Will Berthold

Malmedy - Das Recht des Siegers


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sie erobern. Stück um Stück. Und ich will sie mit nach Amerika nehmen. Sie soll meine Frau werden … Aber ich kann nichts machen. Ich darf mich ihr nicht nähern, solange die Sache mit ihrem Bruder nicht in Ordnung ist. Und Tebster gibt noch einmal Gas.

      Ein solches Mädchen muß die Schwester eines Kriegsverbrechers sein, denkt Leutnant Morris verbittert. Und dann muß ich mich noch in sie verlieben. Und dann muß ich Assistent von Colonel Evans sein, der unbestechlich ist, auch Gefühlen gegenüber. Und ich verspreche ihr, zu helfen. Und dabei kann ich es gar nicht. Eine Sprechkarte vielleicht. Aber wird es nicht noch schlimmer, wenn sie ihren Bruder noch einmal sieht, bevor er hingerichtet wird?

      „Wir müssen jetzt rechts herunter“, sagt Vera.

      Der Wagen hat die Ausfahrtstraße nach Reichenhall erreicht. Vera weiß wenig von Brigitte. Das Mädchen hätte sich längst bei ihr melden müssen. Vielleicht ist es völlig sinnlos, sie aufzustöbern. Aber Vera weiß, wie verzweifelt Werner ist. Wenn er Brigitte wiedersieht, wenn er ihr noch einmal begegnet, vielleicht gibt ihm das mehr Mut, mehr Zuversicht. Denn in ein paar Tagen beginnt der Prozeß. Und wenn Werner sich selbst aufgibt, ist alles vergeblich.

      Sie erreichen das Lazarett. Brigitte arbeitet hier immer noch als Schwester. Flankiert von ihren beiden Begleitern fragt sich Vera nach Brigitte durch. Sie werden in das Wartezimmer gewiesen. Schwester Brigitte ist bei einer Operation. Nach einer halben Stunde betritt das Mädchen mit den blauen Augen und den dunklen Haaren das Zimmer.

      „Ich bin Werners Schwester“, beginnt Vera.

      „Ich habe von Ihnen gehört“, versetzt Brigitte. Sie ist blaß und schmal, wirkt überarbeitet, gibt Vera die Hand, ohne sie dabei anzusehen.

      „Ich brauche Ihre Hilfe“, fährt Vera fort. „… Sie lieben doch Werner. Und er ist so verzweifelt. Es kommt jetzt darauf an, welche Figur er bei dem Prozeß macht.“

      Brigitte wirkt verwirrt. Ihre Augen kleben am Boden. Mit einer mechanischen Gebärde richtet sie ihre Schwesternhaube.

      „Ich liebte ihn“, erwidert sie. Ihre Stimme klingt rauh. „Damals, als er verschwand, stellte ich Nachforschungen an. Die Amerikaner gaben mir Auskunft.“ Brigitte stockt. „Ich erfuhr, daß Werner als Kriegsverbrecher inhaftiert ist.“ Ihre Stimme wird heftiger. Ihre Augen glänzen feucht. „Ich erfuhr weiter, daß er gestanden hat, wehrlose Amerikaner niedergeschossen zu haben.“ Brigittes Gesicht verfällt. Es wirkt müde und zerquält.

      Blitzschnell ziehen die letzten Wochen an ihr vorbei. Da liebte sie einen Mann, den ersten Mann ihres Lebens, pflegte ihn, hoffte mit ihm, sehnte sich nach dem Tag, da sie für immer mit ihm Zusammensein konnte. Dann stellte sich heraus, daß dieser Mann ein Mörder ist. Nein, Brigitte dachte bei Gott nicht voreilig. Sie glaubte, Werner besser zu kennen als die amerikanische Untersuchungskommission. Aber dann zeigte man ihr das Geständnis. Und dazu kam noch etwas, was sie bei Werners Abschied nicht wußte …

      „Und das glauben Sie?“ fragt Vera.

      Brigitte zuckt mit den Schultern.

      „Ich muß Ihnen noch etwas erklären“, erwidert sie dann.

      „Ich hatte einen Vater. Er erzählte einen Witz. Dafür kam er ins KZ nach Dachau. Ich habe Monate nichts von ihm gehört. Dann fand ich ihn wieder.“ Brigittes Stimme klingt schrill: „Wissen Sie, wo? Auf einer Gruppenaufnahme von 50, 60 Toten. In einem Eisenbahnwagen. Verhungert. Nackt. Die SS-Bewacher haben den Waggon einfach auf den Schienen stehenlassen, bis die Insassen tot waren. Verstehen Sie mich? Mein Vater war darunter!“

      Vera unterbricht sie.

