Will Berthold

Die Nacht der Schakale


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litten und ob sie in ihrer Jugend die Röteln gehabt hatten, die politischen. Das Wesentliche stand neben dem Unwesentlichen; Nebensächlichkeiten gebärdeten sich größenwahnsinnig, und wenn man es wissen wollte, konnte man auch in wenigen Sekunden feststellen, mit wem und wie lange sich die streunende Gattin des kanadischen Premierministers zuletzt verlustiert hatte.

      Der Computer war dabei, den Menschen zu seinem Spielzeug zu machen; der Zauberlehrling hatte sich längst über seinen Schöpfer erhoben und begonnen, ihn zu manipulieren. Es war kein Zufall, daß in fast allen Ländern der Erde die Geheimdienste die ersten gewesen waren, die eine elektronische Datenbank angelegt hatten. Der Mensch, das Ebenbild Gottes, bestand nicht mehr aus Leib und Seele, sondern aus Chips und Bits, der Recheneinheit seelenloser Roboter.

      Natürlich war Pythia streng bewacht und nicht jedem zugänglich. Selbst wer Zutritt zu ihr hatte, konnte nicht alles von ihr erfahren, was sie wußte. Wer sie konsultieren durfte, hatte ein persönliches Code-Wort zu nennen; es enthielt automatisch die Sicherheits-Kategorie, in die Abfrager eingeteilt waren.

      Es gab fünf, deren erste nur dem obersten CIA-Gewaltigen zugänglich war.

      Steve Cassidy hatte mit der Category II die höchste Spitze erreicht, solange er nicht tatsächlich auf dem Stuhl Gregorys sitzen würde. Ich, zur Gruppe III gehörend, konnte mich über mangelndes Vertrauen nicht beschweren.

      Die Männer, die Pythia bewachten, speisten und betreuten, wunderten sich nicht, daß ich schon um sieben Uhr morgens im Demonstrationsraum erschien. Ich war schon öfter zu dieser Stunde hier aufgetaucht, freilich nie einer eigentlich mehr persönlichen Nachforschung wegen.

      Man ließ mich allein. Niemand brauchte meine Legitimation zu überprüfen. Pythia kontrollierte sich gewissermaßen selbst, und ein Geheimnisträger der Category III konnte Fakten bis zur Geheimhaltungsstufe III abrufen.

      Ich nannte mein Code-Wort und rief dann vanessa miles ab.

      Fehlanzeige.

      Vermutlich wurde die Engländerin unter einem anderen Namen gespeichert.

      Ich gab ihre Beschreibung ein.

      Fehlanzeige.

      Entweder war die subversive Ferienfreundin noch nicht im Programm enthalten oder in der Geheimhaltung so hoch eingestuft, daß meine Code-Vollmacht nicht ausreichte. Vielleicht aber hatte ich auch ihre Beschreibung nicht ganz exakt durchgegeben.

      Ich präzisierte sie noch einmal.

      Es war ja zu erwarten gewesen, daß der große Gregory seine Security-Lady nicht von mir entblättern lassen würde. Vermutlich erführe er jetzt gleich beim Betreten der siebten Etage, daß ich Pythia aufgesucht hatte, und genösse meinen Reinfall: Die Identität einer CIA-Mitarbeiterin, die mich zu kontrollieren hatte, war ein Tabu und mußte es aus dienstlichen Gründen auch bleiben – aber schließlich gab es ja auch noch persönliche Gründe.

      Ich gab mich nicht so leicht geschlagen.

      Nach einigem Nachdenken hatte ich eine brauchbare Idee.

      Ich rief mich selbst ab.

      Verblüffend schnell tauchte auch schon ein Konterfei auf dem Bildschirm auf: Längliches Gesicht, dichte Haare, schräg zueinander abgesetzte Augen, massive Nase, ausgeprägtes Kinn. Das Foto war nicht übertrieben schmeichelhaft, aber es ließ sich auch nicht übersehen, daß es mich darstellte.

      Ich rief weitere Daten ab; der Bildschirm behauptete, ich sei verläßlich und zäh, entscheidungsschnell und intelligent, meine Kostenabrechnungen seien korrekt, meine Verdauung sei in Ordnung und mein Auftreten im Privatleben maßvoll distanziert. Dann wurden einige Fälle aufgezählt, an die ich gesetzt worden war und die ich angeblich so diskret gelöst hätte, daß meine Versetzung in den diplomatischen Dienst von der Agency befürwortet würde. Meine deutsche Abstammung wurde ebenso vermerkt wie die Tatsache, daß ich keine näheren lebenden Verwandten mehr hätte. Das Spieglein an der Wand sagte mir dann auch, daß gegen mein späteres Aufrücken in die Category II vorderhand keine Bedenken bestünden. Man hatte mich wirklich fair eingeschätzt, und alles in allem war mein Persönlichkeitsbild eher schmeichelhaft.

