Will Berthold

Die Nacht der Schakale


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in Sindelfingen. Jeder, der ihn kannte, war der Meinung, er würde innerhalb der Firma sehr rasch Karriere machen. Dann kam ein anonymer Anruf an den Werkschutz: Der Mann heiße gar nicht Maier, sondern Kettenstroh und sammle zugunsten des Ostens Produktionsgeheimnisse, Der Konzern verständigte den Verfassungsschutz, der Meier alias Kettenstroh beschattete und auf zwei weitere Komplizen stieß. Alle drei wurden festgenommen und durch Indizien hinreichend überführt. Von dem Anrufer freilich, der den Wink gegeben hatte, fehlte jede Spur. Vermutlich hatte er durch eine Plastikfolie über der Sprechmuschel seine Stimme unkenntlich gemacht.

      Szenenwechsel: Wieder ein Anruf in Bonn. Im Bundeskanzleramt. Wieder eine unkenntliche Stimme, aber diesmal nannte der Anonymus sich Sperber und behauptete, entscheidend zur Aufklärung des Falls Sindelfingen beigetragen zu haben. Es konnte ein Spinner sein oder ein Wichtigtuer, aber tatsächlich führte sein Anruf zur Enttarnung einer Ost-Agentin in einer Schlüsselstellung, die freilich im letzten Moment entkommen konnte.

      Und dann hatte sich wieder ein Anrufer gemeldet: in München. Die Flügelschläge des Sperbers verwandelten Pullach in ein Hornissennest.

      Es kam freilich immer wieder vor, daß auf der anderen Seite ein Spion absprang, um sich dadurch eine goldene Nase zu verdienen. Aber in allen diesen Fällen waren zuerst Geldforderungen gestellt und dann die Informationen geliefert worden. Wer sich hinter dem Decknamen Sperber auch verbergen mochte, hatte ein neues Verfahren erfunden: die nachträgliche Honorierung.

      Im Camp waren inzwischen die drei Fälle verglichen und vom Computer ausgewertet worden. Falls das Ergebnis stimmte, handelte es sich um drei voneinander unabhängig operierende Agentenringe. Untergeordnete Chargen im Staatssicherheitsdienst konnten Kenntnis von einer Organisation haben; wer alle drei kannte, mußte Zugang zu sämtlichen Vorgängen der obersten Geheimhaltungsstufe haben und damit in unmittelbarer Umgebung von General Lupus sitzen.

      Das war ein elektrisierender Schluß, so fern er stimmte. Aber die vielen Fragezeichen, die blieben, konnten einem Mann wie Thomas E. Gregory nicht entgangen sein. Wenn er sich trotzdem bereits in diesem Stadium mit Verve auf die Affäre stürzte, mußte er noch Material in der Hinterhand haben, das im Dossier nicht enthalten war.

      Es fiel mir schwer, die Operation No Name sachlich zu werten und mich auf Pullach zu konzentrieren, denn Bali stand mir im Moment näher. Ich sah auf die Uhr; es war Zeit, dem CIA-Vice gegenüberzutreten. Ich betrachtete mich im Spiegel und versuchte, mein Gesicht zu ordnen.

      Der große Gregory saß an seinem Schreibtisch und löffelte einen Natur-Joghurt mit dem Behagen, das ein normaler Mensch beim Verzehr eines saftigen Steaks empfindet. »Sit down, Lefty«, forderte er mich gutgelaunt auf.

      Ich ließ mich nieder und schob ihm in einem verschlossenen Umschlag das Dossier des Falls No Name zu.

      »An appetizer, is’nt it?« fragte der große Gregory, für seine Verhältnisse fast vergnügt.

      »Sure, Sir«, erwiderte ich.

      Ich wollte ihm nicht gleich sagen, daß mir seine Delikatessen auf den Magen geschlagen waren. Er sah es mir vermutlich an. Wiederum hatte ich – wie schon bei der Lektüre der Materialsammlung – das unbestimmte Gefühl, in eine Art Verschwörung geraten zu sein. Bevor ich mich mit der Qualität der Unterlagen befaßte, hatte ich bereits festgestellt, daß das Kuckucksei im Pullacher Nest schon vor meinem Abflug in die Ferien ausgebrütet worden sein mußte.

      »Schießen Sie schon los, Lefty«, forderte mich mein zweifelhafter Gönner auf und sah mich an wie ein Chirurg den Patienten, den er gleich unter das Messer nehmen wird. »Sie haben natürlich anhand der Eingangsstempel sofort gesehen, daß uns die ersten Hinweise bereits vor Wochen erreicht haben«, versuchte er mein Grimm zu entmannen.

      »Richtig, Sir«, bestätigte ich. »Und ich frage mich, warum Sie mich jetzt partout an diesen Fall setzen wollen, nachdem Sie mich damals nicht hinzugezogen hatten.«

      »Aus zwei Gründen«, antwortete der Vice, ungewöhnlich geduldig. »Erstens erreichte uns der wichtigste Teil der Informationen erst, als Sie bereits in Ihr schlitzäugiges Abenteuer aufgebrochen waren, und dann wurden Sie inzwischen von einem unserer besten Männer angefordert – Sie persönlich, Lefty!«

      »Ich werde mir die Blumen ins Knopfloch stecken«, spottete ich.

