Will Berthold

Die Nacht der Schakale


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Kofferraum.«

      »Nichts leichter als das«, spottete Konopka. »Haben Sie schon mal einen Geist gefangen, Gelbrich?«

      »Bisher nur Weingeist«, versetzte der Oberst. »Alsdann: viel Vergnügen, Genosse!« schloß der Stasi-Funktionär das Gespräch und schaute Konopka mit Wolfsaugen nach.

      Der Sperber war seit der Geheimbesprechung bei General Lupus ein beliebtes Gesprächsthema im roten Untergrund. Vielleicht handelte es sich nur um ein Gerücht. Womöglich war er aber auch ein Phantom, dem jeder Vorfall untergeschoben wurde, der sich nicht erklären ließ, ähnlich dem ominösen Legationsrat Erster Klasse in Bonn, der, durch die AA-Akten geisternd, sogar befördert worden war, wiewohl es ihn gar nicht gab. Keiner, der das Sperber-Gerücht kolportierte, wußte, daß er General Lupus in die Hände arbeitete, von Gelbrich und Konopka natürlich abgesehen.

      Der Wanderer zwischen beiden Welten passierte eine Art Laufgraben. Er trug einen eleganten Maßanzug aus englischem Tuch, garantiert nicht in einem volkseigenen Betrieb gefertigt. Auch der Schnitt war Made in Western Germany. Meistens sah der rote Diplomat älter aus als 45; er konnte aber auch jünger wirken, vor allem, wenn er lächelte. Er hatte ein Plissee-Face mit vielen Falten, die anzeigten, daß er gewohnt war, schnell zu leben: Vier Ehescheidungen, in sieben Jahren ein halbes Dutzend ungewöhnlicher Affären hatten sich wie Keilschriften in sein Gesicht eingetragen. Manche Frauen mochten es, andere taten es als verlebte Fassade ab.

      Jedermann kennt seine Liebesabenteuer selbst am besten, aber Konopka gehörte – ebenso wie zum Beispiel Brosam, Gelbrich, Wellershoff, Lemmers, Laqueur, Sabotka, Grewe und Lipsky – zu den wenigen DDR-Bürgern, die ihre im Ministerium für Staatssicherheit geführten Personalakten selbst einsehen konnten.

      Irgendwie arbeiten alle Geheimdienste der Welt nach dem gleichen Schema, testen ihre Geheimnisträger auf Sicherheitsrisiken ab.

      Eine Tante in Köln oder eine Verflossene in Frankfurt, gelegentlich ein Glas Bier zuviel oder ein zu großer persönlicher Aufwand waren Minuspunkte, aber für die Männer um General Lupus gab es auch einen Malus für Gegebenheiten, die im Westen unerheblich waren. Laqueur zum Beispiel hatte sich anstrengen müssen, seine Hugenotten-Abstammung vergessen zu lassen; auch Brosam entstammte einer großbürgerlichen Familie. Er hatte in Westberlin eine Freundin, bei der er gelegentlich – wie zum Beispiel heute – nächtigte. Daß er in Bettlaune keine Staatsgeheimnisse ausplauderte, wußte man im Osten wie im Westen, denn die Geheimdienste hatten das Schlafzimmer mit Wanzen bestückt und horchten pedantisch mit, wiewohl sie Liebesgestöhn und Orgasmusgekeuche längst langweilten. Es war dem Genossen Kammgarn gleichgültig, denn er galt als unersetzlich; er fürchtete die privaten Nachforschungen seiner gealterten eifersüchtigen Ehefrau mehr als die Wanzen sämtlicher Geheimdienste zusammen.

      Lipsky war erst in sowjetischer Kriegsgefangenschaft über das Nationalkomitee Freies Deutschland – mehr hungrig als freiwillig – zum Kommunisten herangereift, seitdem aber voll in das sozialistische Lager integriert. Gelbrich hatte den Spitzbart ein paarmal verbal angerempelt, aber Ulbricht war schon vor seinem Ableben tot gewesen, und so verwandelte sich die Rüpelei später für Gelbrich sogar noch in einen Bonus.

      Konopka erreichte das Ende des Niemandslandes, und der Volkspolizist auf dem Wachturm ließ ihn aus Blick und Visier. Der späte Besucher schritt zügig auf die Willkommensschilder des Freien Berlin zu. Da er öfter durch die Mauer kam und seinen Gegenspielern das Rätsel aufgab, ob er sich nur die Haare schneiden ließ oder seinen V-Leuten Befehle geben wollte (es war ziemlich eindeutig, daß die Ost-Diplomaten mehr oder weniger für ihre Nachrichtendienste arbeiteten), bot für ihn der Westen noch mehr Attraktion als Sensation.

      Auf der Neonseite der Stadt hieß der Übergang Prinzenstraße. Der Kontrollbeamte hatte den späten Besucher bereits erkannt, bevor dieser seinen Paß mit der vorschriftsmäßig aufgeschlagenen Lichtbildseite präsentierte.

      Achtung, sagte sich der Uniformierte: Konopka steht auf der Liste der 97, bei denen Maßnahme A (Anruf) auszulösen ist.