      Aber das alles interessierte mich weit weniger als die letzte Ergänzung, in der es hieß, daß ich nach Beobachtungen der Kontaktperson Fxix-199 zwar sexuell ansprechbar sei und romantische Neigungen zeigte, sofern die Partnerin den richtigen Ton träfe.

      Ich zündete mir eine Zigarette an, um den Tiefschlag zu verdauen. Ich hatte vergessen, daß ich seit Wochen nur kalt rauchte. Und dann rief ich die F-Kontakt-Person ab – F stand für femal, weiblich. Ich zog noch heftiger an meiner Zigarette, denn jetzt erschien Vanessa auf dem Bildschirm.

      Sie hieß nicht Vanessa, sondern Madge, und nicht Miles, sondern Fiddler; sie war nicht 29, sondern 32, keine Junggesellin, sondern eine junge Witwe, seit dem plötzlichen Unfalltod ihres Mannes vor drei Jahren in Nicaragua. Sie war keine Engländerin, sondern stammte aus Boston/Massachusetts, und Bali war ihr erster Einsatz gewesen.

      Viel mehr gab ihr Karteiblatt nicht her.

      Vorderhand genügte mir das, und ich spürte einen wilden Triumph, daß es mir gelungen war, mit Pythias Hilfe den großen Gregory zu übertölpeln.

      Entweder wußte er es nicht, oder er ließ es sich nicht anmerken, als ich ihm Punkt neun Uhr in seinem Office gegenübertrat. Diesmal löffelte er keinen Joghurt, sondern Corn-flakes, und zwar so genüßlich, als wäre es Kaviar.

      »Guten Morgen, Sir, und guten Appetit«, begrüßte ich ihn. »Sie tun wirklich viel für Ihre Gesundheit.«

      »Thanks a lot«, entgegnete er. »Ausgeruht, Lefty?«

      »Ziemlich.«

      »Sie haben mit Steve Cassidy gesprochen?«

      »Ja«, antwortete ich. »Er ist Ihrer Meinung, Sir.«

      »Wann fliegen Sie?« fragte er, viel zu selbstherrlich, um sich zu vergewissern, ob ich überhaupt nach Deutschland abreisen würde.

      »Sowie Sie es für angebracht halten, Sir.«

      »Thanks, Lefty«, entgegnete der Vice, »Ich werde Ihren Eifer bei der abschließenden Beurteilung nicht vergessen.« Er schob seinen Teller beiseite. »Nunmehr sehe ich mich auch in der Lage, einige Ergänzungen nachzutragen«, schönte er die Tatsache, daß er mir gestern ein unvollständiges Dossier zur Analyse übergeben hatte. »Der Verrat Nummer drei in den Flugzeugwerken bei München hat eine natürliche Erklärung gefunden. Ihrem Freund Steve war aufgefallen, daß der anonyme Anrufer nicht – wie bei den vorhergehenden Hinweisen – mit einer neutralen Kunststimme gesprochen hatte, sondern mit seiner natürlichen. In Zusammenarbeit mit den BND-Leuten ließ Cassidy in der Kantine verbreiten, der Informant könne mit einer hohen Belohnung rechnen, wenn er zum Vorschein käme. Schon einen Tag später meldete sich ein Mann aus dem Ingenieurbüro und gab an, der Anrufer zu sein. Er habe nicht als Denuziant seiner Arbeitskollegen dastehen wollen, umgekehrt aber auch nicht zusehen können, wie seine Firma Schaden erleide.«

      »Und die Stimme war identisch?« fragt ich.

      »Kein Zweifel.«

      Ich wunderte mich, daß Gregory trotz dieser eigentlich negativen Sachlage so optimistisch war.

      »Aber die Kunststimme hat sich inzwischen wieder gemeldet«, klärte er das Rätsel. »Auf einer Tonbandkassette, die Pullach zugesandt wurde«, berichtete der große Gregory. »Ein Unbekannter hat sich als der Sperber und als ein Stasi-Spitzenmann vorgestellt, der, unzufrieden mit den DDR-Verhältnissen, sich unter Umständen in den Westen absetzen wolle.«

      »Welche Umstände?« fragte ich. »Geld?«

      »Sie Hellseher«, entgegnete er. »Fünfhunderttausend Dollar.«

      »Wo und wie sollen die Übergabeverhandlungen stattfinden?«

      »Soweit sind wir noch lange nicht. Es gibt gewisse Hinweise, daß in Bonns Auswärtigem Amt eine undichte Stelle sein muß.