Will Berthold

Malmedy - Das Recht des Siegers


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verändert sich nicht, selbst als ihm das Grauen unaufhaltbar den Rücken hochkriecht. Er weiß, daß es heute auf den Höhepunkt der Voruntersuchung zugeht … und daß das ebenfalls der Höhepunkt eines Verbrechens sein wird, das amerikanische Soldaten und Offiziere an wehrlosen deutschen Kriegsgefangenen verübt haben.

      Werners Zellenkameraden waren zunächst ein 18jähriger SS-Mann und ein knapp 30jähriger Unterscharführer, zwei Freunde. Der Ältere, Hans Zenker, nannte den Jüngeren, Klaus Niessen, immer „Söhnchen“. Abwechselnd wurden sie zu Vernehmungen geholt. Der kleine Niessen hatte verkrustetes Blut unter der Nase, als er zurückkam.

      „Was haben sie von dir gewollt, Söhnchen?“ fragte Zenker.

      Der 18jährige erwiderte stockend:

      „Straßenkreuzung … Malmedy.“

      „Bei mir dasselbe“, antwortete Zenker.

      Dasselbe …, dachte auch Werner Eckstadt.

      Als nächster wurde Werner geholt. Die Taktik der Amerikaner änderte sich. Leutnant Prince war von einem neuen Vernehmungsoffizier abgelöst worden. Oberleutnant Mc-Cormick behandelte Werner distanziert, aber korrekt. Er sprach ebenfalls fließend Deutsch. Pedantisch konnte er stundenlang auf Nebensächlichkeiten herumreiten. Aber immer endete das Gespräch in der gleichen Sackgasse. Und jedesmal, wenn Werner seine Unschuld beteuerte, sagte der Oberleutnant:

      „Einer muß ja dabeigewesen sein.“

      Die Anklagevertretung hatte jetzt schon über 50 Mann aus den Kriegsgefangenenlagern aufgefischt, die der Malmedy-Verbrechen bezichtigt wurden, und 25 von ihnen waren mit Sicherheit gemeine, erbärmliche Mörder.

      Nach der Vernehmung wurde Werner in das Krankenrevier geschafft und behandelt. Cornedbeef stand als Wache dabei und ekelte sich vor dem Brei aus Eiter an Eckstadts Oberarm.

      Sie tauschten ihre Verhör-Erlebnisse in der Zelle nicht aus. Einmal, weil sie nicht sicher waren, ob die Amis nicht mithörten; zum anderen, weil die beiden Freunde Werner nicht ganz trauten. Sie folgten ganz einfach der alten SS-Lehre: wenn ein Kumpel einmal eine Wehrmachtsuniform anhat, dann kannst du nie wissen …

      Alles änderte sich schlagartig, als Oberscharführer Heger ebenfalls die Zelle bezog. Er war groß und breitschulterig und hatte ein Clowns-Maul, das sich beim Lachen bis zu den Ohren dehnte. Er lachte oft. Es schien ihm bisher besser gegangen zu sein als den anderen drei. Vielleicht konnte er auch mehr aushalten. Jedenfalls sagte er immer wieder:

      „Kinder, nehmt’s nicht so tragisch, verdammt noch mal.“

      Dazu lachte er breit und gutmütig.

      Die Amis ließen sich ein paar Tage lang überhaupt nicht sehen. Es herrschte Ruhe auf den Gängen.

      „Jetzt lassen sie uns im eigenen Saft schmoren“, sagte Söhnchen. Als er ausgesprochen hatte, öffnete sich die Zellentüre.

      Es war Cornedbeef.

      Oberscharführer Heger fuhr von seiner Pritsche hoch.

      „Achtung!“ brüllte er …

      Sie standen alle drei stramm und legten die Hände an die Hosennaht. Es war ihnen schlecht vor Angst und Hunger.

      Cornedbeef blinzelte bloß.

      Oberscharführer Heger grinste ihm ins Gesicht.

      „Verdammte Scheiße“, sagte er, „können wir ein paar Zigaretten haben, Sergeant? … Hier wird man ja verrückt.“ Er sprach in miserablem Englisch, dreist und hemmungslos.

      Werner erwartete den Gummiknüppel. Aber der Sergeant reagierte seltsam. Er zuckte zusammen, feixte, fingerte an seiner Brusttasche herum und kramte ein angebrochenes Päckchen Chesterfield hervor, warf es Heger zu.

      „Streichhölzer?“ fragte der Oberscharführer freundlich.

