Will Berthold

Die Nacht der Schakale


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Fairway House lag gegenüber dem PanAm Building. Das Portal war mit Marmor ausgeschlagen, und am Empfang saß eine Blondine, die aussah wie Brigitte Bardot in ihren besten Jahren, in ihren allerbesten.

      Sie fragte mit polierter Arroganz nach meinem Begehren.

      Als ich meinen Namen nannte, schloß ich aus ihrem Verhalten, daß Gregorys langer Arm natürlich auch nach New York reichte.

      Ich wurde ohne Umwege und Vorzimmer in das Office des Managing Direktor geführt, mit dem der CIA-Vize den Zweck meines Besuches abgesprochen haben mußte. Der Mann reichte mir die Hand, stellte keine Fragen, bot mir eine Tasse Kaffee an und trommelte dann seine wichtigeren Mitarbeiter zusammen.

      »Ich halte Sie nicht lange auf«, sagte er zu ihnen. »Ich möchte Ihnen nur Brian Singer vorstellen, von dem Barry so viel hält. Mister Singer wird am nächsten Barry-Wallner-Buch mitarbeiten.«

      Sie lächelten mir zu, wünschten mir gewohnheitsmäßig alles Gute. Keiner von ihnen wußte, daß mein angeblicher Chef abgestürzt war. Es war mir bekannt, daß in der Regel der Wert eines Autors sinkt, wenn er nicht mehr am Leben ist, deshalb versucht mancher Verlag ein halbfertiges Manuskript von einem Ghostwriter fertigstellen zu lassen und zu verschweigen, wer diese Ergänzungen besorgt hat. Daß man aber auch den Tod des Verfassers verheimlicht, war wohl neu in der Branche.

      Die taxierenden Blicke der weiblichen Mitarbeiter erinnerten mich daran, daß der Verblichene von seinen engsten Mitarbeitern wohl mehr erwartet hatte als erstklassiges Researching, aber im Verlagsmillieu war man mit Exoten aller Art vertraut. Nur eine rothaarige, kesse Lektorin mach die Probe aufs Exempel und fragte mich, ob ich heute abend mit ihr ausgehen wolle.

      »Da sitze ich leider schon im Flugzeug«, erwiderte ich und setzte hinzu: »Vielleicht ein andermal, wenn ich wieder nach New York komme.«

      »Vielleicht«, entgegnete sie schnippisch und tauschte besserwisserische Blicke mit ihren Kolleginnen.«

      Eine halbe Stunde später war die Prozedur überstanden; ich fuhr zum Kennedy Airport, rief von dort Steve Cassidy an und teilte meine Ankunftszeit in München mit. Die 747 war nur halb besetzt; es war angenehm, auch wenn man nicht First Class Passenger war.

      Ich dachte über meinen Einstieg in Germany nach: Wir hatten zwei verschiedene Enden des Falls Sperber in der Hand. Steve saß an dem einen in Pullach und beteiligte sich im Camp an dem Katz-und-Maus-Spiel um den noch unbekannten Überläufer aus der Umgebung des Stasi-Generals Lupus. Ich würde bei der Trasco da fortfahren, wo Barry Wallner aufgehört hatte, und das hieß, Dressler und die beiden anderen Informanten kontaktieren und observieren. Ich konnte mich dabei ebenso auf Steves wie auf Barrys Vorarbeiten stützen und, ohne persönliche in Erscheinung zu treten, im Bedarfsfall durch Telefonanruf nach Nennung eines Codewortes die europäischen CIA-Filialen für Hilfsdienste in Anspruch nehmen, in München, Zürich, Westberlin ebenso wie Ostberlin (da natürlich nicht über den Fernsprecher).

      Organiserte Fluchthilfe aus dem einen Teil Deutschland in den anderen gab es seit Berlins schwarzem Sonntag, dem 13. August 1961. In den Morgenstunden hatten von Vopos abgeschirmte Arbeiter begonnen, eine 45 Kilometer lange, drei Meter hohe und mit Stacheldraht bestückte Mauer zwischen Schönefeld und Rosenthal quer durch Berlin zu ziehen wie eine häßliche Narbe. Am Montagmorgen fehlten bereits 75000 Pendler an ihren Westberliner Arbeitsplätzen. Zwar war am schwarzen Sonntag noch einmal 15000 Menschen die Flucht gelungen, die ›Volksabstimmung mit den Füßen‹, aber der Fahrpreis in die Freiheit, der bislang für ein S-Bahn-Billett für zwei Groschen erhältlich gewesen war, konnte nunmehr das Leben sein.

      Die Mauer erhielt bald ihre Bluttaufe. Als erste starb eine 66jährige Frau, die in der Bernauerstraße – sie verlief direkt an der Sektorengrenze in einer Länge von zwei Kilometern – aus dem Fenster in den freien Teil Berlins gesprungen und dabei unglücklich aufgekommen war. Kurze Zeit später blieben drei weitere Flüchtlinge zerschmettert an der Mauer liegen. Die Fenster der Bernauerstraße, die nach Westen gingen – die Hauseingänge lagen im Osten –, mußten zugemauert werden.

      Weitere Fluchtversuche endeten unter den MP-Feuerstößen der Vopos und Grepos.

