MICHAEL DANGL
Grado
ABSEITS DER PFADE
Eine etwas andere Reise durch die Sonneninsel
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6., aktualisierte Auflage 2020
© 2015 by Braumüller GmbH
Servitengasse 5, A-1090 Wien
Photos: © Michael Dangl
Coverphoto: © Maria Fedotova
Karten: S. 28f., 52f., 62f., 74f., 92f., 106f., 122f., 140f., 156f., 166f., 186f., 196f. openstreetmap.org | © OpenStreetMap-Mitwirkende (CC BY-SA 2.0)
Druck: EuroPB, Dělostřelecká 344, CZ 261 01 Příbram
ISBN 978-3-99100-153-9
eISBN 978-399100-154-6
Für Anfisa Margarita
Unsere frühe Zeit als Kind
Lebt noch in Grados Welt:
Geht die Küste entlang mit dem Wind
Vergoldet sich im blauen Himmelszelt.
La fresca età bambina
la xe restagia in aria sora Gravo:
col vento la va longo la marina
e la se indora drento el sielo biavo.
Biagio Marin
Hat man sich nicht ringsum vom Meere umgeben gesehen, so hat man keinen Begriff von Welt und von seinem Verhältnis zur Welt.
Johann Wolfgang von Goethe, „Italienische Reise“
Inhalt
Grado, das römische Castrum
Vorwort
Lieber Reisender,
ein Geständnis zu Beginn. Grado ist meine Geliebte. Als solche teile ich sie nur ungern. Außer der Saison – und das heißt Ende September bis Ende Mai – gehört sie oft mir (obwohl auch das, wie bei den meisten Geliebten, eine Illusion ist). Doch gibt es etwas, das stärker ist als die von meiner Schönen geweckte Eifersucht, und das ist mein Stolz auf sie.
Es wäre falsch, Grado als östliches Ende einer Reihe von Touristenorten an der oberen Adria zu denken. Sie* ist vielmehr der westliche Anfang einer Küste der Poesie, die nach Miramar und Triest führt (beide mit freiem Auge zu sehen), und schon nach wenigen Kurven oder einer halben Bootsstunde in das Zauberreich von Duino. Die Poesie hört in den paar Wochen (mehr sind es nicht) des touristischen Ansturmes nicht auf, sie lebt im Gesicht des Fischers, der dir bei der sardelada seinen Fang zubereitet, im Sonnenaufgang, im Sternenhimmel, im Lagunengras, wo immer du bereit bist, sie zu finden.
Es war ein aufregender Entschluss für mich, meine Geliebte herzuzeigen, zu beschreiben und meine bislang eher stille Passion der Welt zu öffnen. Außerdem hatte ich mir so einen offiziellen Grund verschafft, sie zu besuchen. Und: Gravo – so der Name des Orts im lokalen Dialekt – war, als Ausgleich zu meiner wortreichen Tätigkeit, immer so etwas wie meine Küste des Schweigens. Doch nun frischte ich mein Italienisch auf, das in den Jahren meines glückvollen Russischlernens verwelkt war, und tat etwas, das meinen Gradoreisen einen bislang unbekannten Aspekt gab: Ich kam ins Gespräch. Und die Gradeser öffneten mir ihr Herz und ihre Insel.