Uschi Zietsch

Elfenzeit 8: Lyonesse


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war dennoch beunruhigt. »Du täuschst dich nie, Anne.«

      »Danke für das Kompliment.« Sie hakte sich bei ihm unter. »Ich habe Hunger. Haben wir noch Zeit, essen zu gehen?«

      Er freute sich, dass sie das fragte. Es schien ihr wirklich besser zu gehen. Vielleicht sollte er sich als Therapeut, spezialisiert auf Vampirdepressionen, ein zweites Standbein aufbauen. »Sicher. Ich habe vorhin, als du beim Anprobieren warst, den Termin auf fünfzehn Uhr verschoben.«

      »Eine Woche auf den Bestsellerlisten, und schon entwickelst du Starallüren!« Ihre Stimme klang so, als ob es ihr gefiel. Kein Wunder, Elfen besaßen einen enormen Standesdünkel, und Dämonen vermutlich erst recht.

      »Noblesse oblige«, grinste er übermütig. »Adel verpflichtet.«

      Chefredakteur Norbert Spatz begrüßte sie herzlich, und er hatte auch allen Grund zur Freundlichkeit. Weitere Presseanfragen, euphorische Rezensionen und reißender Absatz – wenn das kein Grund zur Freude war!

      Er versuchte Robert zu überreden, sich der Öffentlichkeit zu zeigen, doch er weigerte sich nach wie vor. Der Verlag hatte ein Phantombild hergestellt, das der Presse gezeigt wurde, und er antwortete grundsätzlich nur schriftlich über den Verlag. Ein Verlagsmitarbeiter sollte seinen Text bei der Pressekonferenz vorlesen.

      Als sie damit durch waren, kam Redakteur Spatz auf ein anderes Thema zu sprechen.

      »Nun – auf unseren Lorbeeren ausruhen sollten wir uns deswegen aber nicht«, fing er zur Einleitung an. »Wir sollten uns demnächst für das zweite Projekt zusammensetzen. Ich nehme an, Sie haben sich bereits Gedanken darüber gemacht.«

      »Gedanken, ja«, antwortete Robert unverbindlich.

      »Sehr schön! Wann wäre es Ihnen denn recht?«

      »Ich weiß nicht … ich wollte mich in den nächsten vier Wochen ausschließlich mit privaten Dingen beschäftigen. Ich bin völlig ausgelaugt nach dem Schreibmarathon und möchte auch wieder Zeit für Persönliches haben.«

      »Selbstverständlich. Haben Sie sich schon einen Zeitrahmen für nächstes Jahr überlegt? Nur damit ich weiß, wann ich den Roman in das Programm für übernächstes Jahr einplanen kann.«

      »Keinesfalls Frühjahr, eher Herbst. Ich will in Ruhe arbeiten können, Termindruck hatte ich lange genug. Vielleicht sogar erst das Frühjahr in zwei Jahren.« Robert ignorierte das enttäuschte Gesicht des Redakteurs, fügte aber hinzu: »Ich möchte mich auch ein wenig rar machen und nicht vorzeitig verschleißen.«

      »Hmm … gewiss.« Norbert Spatz wusste ganz genau, dass Robert recht hatte, aber er sah in diesem Moment vermutlich eine Menge Geldscheinchen für das kommende Jahr auf Nimmerwiedersehen davonflattern. Aber das machte nichts, ein Jahr später tat es auch. Dann lächelte er wie ein Autoverkäufer. »Vielleicht kann ich Ihnen die Arbeit schmackhaft machen, indem ich Ihnen noch vor Jahresende ein Angebot unterbreite.«

      »Möglich«, meinte Robert und rutschte nervös auf dem Stuhl. Allmählich wurde es ihm zu viel. Dann fiel ihm ein, dass er keinen Grund hatte, sich dem weiter auszusetzen – er war derzeit der Star des Verlags. Abrupt stand er auf, und nicht nur der Redakteur schaute ihn verdutzt an. »Tja, ich muss dann mal wieder los.«

      »Oh, wie schade … ich hätte Sie gern noch eingeladen …«

      »Sehr freundlich, aber ein anderes Mal.«

      Spatz blieb nichts übrig, als sich ebenfalls zu erheben und Robert die Hand zu reichen. »Ich rufe Sie an. Und Sie … melden sich rechtzeitig, wenn Sie ein anderes Angebot bekommen?«

      »Machen Sie sich in der Hinsicht keine Gedanken, ich werde Ihnen keinesfalls abtrünnig«, erwiderte Robert, drückte kurz und kräftig seine Hand und verabschiedete sich.