      Zählt man Bayern und Baden-Württemberg zusammen, dann hat man den ungefähren Umfang des DDR-Territoriums; urdeutsches Gebiet in dieser Größe hatte sich in ein Zuchthaus für 17 Millionen Menschen verwandelt. Für viele Westberliner war es eine Ehrensache, ihren Bekannten und Freunden – oder auch nur Landsleuten – das Entkommen aus dem Osten zu ermöglichen. Sie erwiesen sich als selbstlose Fluchthelfer der ersten Stunde und trieben vom Westen aus Tunnel auf die andere Seite vor. Auf diesem unterirdischen Weg gelang in Frohnau am 17. Mai 1962 unbemerkt 28 Ostberlinern der Ausbruch. Dann wurde der Notausgang durch Verrat versperrt.

      Kurze Zeit später erschoß in der Jerusalemer Straße bei einer Massenflucht versehentlich ein Vopo einen anderen. In einer Fluchtröhre an der Heinrich-Heine-Straße kam dann ein 23jähriger ums Leben, zwei weitere blieben schwerverletzt liegen, 13 mußten vor Gericht. Einen Fluchtstollen an der Kiefholzstraße verriet eine Denunziantin; zwei Beteiligte erhielten lebenslänglich, drei bis zu 12 Jahre. Von nun an wurden die in oft monatelanger Arbeit ausgehobenen Notausgänge immer wieder zu einem Tummelplatz von Gewalt, Mißgunst, Verrat, Bestechung, Selbstlosigkeit, Mut und Mord.

      Die Volkspolizei verbesserte ihre Methoden, so daß es etwa seit dem Jahr 1965 für Amateure – von wenigen geglückten Ausnahmefällen abgesehen – praktisch unmöglich wurde, für die Menschen, die ausbrechen wollten, etwas zu unternehmen.

      In dieser Zeit entstand die organisierte, gewerbsmäßige Fluchthilfe gegen Vorauskasse. Im dunkeln operierende Fluchtfirmen traten an die Stelle idealistischer Helfer. Professionelle unterschiedlicher Qualität lösten die ehrenamtlichen Amateure ab.

      Die neuen Operateure lagen im Osten im Visier der Volkspolizei und im Westen im Kreuzfeuer der Vorwürfe, aber wer ihnen in den Arm fiel, versperrte DDR-Bürgern die oft einzige Chance, die Mauer hinter sich zu lassen, und damit den Kindern den Weg zu ihren Eltern, den Frauen ein Zusammenleben mit ihren Männern.

      Ein Verbrechen ›Republikflucht‹ kennt der Westen nicht. Wer Beihilfe leistet, kann sich somit auch nicht schuldig machen, es sei denn durch die Verwendung gefälschter Pässe. Da aber nicht selten Geheimdienste im Staatsauftrag solche selbst ausstellen, herrschte bald eine beispiellose Rechtsunsicherheit. Typisch dafür ist, daß im Fall Gartenschläger die Staatsanwaltschaft Lübeck gegen die Helfer des Getöteten ein Strafverfahren wegen ›Diebstahls einer einem Dritten gehörenden Sache‹ einleiteten: Der ›Dritte‹ war die DDR, die ›Sache‹ eine demontierte Selbstschußanlage, wie sie einst im Auftrag von KZ-Kommandanten entwickelt worden war. Um die dubiosen Firmen, die unter Lebensgefahr gegen horrende Summen Menschenschmuggel betrieben, lag und liegt ein Dunstkreis von Duldung, Heuchelei, Zweckdenken, Drohung und Opportunismus.

      Fluchtfirmen werden beargwöhnt, ausgenutzt, finanziert, verachtet und benötigt.

      Es gab bessere und schlechtere, erfolgreichere und nutzlose, und mit den Jahren wurden die Trasco sozusagen eine seriöse Adresse in einem unseriösen Gewerbe, ein Markenartikel des Untergrundes. Während man im Schnitt einem von professionellen Fluchthelfern arrangierten Versuch, den Staat der Werktätigen zu verlassen, eine Chance von 60 Prozent einräumte, wie Dresslers Erfolgsbilanz – trotz einiger Pannen – eine Quote von mehr als 90 Prozent auf. Die Trasco arbeitete gründlicher und raffinierter als ihre Rivalen, nahm doppelt soviel Geld und verbürgte sich für ein entsprechend besseres Resultat; sie verwendete modernste Hilfsmittel, und Dressler half keinem weiter, den seine Leute nicht zuvor auf DDR-Gebiet beobachtet und angesprochen hatten. Er setzte sogar Flugzeuge an, die im Grenzgebiet den Radarschirm unterflogen, und er war schlagartig bekannt geworden, als er in einem Omnibus 35 Schweizer Touristen auf einer Sightseeingtour durch die Tschechoslowakei karrte.

      Auf einmal rollte ein zweiter Bus an, wiederum mit einem Schweizer Kennzeichen versehen. Er übernahm die eidgenössischen Touristen zur Weiterfahrt nach Prag; das erste Gefährt fuhr mit 35 DDR-Flüchtlingen, ausgestattet mit falschen Pässen, ungehindert in die Freiheit.

      Solcherlei Husarenstücke riskierte Dressler immer wieder. Bis vor zwei Jahren hatte