubelruf und kaiserlichen Ehren empfangen.
Cethegus faßte ihn scharf ins Auge. «Das bleiche Antlitz ist noch bleicher geworden», sagte er zu Licinius. «Ja, man sagt: die Kaiserin hat ihn vergiftet, weil sie ihn nicht verführen konnte.»
Der Prinz, nach allen Seiten dankend, hatte jetzt Belisarius erreicht, der ihn ehrfurchtsvoll begrüßte. «Gegrüßt auch du, Belisarius», erwiderte er ernst. «Folge mir sogleich in den Palast. Wo ist Cethegus, der Präfekt? Wo Bessas? Ah, Cethegus», sagte er, dessen Hand ergreifend, «ich freue mich, den größten Mann Italiens wiederzusehen. Du wirst mich alsbald zu der Enkelin Theoderichs begleiten. Ihr gebührt mein erster Gang. Ich bringe ihr Geschenke Justinians und meine Huldigung. Sie war eine Gefangene in ihrem eigenen Reich. Sie soll eine Königin sein am Hofe zu Byzanz.»
«Das soll sie», dachte Cethegus. Er verneigte sich tief und sprach: «Ich weiß: du kennst die Fürstin seit lange, ihre Hand war dir bestimmt.»
Eine rasche Glut flog über des Prinzen Wange. «Leider nicht ihr Herz. Ich sah sie hier, vor Jahren, am Hof ihrer Mutter: und seitdem hat mein inneres Auge nichts mehr als ihr Bild gesehen.» – «Ja, sie ist das schönste Weib der Erde», sagte der Präfekt, ruhig vor sich hin sehend. «Nimm diesen Chrysopras zum Dank für dieses Wort», sagte Germanus und steckte einen Ring an des Präfekten Finger.
Damit traten sie in das Portal des Palastes.
«Jetzt, Mataswintha», sprach Cethegus zu sich selbst, «jetzt hebt dein zweites Leben an. Ich kenne kein römisch Weib – ein Mädchen vielleicht ausgenommen, das ich kannte! – das solcher Versuchung widerstehen könnte. Soll diese rohe Germanin widerstehen?» –
Sowie sich der Prinz von den Mühen der Seefahrt einigermaßen erholt und die Reisekleider mit einem Staatsgewand vertauscht hatte, erschien er an der Seite des Präfekten in dem Thronsaal des großen Theoderichs im Mittelbau des Palastes.
An den Wänden der stolz gewölbten Halle hingen noch die Trophäen gotischer Siege. Ein Säulengang lief an drei Seiten des Saales hin: in der Mitte des vierten erhob sich der Thron Theoderichs.
Mit edlem Anstand stieg der Prinz die Stufen hinan. Cethegus blieb mit Belisar, Bessas, Demetrius, Johannes und zahlreichen andern Heerführern im Mittelgrund.
«Im Namen meines kaiserlichen Herrn und Ohms nehme ich Besitz von dieser Stadt Ravenna und von dem abendländischen Römerreich. An dich, Magister Militum, dies Schreiben unseres Herrn, des Kaisers. Erbrich und lies es selbst der Versammlung vor. So befahl Justinianus.»
Belisar trat vor, empfing kniend den kaiserlichen Brief, küßte das Siegel, erhob sich wieder, öffnete und las:
«Justinianus, der Imperator der Römer, Herr des Morgen-und des Abendreichs,