Susan Schwartz

Perry Rhodan 3093: NATHAN


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      Und wer bin ich, dass ich Perry Rhodan widerspreche?, dachte sie. »Mehr Licht!«

      Anzu sah sich in der Kabine um. Noch hatte sie sich nicht eingewöhnt; alles war neu und auf ganz eigene Weise wunderbar.

      Sie verdrängte die bange Frage, die seit Tagen immer wieder in ihrem Verstand anklopfte und hastig winkend Aufmerksamkeit heischte: Würde sie sich wohl jemals eingewöhnen? Vielleicht starb sie demnächst sowieso, weil entweder die TESS oder wahlweise gleich die gesamte Erde unterging. Kein allzu unwahrscheinliches Szenario.

      »Weg damit!«, befahl sie diesem düsteren Gedanken ebenso leise wie bestimmt.

      »Bitte?«, fragte die Positronik.

      »Vergiss es!« Anzu schaltete die Spracherkennung des Kabinenrechners ab. Wenn es ihr in den Sinn kam, etwas vor sich hin zu murmeln, wollte sie das gefälligst tun können, ohne dass irgendwelche Sensoren es wahrnahmen und darauf reagierten!

      Sie verließ ihre Kabine in der TESS QUMISHA, dem Raumschiff, mit dem Perry Rhodan vor Monaten die – aus seiner Perspektive – andere Hälfte des Dyoversums erreicht und dort Terra und Luna gefunden hatte. Seine Heimat, die seit fast einem halben Jahrtausend verschollen gewesen war.

      Welch eine Entdeckung für ihn – und welche bahnbrechende Erkenntnis steckte dahinter. Das bekannte Universum war nur ein Teil eines Zwillings; entstanden im selben Urknall und von Anbeginn der Zeit voneinander getrennt, nur in dem einen immateriellen Punkt der Zerozone miteinander verbunden.

      Dorthin war die seit Jahrhunderten verschollene Erde entführt worden. Mit Rhodans Auftauchen und seinen Entdeckungen hatte der Prozess seinen Anfang genommen, der nun dem Höhepunkt entgegenstrebte: Terra und Luna kehrten zurück an ihren angestammten Platz.

      Anzu war in jener anderen Hälfte des Dyoversums geboren, genau wie ihre Eltern und deren Eltern. Für sie war das Gefilde, das Rhodan als die Fremde ansah, das Zuhause. Dennoch hatte sie entschieden, die Rückreise ihres Heimatplaneten mitzumachen – im Unterschied zu Millionen Menschen, die sich auf den Mars oder sonstige Planeten im Solsystem des Zwillingsuniversums zurückgezogen hatten und dort zurückblieben.

      Und so befand sich Anzu auf der Heimreise in ein Universum, das sie bisher nie gesehen hatte.

      Ein Weg in die fremde Heimat.

      Ob der Prozess des Re-Transfers der gesamten Erde und ihres Mondes freilich problemlos ablaufen würde, wusste niemand. Woher auch? Und konnte ein derart kosmisches Geschehen, das auf einer nahezu unvorstellbaren Technologie basierte, einfach so funktionieren? War es nicht Torheit, von dieser Prämisse auszugehen?

      All diese Fragen blieben müßig. Sie musste abwarten, so schwer es fiel, genau wie jeder einzelne Bewohner der Erde und des Mondes.

      Abwarten und es miterleben.

      In der TESS QUMISHA bewohnte sie das Quartier eines Mannschaftsmitglieds, das dieselbe Entscheidung wie Anzu getroffen hatte ... nur dass es für Tergén exakt das Gegenteil bedeutete. Er war mit Rhodan angereist, hatte aber beschlossen, nicht in seine Heimat zurückzukehren, sondern in der für ihn fremden Hälfte des Dyoversums zu bleiben. Sie hatte ihn in den letzten Wochen vor dem Aufbruch kennen- und schätzen gelernt und bedauerte sehr, ihn für immer verloren zu haben. Manchmal dachte sie, er hätte der Mann fürs Leben sein können – nur dass sie weder auf eine feste Bindung und nicht einmal auf eine Romanze gesteigerten Wert legte.

      Das war immerhin eine nützliche Einstellung, um in eine ungewisse Zukunft zu gehen. Sie half, den einzigen Menschen, der diese Einstellung ändern könnte, ein ganzes Universum weit zurückzulassen.

      Zumal zu dieser Zukunft eine unbestimmte, überwältigende Mutantengabe gehörte, die von einem fremdartigen Lebewesen in ihr geweckt worden war.

      Anzu erreichte eines der Laufbänder, die die größeren Korridore der TESS QUMISHA durchzogen. Sämtliche Technologie auf hyperenergetischer Basis war im Schiff – und auf ganz Terra – vorläufig stillgelegt worden, da es seit zwei Tagen verstärkt zu Ausfällen kam. Seit Beginn der Versetzung.

