Will Berthold

Die Nacht der Schakale


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wir uns nicht wie Schweine benahmen.

      Jedenfalls steckte hinter Vanessas plötzlicher Familienangelegenheit nichts anderes als meine zweifelhafte Firma – Romeo und Julia nach CIA-Art.

      »Sie haben also Vanessa auf mich angesetzt?« fragte ich mit einer Stimme, die auf Sandkörner biß.

      »Seien Sie doch nicht kindisch«, wies mich Gregory zurecht. »Glauben Sie, ich lasse einen Mann wie Sie völlig unbeaufsichtigt durch Fernost globetrotten?«

      »Sie halten es für nötig, Sir, mich noch drei Wochen vor meinem Ausscheiden bespitzeln zu lassen?«

      »Was ist das für eine Ausdrucksweise?« stauchte er mich zurecht. »Ich habe Sie nicht bespitzeln, sondern abschirmen lassen. Außerdem: Tests sind immer nötig. Ein Auto muß ja auch immer wieder zur Inspektion.«

      »Nun bin ich ein Mensch und kein Fahrzeug«, erwiderte ich.

      »Richtig«, sagte er, »und ein tüchtiger Experte dazu. Ich bin mir darüber im klaren, daß Sie die Gegenseite nicht hereingelegt hätte, denn Sie haben sich an unsere Residentur in Djakarta sogar noch vor der von uns als normal angesetzten Verzögerungszeit mit der Bitte um Auskunft über Miß Miles gewandt.«

      »Wie schön, daß ich nicht aufgefallen bin«, ironisierte ich. »Gelernt ist gelernt, nach elf Jahren, isn’t it, Sir?«

      Der Vice reagierte nicht.

      »Aber es war kein Fair play. Ihr Mann in Djakarta hat mich nach allen Regeln seiner schäbigen Kunst durch eine Falschaussage getäuscht.«

      »Werden Sie nicht albern, Lefty«, wies mich die Mumie zurecht. »Der Mann hat in meinem Auftrag gehandelt. Auf Befehl, Lefty.« Er fixierte mich. »Und Sie würden doch auch meinen Befehl ausführen, ob es Ihnen paßt oder nicht.«

      »Noch drei Wochen lang, Sir«, entgegnete ich.

      Selbst meine Stimme zeigte Genugtuung.

      »Außerdem war es ein Doppeltest«, fuhr der große Gregory schamlos fort. »Auch Ihre Bewacherin hatte sich in den folgenden Tagen einer Probe zu stellen.»Er nickte mir zu. »Die Dame hat ebenfalls bestanden, mit Auszeichnung. Das war für mich nicht unwichtig, denn sie ist eine Debütantin.«

      Sollte er sagen, was er wollte, wer ihm glaubte, war selbst daran schuld.

      Ich sah auf die Uhr und dachte an den Kalender.

      Drei Wochen würde ich noch durchstehen, dann wären solcherlei Mätzchen vorbei, erledigt, ausgestanden, und das bedeutete, daß künftig und erstmals eine Frau für mich eine Frau sein würde und kein Objekt, das zuerst mich testen sollte, bevor ich ahnungslos zur Gegenprobe schritt und dadurch zur Unterhaltung des alten Gregory beitrug.

      Menschen, ihre Träume, Hoffnungen und Gefühle zählen einen Dreck im Untergrund, es sei denn als Waffe oder Daumenschraube, Und das war noch die humanste Art, einen Mann auf den Marschstraßen des Hinterhalts in der vorgeschriebenen Bahn zu halten, kontrolliert und manipuliert, herumzuschieben. Und darum wünschte ich ja diesen Satansjob zur Hölle.

      Ich dachte an Vanessa, und mir wurde übel. Eine Debütantin? Vielleicht. Womöglich aber auch ein besserer Profi als ich. Hereingefallen waren wir wohl beide, aber mich traf es wahrscheinlich härter, denn ich hatte Gefühl gezeigt und wehrte mich noch immer dagegen, nur den Irrtum einzugestehen.

      Im Untergrund trägt man kein Herz.

      Es zählt nur beim Gegner – als Zielansprache.

      »Sie müssen müde sein, Lefty«, erinnerte sich Gregory endlich. »Der Schock und die Strapazen. Schlafen Sie sich gründlich aus. Wir sehen uns morgen früh um neun Uhr wieder, hier in meinem Office.« Er setzte hinzu: »Und es wird interessant für Sie werden.« Ich wußte, daß ich am nächsten Tag Nachträge zu diesem Fall zu sehen bekäme, die er mir bislang unterschlagen hatte.

      4

      Der Frühsommer spielte Spätherbst. Windstöße und Regenschauer fegten an diesem Samstag die Berliner Straßen von Passanten leer. Auf beiden Seiten den Stadt waren fast nur noch Liebespaare unterwegs, eng aneinandergedrängt, als wollten sie beweisen, daß der Liebe im Lauf der Jahrtausende auch nicht viel Neues mehr eingefallen war. Wenigstens Wetter und Liebesspiel waren noch einheitlich in der zweigeteilten Weltstadt.

      Es war nicht die einzige Gemeinsamkeit. Im Osten wie im Westen saß man vor dem Bildschirm und sah meistens das gleiche Programm, aber hier begann bereits wieder der Unterschied: Bei den Werbeeinblendungen wurden die Westberliner vom Überfluß angeödet, während sie den Zuschauern auf der anderen Seite ein Schlaraffenland vorgaukelten. Freilich lag kein Kuchen dazwischen, durch den man sich beißen konnte, sondern die Mauer.

      Viel zu schnell jagte eine schwere dunkle Limousine durch die Heinrich-Heine-Straße, die zu einem der Grenzübergänge in der Mauer führte und deshalb mit Sicherheit Tag und Nacht scharf kontrolliert wurde. Ein paar Kilometer Geschwindigkeit zuviel oder auch nur ein Tropfen Alkohol konnten den Führerschein kosten. In diesen Dingen zeigte die Volkspolizei keinerlei Toleranz. Toleranz war ohnedies nicht ihre Stärke. Und – im Verhältnis zur Bevölkerungszahl – es gab im deutschen Osten doppelt so viele Polizisten wie im Westen.

      Westen.

      Der eilige Fahrer zwängte sich rücksichtslos an der Schlange Westberliner Fahrzeuge vorbei, die umständlich abgefertigt wurde. Ein Leutnant stellte sich ihm wütend in den Weg. Einen Moment lang sah es aus, als wollte ihn der Wagen mit der Diplomatennummer des Ostberliner Handelsministeriums rammen.

      Dann erkannte der Vopo-Offizier den Mann am Steuer. Mitten aus der Bewegung heraus stand er stramm: Der Passierschein dieses Grenzgängers mußte nicht kontrolliert werden. Der Insasse der Nobelkutsche – sowjetisches Fabrikat – stellte selbst Passierscheine aus.

      Der Leutnant signalisierte freie Fahrt.

      Der Bevorzugte rollte seinen Wagen auf einen reservierten Parkplatz, stellte ihn ab, verschloß ihn sorgfältig, ging um ihn herum und kontrollierte pedantisch noch einmal die rechte Seite.

      Fast gleichzeitig, wie zufällig, trat der Spitzenfunktionär vom Staatssicherheitsministerium aus der Wachstube. »Dann wünsche ich einen schönen Abend, Genosse Konopka«, grüßte Gelbrich jovial.

      Der späte Grenzgänger war auf die übliche Ost-Anrede wenig erpicht. Genosse kommt von Genuß – und viele der so Titulierten waren wirklich ungenießbar.

      »Was ist denn eigentlich heute los? fragte der Prolet vom Dienst im Oberstenrang: »Veranstaltet Ihr im Scheiß-Westen ein Rudelbumsen?«

      »Wieso?« fragte Konopka. »Wie kommen Sie darauf?«

      »Vor genau zwanzig Minuten ist schon Brosam hier durchgefahren.«

      »Was weiß ich«, erwiderte der subversive Diplomat. »Vielleicht hat der Genosse Kammgarn auch noch auf der anderen Seite zu tun.«

      »So spät seit ihr noch im Dienst?«

      »Sie doch auch, Genosse Gelbrich«, entgegnete Konopka.

      »Ich kontrolliere gerade die fortschrittliche Grenze«, stellte der Stasi-Mann fest. »Sondereinsatz außerhalb der üblichen Routine.«

      »Und ich passiere sie«, versetzte Konopka. »So ungerecht ist die Welt.« Er lächelte den Oberst an. Was der Mann dachte, lag wie eine abwischbare Schicht auf seinem Gesicht. Spritztour in den Goldenen Westen, was? Einkaufsbummel mit unseren raren Devisen, wie? Und dann raffinierte Kapitalisten-Weiber bumsen, nicht? Mal was anderes als unsere östliche Rohkost, ha?

      »Kann ich Ihnen von drüben was mitbringen. Gelbrich?« fragte Konopka.

      »Nein, danke«, antwortete der Kollege aus dem Kreis um General Lupus und grinste. »Ich bin Selbstversorger.« Er warf seine halbgerauchte Zigarette im hohen Bogen weg, verfolgte gelassen, wie ein junger Volkspolizist herbeiflitzte, sie ausdrückte und in den Abfalleimer legte.

      »Oder vielleicht doch, Genosse Konopka,« Obwohl ihnen keiner zuhören konnte – außer sie