      Draußen auf der Straße atmete er erst einmal auf. Dann kramte er nach einer Gitanes und zündete sie an. Eines der wenigen Vergnügen, die einem Vampir blieben, da seine Geruchssinne auf ihre Kosten kamen. Und Lungenkrebs gab es keinen. Dementsprechend hatte Robert das »gesunde Leben« in dieser Hinsicht wieder aufgegeben und durfte in die alte Gewohnheit verfallen, ohne dass er sie jemals würde bereuen müssen.

      Rauchend ging er den Gehweg entlang, Richtung Leopoldstraße, deren lebhafter Verkehrslärm mit Huptönen und lauten Rufen bereits bis hierher schwappte.

      »Aha«, sagte Anne.

      »Mhm«, machte Robert.

      Er wusste, dass sie unzufrieden war, aber das konnte er nicht ändern. Und er würde keineswegs präventive Erklärungen abgeben. Und schon gar nicht würde er sich rechtfertigen.

      Kurz bevor sie in die Straße einbogen, hielt Anne ihn am Arm fest. Ihre tiefliegenden dunklen Augen loderten. »Raus damit!«

      Er tat unschuldig. »Womit?«

      »Das weißt du genau«, fauchte sie. »Soll ich es aus dir rausprügeln?«

      »Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig«, schmetterte er sie kurz angebunden ab, riss sich los und bog anstatt in die Hauptstraße in eine weitere Nebengasse ein, die in einem Bogen in entgegengesetzter Richtung direkt zum Englischen Garten führte. Vielleicht wäre es gut, noch eine Weile flott spazierenzugehen. Einigermaßen frische Luft zu atmen, den Kopf frei zu bekommen.

      Anne war für einen Augenblick so verblüfft, dass sie ein paar Sekunden brauchte, bevor sie ihm nachrannte. So schroff hatte er sich ihr gegenüber nur selten benommen, das konnte sie kaum auf sich sitzen lassen.

      »Bleib sofort stehen!«, schrie sie ihn an, packte ihn erneut am Arm und riss ihn zu sich herum. Sie war eher klein, aber sie verfügte über eine gewaltige Körperkraft, bedeutend mehr als jeder Mensch. Und mehr als er. »Niemand springt so mit mir um!«

      Er blieb stehen. »Ich will nicht darüber reden, geht das nicht in deinen Kopf?«

      »Du wirst darüber reden, und zwar hier und jetzt, oder du wirst dich zuerst von deinem liebsten Körperteil verabschieden, dann vom zweitliebsten … und so fort, bis du nachgibst.«

      Zum Glück war niemand in der Nähe. Annes Aussehen hatte sich erschreckend verändert, sie zeigte ihm offen ihre wahre Natur. Immer noch eine Frau, immer noch schön, aber auch feuerspeiend und gefährlich, mit Reißzähnen bewehrt und Augen, in denen die Hölle brannte. Ein völlig fremdes, furchterregendes Wesen stand vor ihm, dessen Krallen Robert mit nur einem einzigen Hieb in Stücke reißen konnten. So musste sie sich zuletzt ihrem Vater gezeigt haben.

      Also schön, es hatte keinen Zweck, Anne würde keine Ruhe geben, und Robert hatte keine Lust, seine Einzelteile auf der Straße zusammensuchen und darauf warten zu müssen, bis sie wieder angewachsen waren. Das würde nicht nur äußerst zeitraubend, sondern auch sehr schmerzhaft – vorher und nachher. Und was die Leute erst sagen würden!

      Robert sah sich schnell um, niemand in der Nähe. Er würde nicht lange brauchen.

      »Ich kann es nicht mehr, verstehst du?«, schrie er zurück. Mit dem Finger tippte er sich gegen die Schläfe. »Da ist nichts mehr drin! Keine Inspiration, kein Antrieb, keine Formulierung. Es ist alles weg!«

      Er hob die Arme und ging weiter, auf den großen städtischen Park zu. »Seit ich tot bin, habe ich mit Ach und Krach den letzten Schliff vornehmen können. Aber das war’s!«

      Anne beruhigte sich und nahm ihr normales Aussehen an. »Dann brauchst du eben noch Erholung …«, begann sie.

      »Ja, für die nächsten paar tausend Jahre«, unterbrach Robert. »Machen wir uns doch nichts vor, Anne – es ist vorbei. Ich bin kein Mensch mehr. Deine Musenkräfte wirken nicht mehr. Ich werde niemals wieder ein Buch schreiben! Nicht einmal ein schlechtes!«

      Seine Nasenflügel blähten sich leicht, als er den Park fast erreicht hatte. Sein Geruchssinn empfing die Ausdünstungen von nassem Holz, Schnee, Eichhörnchen und vielen Hunden samt ihren Menschen. Kettenöl von Fahrrädern, Sohlenleder und Plastikschirme gehörten auch dazu. Der Himmel fing an, sich zu beziehen, und der Wind brachte die Vorboten frischen Schneefalls mit sich.

      Anne