      „Da, ihr Schweine“, erwiderte Cornedbeef gemütlich und fingerte auch noch Streichhölzer aus der Tasche. Erst beim Weggehen wurde sein Blick giftig.

      Zenker, Niessen und Eckstadt waren sprachlos.

      Heger lachte.

      „Ihr Feiglinge, laßt euch doch von denen nicht ins Bockshorn jagen … man muß sie bloß richtig behandeln, dann spuren sie schon.“

      Die drei fühlten sich blamiert und beschämt. Natürlich, so mußte man sich verhalten! Wie Heger! Man mußte ihnen unverschämt kommen. Der Oberscharführer war nicht mit Gold zu bezahlen. Er holte Spielkarten aus seiner Tasche, und sie saßen den ganzen Tag zusammen bei Skat und Siebzehnundvier. Heger übernahm die Führung in der Zelle. Sie hörten sich bereitwillig seine Geschichten an. Er mußte ein toller Kerl gewesen sein an der Front. Einmal öffnete er die Brusttasche seines Uniformrocks und ließ ein Ritterkreuz durch seine Finger gleiten.

      „Das haben sie nicht gekriegt“, bemerkte er grinsend. Er verschloß den Orden wieder sorgfältig in seiner Brusttasche.

      Sie wußten bald alles von ihm, auch, daß er im Nachbarbataillon von Zenker und Niessen den Ardenneneinsatz erlebt hatte. Von jetzt ab wurden in der Zelle die Erlebnisse ausgetauscht. Es war vorbei mit der Zurückhaltung. Man hatte die schlimmsten Zeiten überstanden, dachte man …

      Da begannen die Verhöre wieder. Zenker wurde als erster abgeholt. Es dauerte zwei Stunden. Er sagte nach seiner Rückkehr bloß:

      „Dicke Luft.“

      Söhnchen kam als nächster dran. Dann Heger. Der Oberscharführer lachte.

      „Na, macht’s gut, Kameraden!“ Es klang wie Selbstironie. Der Mann schien Nerven und Knochen aus Stahl zu haben.

      ’rein in die Zelle, ’raus aus der Zelle. So ging es im ständigen Rhythmus hin und her. Als man Söhnchen brachte, wurde Heger geholt. An der offenen Zellentüre gingen sie aneinander vorbei.

      Da passierte es!

      Der kleine Niessen fuhr mit einem tierischen Schrei dem Oberscharführer an die Gurgel. Er war schneeweiß im Gesicht. Der Haß gab ihm unglaubliche Kraft. Seine Nägel bohrten sich in das Fleisch des viel größeren, viel stärkeren SS-Oberscharführers.

      Er schrie:

      „Du Verräter! Du Lump! Du Sau! Du Scheißkerl!“

      Hegers Augen traten aus den Höhlen. Er versuchte, den eisernen Griff an seinem Hals zu lockern … Da fuhren schon die Posten dazwischen, allen voran Cornedbeef mit geschwungenem Knüppel. Es sah aus, wie wenn eine Menge Menschen zwei balgende Hunde trennen wollte.

      Es war schnell vorbei. Niessen lief das Blut über das Gesicht, als er mit Tritten in die Zelle befördert wurde. Von Heger war nichts mehr zu sehen.

      „Er hat uns verpfiffen“, sagte Söhnchen keuchend. „Ein Spitzel.“

      Am Abend kam Cornedbeef in die Zelle. Er musterte mit seinen schmalen Wasseraugen die drei Insassen verächtlich. Söhnchen drehte durch.

      „Können wir ein paar Zigaretten haben?“ fragte er. Seine Stimme überschlug sich.

      Cornedbeef reagierte träge. Er nahm seinen Knüppel in die Rechte und schlug so lange auf Niessen ein, bis er zusammengebrochen war.

      Zenker und Eckstadt lehnten mit geschlossenen Augen kerzengerade an der Zellenwand und wagten nicht, hinzusehen. Werner biß die Zähne zusammen und verfluchte sich und die Schöpfung, die den Menschen feige, gemein und hinterhältig gemacht hatte.

      Denn es ging weiter. Ohne Erbarmen, ohne Gefühl, ohne Gnade, ohne Menschlichkeit.

      Am nächsten Tag wurde Werner zur Vernehmung geholt. Zu Oberleutnant McCormick, der heute seinen großen Tag zu haben schien. Er trat ein, grüßte und erstarrte.

      Vor ihm stand Wieblich, der fast schon vergessene Richtschütze aus dem Tiger-Panzer des gefallenen SS-Obersturmführers Klausen …

      „Wieblich“, flüsterte Werner.

      Oberleutnant McCormick hörte es und