      Verlegenheit im Ost-West-Verkehr überspielt man am besten mit Höflichkeit: »Guten Abend, Herr Konopka«, begrüßte ihn der Polizist und reichte den Ausweis zurück. »Sie kommen zu Fuß?«

      »Wie Sie sehen«, erwiderte der Mann von drüben und setzte dann humorig hinzu: »Bei euch im Westen wird man ja immer zum Trinken genötigt.«

      »Dann Prost, Herr Konopka!« ging der Polizeibeamte auf den Ton ein. »Brauchen Sie ein Taxi?«

      »Vielen Dank«, versetzte der Besucher. »Ich kenn mich hier aus.«

      Der Polizist sah ihm nach, bis die Dunkelheit seine Konturen geschluckt hatte, ging ans Telefon, wählte sechs Ziffern hintereinander. Eine Geheimnummer. Vermutlich eine Außenstelle des Bundesnachrichtendienstes, genau wußte er es selbst nicht. Es war weder üblich, solcherlei Fragen zu stellen, noch sie zu beantworten. Der Anrufer nannte Standort und Namen und setzte dann hinzu: »Max Konopka, er hat um 21 Uhr 58 den Kontrollpunkt passiert.«

      »Mit dem Wagen?«

      »Nein, zu Fuß«, antwortete der Grenzbeamte.

      »Vielen Dank«, schloß die Stimme am anderen Ende und klang nicht mehr schläfrig.

      Obwohl Konopka gewohnt war, sich anzupassen, sah er nicht aus wie einer, der nach Kreuzberg gehört. Er ging gemächlich, ein Herr über Zeit und Geld, der offensichtlich im falschen Stadtteil sein Abenteuer pflücken wollte. Er ließ den Taxistand links liegen und schlenderte weiter. Er sicherte vorsichtig nach allen Seiten, aber es würde wohl noch eine Weile dauern, bis sie ihm Schatten anhängten. Sicher hatte der Grenzbeamte inzwischen einen der vielen westlichen Geheimdienste angerufen, die mehr oder weniger nach dem Schema arbeiteten: getrennt marschieren, gemeinsam schlafen.

      Er hörte den Omnibus heranrollen, drehte sich nicht nach ihm um, ging langsam weiter und ließ durch nichts erkennen, daß er im letzten Moment noch aufspringen würde. Das zweistöckige Ungetüm war schon im Anfahren. Der Fahrer öffnete noch einmal die Tür, und der garantiert letzte Fahrgast mogelte sich hinein. Die erste Station war geschafft – die primitivsten Methoden sind in diesem Metier häufig die besten.

      Er fuhr vier Haltestellen weit in die Gegenrichtung seines Ziels. Scheinbar zerstreut, wie er eingestiegen war, verließ er wieder den Bus. So konnte er sicher sein, daß nach ihm auch kein Fahrgast ausgestiegen war.

      Es war ein erstaunlicher Aufwand für einen Mann, der ernsthaft weder westliche noch östliche Verfolger zu fürchten hatte. Konopka, Nutznießer eines Diplomatenpasses war einfach gewohnt, seine Wege zu verschlüsseln. Erstens haßte er Pfusch, und verschlungene Pfade reizten ihn ohnedies; er empfand dabei die diebische Freude des Ehemanns, der Frau und Freundin zugleich hintergeht.

      Wenn ihn trotz aller Vorsicht volksdemokratische oder kapitalistische Schnüffler bis zum Blauen Haus verfolgen sollten, gäbe es keine plausiblere Erklärung für einen Besuch in Westberlin als diese Grunewaldvilla. Für wenige Eingeweihte war es ein Klub, der an Diskretion, Exklusivität und Frivolität nicht zu schlagen war. Hier gab es keine Erotik als Eintagsmenü, sondern Sex à la carte. Keinen Hausfrauenstrich und keine Schülerinnenkuppelei. Man zahlte mit Verschwiegenheit und brachte gewissermaßen sich selbst als Eintrittsgeld mit. Die Erotik wurde im Blauen Haus wieder auf ihren Ursprung zurückgebracht und verfeinert. Für alle Teilnehmer der gewagten Spiele war sie wieder Selbstzweck und nicht Geschäftsbasis – eine Nostalgie der Sinnlichkeit.

      Im Osten wie im Westen galt Konopka als Ausnahmeerscheinung. Seine Manieren machten seinen BRD-Gegenspielern den Umgang mit ihm leicht, noch dazu, da der Spitzenmann des DDR-Ministeriums für Außenwirtschaft und ›volkseigene Casanova‹ eine Schlüsselfigur war, die bei Laune gehalten werden sollte. Mit Sicherheit kam bei den Verhandlungen um den Freikauf kein Häftling in DDR-Gewahrsam auf die Transferliste, wenn es der stets im Hintergrund agierende Konopka nicht wollte.

      Der Osten ließ seinem Paradiesvogel ziemliche Ungewöhnlichkeiten durchgehen, da er schließlich die Ost-Mark durch westliche Devisen aufwertete und einer der wenigen war, die hinter die Kulissen der BRD-Industrie sehen konnten. Man wußte, daß er sich unter vier Augen mit General Lupus duzte. Es war aber auch bekannt geworden – und