      »Cassidy«, nannte Gregory den Namen in der Manier des großen Magiers, der die nackte Jungfrau aus dem Kasten zaubert. »Sind Sie nicht sein Freund?«

      »Hoffentlich bleibe ich es auch«, entgegnete ich. »Was hat Steve eigentlich mit dem Camp im Isartal zu tun?«

      »Eine ganze Menge«, erwiderte Gregory. »Wir haben ihn vorübergehend als unseren Sonderbevollmächtigten in die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes entsandt.«

      Er sah mich mit seinen kleinen starren Augen an, die wie hineingedrückt in tiefen Höhlen steckten. »Ich garantiere Ihnen, daß ich nichts damit zu tun habe, wenn Ihr Freund zu der Auffassung gelangt ist, daß er Sie unbedingt braucht, Lefty.«

      Er konnte sagen, was er wollte. Gregory wußte ziemlich genau, daß ich kaum eine Möglichkeit hatte, eine Anforderung Steves auszuschlagen. Es gab eine stattliche Reihe von CIA-Leuten, mit denen ich recht gut auskam – und mindestens genauso viele, die ich nicht ausstehen konnte. Aber Steve war mein einziger Freund, und das nicht grundlos. Er hatte mich bereits zweimal aus der Klemme geholt und mir dabei einmal mit Sicherheit das Leben gerettet. Cassidy würde sich eher die Zunge abbeißen, als mich daran zu erinnern, daß noch eine Dankesschuld bestand. Er brauchte es auch nicht, denn das besorgte schließlich der Vice Director von Langley.

      »Kommen wir endlich zur Sache«, forderte mich der große Gregory zu einer Analyse auf, die ebensogut er wie jeder andere Deutschland-Spezialist im Hause erstellen konnte. »Was halten Sie von diesen Vorgängen?«

      »Es ist noch zu früh, um etwas davon zu halten«, erwiderte ich. »In diesem Stadium stehen noch viele Möglichkeiten offen. Zunächst einmal sieht es aus wie die ein wenig unübliche Eröffnung eines gewöhnlichen Geheimdienstspiels, in einer allerdings beträchtlichen Größenordnung. Es ist unübersehbar, daß Pullach in der Tat in rascher Folge drei ungewöhnliche Einbrüche in SSD-Agentenringe gelungen sind, vermutlich durch Hinweise von der anderen Seite, womöglich in allen drei Fällen dieselbe Quelle. Sie liegt im dunkeln. Wer der Informant auch sein mag, er hat keinen Namen, kein Gesicht, keine Dienststelle – und was noch weit mehr zählt, vorderhand auch kein Motiv.«

      »Stimmt«, erwiderte mein Gegenüber »aber wenn er das Spiel fortsetzen will – wenn er es nicht wollte, hätte er es mit Sicherheit nicht eingeleitet –, mußte er umgehend und irgendwie aus dem Dunkel heraustreten und uns eine Gegenleistung abverlangen, und dann erfahren wir auch das Motiv und können uns mit ihm beschäftigen.«

      Gregory hatte natürlich recht, und ich mußte ihm zustimmen. »Es gibt gewisse Hinweise, die eine Mutmaßung rechtfertigen, der große Unbekannte säße in unmittelbarer Nähe des Stasi-Generals Lupus«, sagte ich, »und damit beginnt bereits die Schweinerei: Die Hinweise können konstruiert sein, Leimruten, auf die wir kriechen sollen.« Ich suchte die Augen des großen Gregory. »Entweder haben Sie mir in dem Dossier Material vorenthalten, Sir, oder Sie setzen neuerdings in einer Art Wunschdenken auf gewaltige Spekulationen.«

      »Bleiben Sie nur kritisch, Lefty«, fing er meine Spitze ab. »Sie wissen ja, wie sehr mir voreiliger Überschwang zuwider ist.«

      »Gut«, erwiderte ich. »These Nummer eins: Es kann sich bei den Enttarnungen um ein zufälliges Zusammentreffen von Abwehrerfolgen handeln.«

      »Möglich, doch unglaubhaft,«

      »Das ist es eben, Sir. Wir sind so sehr in unsere Kabalen verstrickt, daß uns die Banalitäten und Eventualitäten des täglichen Lebens entgehen. Sie wissen, was ich meine, Sir?«

      »Nein«, entgegnete Gregory. »Das sollten Sie mir schon genauer erklären.«

      »Ein Arzt wittert überall Bazillen, ein Pfarrer Sünden, ein Bankdirektor Pleiten, eine Nutte Freier, und wir – wir sehen in jeder Zufälligkeit einen Fallstrick der Gegenseite.«

      »Und