      „Wollen Sie damit sagen, daß Werner Ihren Vater ermordet hat?“

      „Natürlich nicht … Aber er trug die Uniform seiner Mörder. Und bei Malmedy benahm er sich wie ein Mörder. Er gab es selbst zu.“

      „Wenn Sie das glauben, haben Sie ihn nie geliebt“, sagt Vera barsch.

      „Ich liebe ihn noch immer“, entgegnet Brigitte fast lautlos, „das ist es ja gerade … tausendmal rede ich mir ein, daß er unschuldg ist. Und dann sehe ich meinen Vater vor mir, und dann weiß ich, was ich zu tun habe. Die Amerikaner haben mich nicht belogen. Werner hat alles gestanden. Oder wollen Sie behaupten, daß das nicht stimmt?“

      Vera sieht verzweifelt von Tebster zu Morris. In diesem Augenblick gibt sich der lange CIC-Leutnant einen Ruck.

      „Stop“, sagt er, „ich bin Leutnant Tebster von der CIC. Das ist der amerikanische Geheimdienst. Und jetzt sage ich Ihnen etwas, Fräulein: Werner Eckstadts Geständnis wurde erpreßt. Der Mann ist unschuldig.“

      „Erpreßt?“ fragt Brigitte verständnislos.

      „Ja. Von meiner eigenen Dienststelle. Und ich werde das vor jedem Gericht der Welt behaupten.“

      „Das sagen Sie als amerikanischer Offizier?“ fragt Brigitte zögernd.

      „Genau das. Und jetzt können Sie entscheiden, wem Sie glauben wollen!“

      Jetzt erst begreift Brigitte. Ihr Gesicht wirkt auf einmal jung und frisch. Ihre Augen glänzen, aber anders als zuvor. Sie wird lebhaft, sieht Vera voll an, betrachtet die beiden Männer.

      „Mein Gott“, sagt sie, „mein Gott … das habe ich ja alles nicht gewußt …“

      Tebster lächelt.

      „Dann kommen Sie gleich mit“, erwidert er.

      Brigitte nickt. Jetzt erst laufen ihr salzige Tränen über das heiße Gesicht …

      An diesem Morgen gibt Colonel Evans zum ersten Mal Werner Eckstadt die Hand. Der Druck ist fest und kalt. Fest und kalt mustern auch die Augen des amerikanischen Offiziers den deutschen Untersuchungsgefangenen.

      „Haben Sie sich über Nacht erholt?“ fragt er.

      „Yes, Sir.“

      „Gut, dann machen wir weiter … Zigarette?“

      „Danke.“ Zögernd greift Werner nach der Camel-Pakkung.

      Der Oberst wirft ihm Streichhölzer über den Tisch.

      „Ja“, beginnt Werner nachdenklich, „wissen Sie, daß ich immer zusammenfahre, wenn mir eine Zigarette angeboten wird, Sir? Glauben Sie mir, es gab eine Zeit, da waren Zigaretten gemeiner als Fußtritte.“

      Colonel Evans nickt, steht auf, tritt an das Fenster.

      „Ich habe Vertrauen zu Ihnen, Eckstadt“, erwidert er. „Sie dürfen nicht glauben, daß mir das leichtfällt … Wissen Sie, was damals an der Straßenkreuzung von Malmedy passiert ist?“

      „Ich weiß es … heute“, versetzt Werner leise.

      „Und wissen Sie, was diese Leute verdient haben?“

      „Den Strick.“

      Der Colonel nickt.

      „Und ich werde mich verdammt beherrschen, sie vom Strick abzuschneiden.“ Der Oberst geht mit schnellen Schritten in dem trostlosen Vernehmungszimmer hin und her, bleibt stehen, schnippt die Asche auf den Boden, marschiert weiter. „Trotzdem weigere ich mich, zu glauben, daß alle Deutschen Mörder sind … Und Sie Eckstadt, sollten wissen, daß Amerika etwas anderes ist als ein Haufen dahergelaufener Sadisten. Ich weiß nicht, ob Sie Wert darauf legen“, fährt er fort, „aber ich werde Ihnen das beweisen. Ich bin nicht hier, um Sie zu retten oder einen anderen … Nein, ganz bestimmt nicht. Es geht mir um die Ehre meines Landes … Fahren Sie fort!“

      Der Colonel setzt sich auf den Stuhl, lehnt sich zurück, schließt die Augen halb. Sein Gesicht wirkt wach und nachdenklich. Er fährt sich mit der Hand über den Mund, als wollte er seine Worte wegwischen, als habe er bereits zuviel gesagt …

      Werner schweigt zunächst. Er starrt auf den Boden, streift einen Moment den Oberst mit einem raschen Seitenblick, räuspert sich.

      „Damals schien plötzlich alles besser zu werden“, beginnt er. „Ich kam in eine Vier-Mann-Zelle.