      Antigravschächte und andere Maschinen, die zum Alltag gehörten wie das Atmen, fielen plötzlich weg. Ein seltsames Gefühl, eine bizarre Erfahrung, dass all das nicht ständig verfügbar blieb. Es hinterließ eine gewisse Leere, aber auch die Frage, wie sehr man davon abhing. Und ob man ohne diese Annehmlichkeiten leben konnte, die gar nicht so selbstverständlich waren, wie sie auf den ersten Blick schienen.

      Immerhin musste Anzu das Schiff trotzdem nicht zu Fuß durchqueren. In einer Situation wie dieser half das gute alte Laufband.

      Sie ließ sich vorwärtstragen bis zu dem zentralen Notfall-Treppenabgang, der vertikal durch die TESS führte. Dort ging sie nach unten, Stufe um Stufe, Deck um Deck. Warum auch nicht? Es schadete nicht, die Grenzen der Technologie zu spüren und allzu eingefleischte Gewohnheiten zu sprengen.

      Nach einigen Minuten erreichte sie das untere Ende der Schiffshülle. Die TESS parkte auf dem Landefeld des Aldebaran Spaceport in Terrania City, wo sie die gesamte Dauer des Re-Tranfers verbringen würde. Sämtliche Schiffe und Gleiter auf ganz Terra waren derzeit gelandet – insgesamt voraussichtlich vier Tage, von denen noch die Hälfte bevorstand.

      Eine gespenstische Zeit.

      Keine Hypertechnologie, keine Raumschiffe in der Luft, ein Himmel ohne Fluggefährte und ...

      »Anzu«, hörte sie.

      Und da es sich diesmal nicht um die künstliche Stimme einer Maschine handelte, wandte sie sich um und lächelte. »Du bist es«, sagte sie erfreut.

      Iwa Mulholland stand am Ausgang des Treppenabgangs, am Beginn des Korridors, der zu einem Außenschott führte. Die dunklen, metallisch wirkenden Haare der Mutantin lagen dicht am Kopf, glatt nach hinten gekämmt.

      Iwa war weder Mann noch Frau, sondern beides und mehr als das; aber jeder nahm sie so wahr, als gehörte sie zum eigenen Geschlecht – für Anzu war sie eindeutig weiblich. Wie konnte man beim Anblick dieser schmalen, eher blassen und ... anmutigen Gestalt zu einem anderen Ergebnis kommen? Diese Frage ging ihr durch den Kopf, doch sie wusste, dass ein Mann sie genauso stellen würde – nur vom entgegengesetzten Standpunkt aus.

      Es gab nur ein Fazit: Iwa war eben ... Iwa. Völlig egal, ob manche in ihr Iwán sahen. Was zählte, war der Mensch, und den fand Anzu großartig; immer großartiger, je besser sie ihn kennenlernte.

      »Du willst dir den Nebel ansehen?«, fragte Iwa.

      Also doch – Nebel. Anzu erklärte kurz, dass sie nur wusste, dass sich irgendetwas abspielte, von dem Rhodan empfahl, es sich mit eigenen Augen anzusehen.

      Iwa lächelte; eine scheue, blasse Geste. »Genau. Der Nebel.« Sie streckte die Hand aus. »Komm!«

      »Eine Schmerzensteleportation nach draußen?«, fragte Anzu. »Willst du dir das wirklich antun? Wir können zu Fuß ...«

      »Der Raumhafen steht voll mit Leuten. Perry gibt ein Interview, direkt vor dem Schiff. Er erzählt alles, was er über die Phänomene des Re-Transfers weiß ... also nahezu nichts. Wahrscheinlich weicht er so geschickt aus, dass es kaum jemandem auffällt, erklärt die Hintergründe zur Versetzung, zur Drehscheibe der Staubfürsten und zum Staub-Faktotum. Was eigentlich jeder inzwischen wissen sollte. Ich beneide ihn nicht, und ich mag mich nicht durch die Menge quetschen. Du etwa?«

      Ehrlich gesagt wollte sie das nicht. Wortlos ergriff sie Iwas Hand, und die Mutantin nahm Anzu mit auf einen Wehgang.

      *

      Im nächsten Augenblick war es vorbei; nein, scheinbar im selben, als es begann.

      Anzu musste die Überraschung verdauen, plötzlich im Freien zu stehen, unter großen Kastanienbäumen, am Ufer eines Sees, an dessen anderem Ende Schilfgras wucherte. Dahinter lag die Landschaft in Nebel. Ein leichter Wind wehte, und die Sonne brannte auf der Haut. Es roch süßlich, und Blütenstaub kitzelte sie in der Nase.

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      Illustration: