Will Berthold

Die Nacht der Schakale


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      »Sagen wir mal mißtrauisch«, erwiderte der Amerikaner. »Die ganze Hexenjagd kann eine Theateraufführung sein, um uns an der Nase herumzuführen.«

      Ritter nickte.

      »Oder die hektische Verfolgung ist echt, dann könnte sie einem wirklichen Sperber an den Kragen gehen, bevor er uns noch richtig von Nutzen wäre.«

      Der CIA-Spezialist lenkte das Gespräch auf das Intermezzo im Blauen Haus.

      »Wir hätten natürlich ohne große Schwierigkeiten das Material an uns bringen können, das ihr vermutlich von Konopka übergeben worden ist«, sagte der Ressortchef ›Auswertung‹. Aber erstens bestand die Gefahr, daß es sich selbst zerstört, und dann erschien es uns wichtiger, nichts zu überstürzen und von nun ab Madeleine Dressler zu beobachten.«

      »Die geschiedene Frau des Trasco-Chefs?«

      »Ja«, erwiderte Ritter, ein Eierkopf, der auch pragmatisch handeln konnte und sich mitunter Zynismus erlaubte. »Da bestehen keine Zweifel; die Identität dieser Westschweizerin – sie stammt aus der Gegend von Lausanne – ist geklärt und bestätigt.«

      »Wie sind Sie auf die muntere Dame gekommen?«

      »Wir halten das Blau Haus unter Kontrolle, seitdem wir wissen, daß gelegentlich der Genosse Konopka dort auftaucht.«

      »Und woher wissen Sie das, Peter?«

      Ritter zögerte, so lange nur, daß es Cassidy gerade noch bemerken konnte. »Well«, entgegnete er. »Ich will Ihnen eines unserer bestgehüteten Geheimnisse anvertrauen, Steve: Wir haben für Konopka die Bürgschaft in dem feinen Etablissement gestellt. Über einen Strohmann.« Er schnurrte wie die Katze, die die Maus gefressen hat. »Haben Sie uns unterschätzt?«

      »Ich möchte mal sagen: Überrascht, Peter«, versetzte der Amerikaner. »Und was halten Sie von der Trasco

      »Manchmal ist sie nützlich, manchmal schädlich«, erwiderte der Ressortleiter. »Es gibt da einige Leute, die ich ganz gern bei uns sähe.«

      »Aber der eine oder andere arbeitet doch ohnedies für Sie, oder?«

      Ritter betrachtete seinen Dauergast nachdenklich. »Diesmal haben Sie mich überrascht«, antwortete er. »Sie meinen diesen Forbach?«

      »Erraten, Peter.«

      »Ein verwegener Bursche, so eine Art Landsknechttyp, als verläßlich eingestuft. Sein Bruder wurde bei einem Versuch, über die Mauer zu entkommen, erschossen. Seitdem haßt er die Vopos und die DDR.«

      »Und der Bruder?«

      »Ist echt«, entgegnete Ritter. »Keine Frage, glasklares Motiv.«

      »Aber Forbach nimmt auch Geld.«

      »Und nicht zu wenig«, bestätigte Ritter. »Der Trasco-Chef spart weder beim Einnehmen noch beim Ausgeben; er verdient Geld wie Heu – vielleicht arbeiten deswegen einige recht brauchbare Leute auf den Transitwegen für Dressler statt für uns.«

      »So minderbemittelt?« spöttelte Cassidy.

      »Wir sind keine Verschwender«, entgegnete Ritter. »Und auch keine Hasardeure. Und wir möchten auch älter werden, als es dieser Mauro Dressler vermutlich werden wird.«

      »Und was hat seine Frau mit Konopka zu tun?«

      »Zunächst einmal«, erwidert Ritter, »ist es nur eine Vermutung. Es läßt sich nicht mit Sicherheit ausschließen, daß eine Liebesattacke des volkseigenen Casanovas einen unerwarteten Verlauf genommen hat. In diesem Haus ist diesbezüglich alles möglich.«

      »Und wie ist Madeleine Dressler überhaupt in das reizvolle Etablissement gekommen?«

      »Als frühere Ehefrau von Mauro Dressler.«

      »Er ist also auch Mitglied?«

      »Und ein sehr rühriges«, entgegnet der BND-Ressortchef anzüglich. »Allerdings mehr als Voyeur denn Akteur.«

      »Wir gehen also von einer unbewiesenen Voraussetzung aus«, sagt der Amerikaner.

      »Von einer unbewiesenen, aber wahrscheinlichen«, versetzte der Pullacher Spitzenmann. »Allein die Tatsache, daß Konopka und Dressler, zwei Männer in völlig konträren Positionen, im gleichen Privatclub verkehren, ist schon höchst ungewöhnlich. Und das Ungewöhnliche reizt, selbst wenn wir es durch unsere Bürgschaft für Konopka eigentlich erst ermöglicht haben.«

      »Und wie kommt Madeleine Dressler ins Spiel?« fragte Cassidy interessiert.

      »Jedenfalls ziemlich plötzlich«, antwortet Ritter. »Wenn ihr Konopka tatsächlich Material übergeben hat, dann war dieser Transfer jedenfalls fachmännischer und raffinierter als die Weiterreichung der Sperber-Kasette. Es sieht übrigens so aus, als hätten wir ihre Herkunft inzwischen einigermaßen geklärt«, stellte der Ressortchef Ritter fest. »Sie wurde vorgestern morgen auf dem Postamt in Berlin-Charlottenburg aufgegeben. Keine Fingerabdrücke. Das Fabrikat läßt auch keinerlei Rückschlüsse auf die Kaufquelle zu, es ist handelsüblich, in jedem Laden zu haben. Aber ein Schalterbeamter glaubt sich zu erinnern, daß die Sendung von einer eleganten Dreißigerin abgegeben wurde, die Berliner Dialekt sprach. Der Mann kann sich irren oder ein Wichtigtuer sein. Im übrigen ist er nicht in der Lage, die Absenderin näher zu beschreiben. Elegant ist ja auch so ein Begriff, und mit dem Alter irrt man sich bei Damen bekanntlich immer wieder.«

      »Trotzdem ist diese Versandart ziemlich ungewöhnlich«, erwidert Cassidy, der beinahe aktzentfrei deutsch sprach, sowie auch seine Pullacher Gesprächspartner Englisch weitgehend beherrschten.

      »Vielleicht ist es ein Trick, daß es so laienhaft aussieht«, versetzte der Chef der Auswertung.

      »Könnte ich das Band noch einmal abhören?« fragte der Amerikaner.

      »Natürlich«, entgegnete Ritter. »Wir wollen ohnedies in den Vorführraum.«

      Er lag gleich nebenan, war schalldicht, hatte keine Fenster. Die Geisterstimme dröhnte aus vielen Lautsprechern, unwirklich und doch real, blechern, eine Stimme ohne Herkunft und Charakter:

      »Hier meldet sich der Sperber«, spulte die explosive Nachricht vom Band.

      Ich habe Ihnen Sindelfingen und Bonn als Antrittsgeschenke überbracht als Beweis, von welchem Wert ich für Pullach und Langley sein kann, falls wir miteinander ins Geschäft kommen. Ich stehe in einer Position, die mir Einblick in viele DDR- und SU-Vorgänge ermöglicht, die unter Geheimverschluß stehen. Ich bin über die Tätigkeit von DDR-Agenten in der Bundesrepublik informiert und in der Lage, ihre Namen aufzudecken, ihre Identität zu enthüllen und zu beweisen, in welche Spitzenstellungen in der Politik, der Wirtschaft, beim Verfassungsschutz, beim Bundesnachrichtendienst und in der Bundewehr sie gelangt sind.

      Ich kann Ihnen auch mitteilen, welcher Abteilungsleiter bei der BRD-Vertretung in Ostberlin, Hannoversche Straße, direkt mit der Stasi-Zentrale zusammenarbeitet.

      Ich bin dazu bereit, weil ich mit dem SED-Staat brechen will.

      Ich kann es aber nur wagen, wenn meine Zukunft gesichert wird. Ich benötige einen anderen Namen, eine neue Identität und ein Asyl, am besten in den USA. Zur Abschirmung gegenüber meinen Verfolgern gehört auch meine finanzielle Sicherstellung. Dafür erhalte ich einen Barbetrag von fünfhunderttausend Dollar für notwendig.

      Als Stasi-Fachmann weiß ich, daß meine Informationen eigentlich unbezahlbar sind.

      Demnächst melde ich mich wieder in einer mir geeignet erscheinenden Form, um zu erfahren, ob Sie grundsätzlich mit einer solchen Vereinbarung einverstanden sind, und auch um zu erfahren, wodurch und inwieweit die absolute Geheimhaltung meines Vorhabens garantiert werden kann.

      Sofern Sie diese Voraussetzungen erfüllen, bin ich bereit, mit einem beauftragten Bevollmächtigen an jedem Ort außerhalb des Staatsgebietes der DDR zusammenzukommen, um die Vereinbarungen zu treffen und zu realisieren. Ende.

      »Der