Will Berthold

Die Nacht der Schakale


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einem Berufsproleten zornig. Sogar der höfliche Laqueur schüttelte den Kopf, Konopka grinste bissig, der Blutdruck steigerte sich sichtbar in Brosams Gesicht; es sah aus, als müßte der anschwellende Kopf des Genossen Kammgarn gleich platzen. Auch der farblose Lemmers, der Gruftspion, wirkte einen Moment entsetzt, über die kommunistische Majestätsbeleidigung. Wellershoff, der Besonnene, schlug mit der Faust auf den Tisch und erhob sich: »Das geht mir nun wirklich zu weit, Genosse Gelbrich«, konterte er. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie diese ungeheure Pauschalverdächtigung uns irgendwie weiterbringen …«

      »Ich bitte um Ruhe«, beendete General Lupus die ortsunübliche Turbulenz. »Ich danke Ihnen, Genosse Lipsky, für Ihre vorzügliche Arbeit. Ich sehe keinen Grund, an Ihrer peniblen Exaktheit zu zweifeln.« Er sah zu dem Mann von gestern auf dem Stuhl von heute hin, dem Scharfmacher im Haus, dem alles viel zu langsam vorankam und der die bourgeoisen Sitten haßte, die selbst hier im Ministerium bereits eingerissen waren. »Und Ihnen, Genosse Gelbrich, danke ich für Ihre sozialistische Wachsamkeit«, fuhr er ohne Spott oder Vorwurf fort. »Ich weiß zum Glück, daß Ihr Verdacht unbegründet ist; trotzdem trafen Ihre Worte ins Schwarze. Sie haben nur ausgesprochen, was unsere Gegenspieler in Pullach zur Zeit annehmen: ein Verräter in der Normannenstraße! Und wenn diese Schlafmützen aus dem Camp im Isartal schon aufgewacht sind, dann sollten wir ihre Munterkeit nutzen und ihnen mit beiden Händen servieren, was sie haben möchten.« Um seinen knappen Mund spielte ein böses, schmallippiges Lächeln und war schon weggewischt, bevor es deutlich wurde. »Was ich Ihnen jetzt sage, Genossen, ist keine Vermutung: Seit den mißlichen Ereignissen der letzten Wochen träumt man im Pullacher Camp von einer späten Rache für Guillaume. Das verräterische Phantom, das bei uns herumgeistern soll, trägt in der unmittelbaren Umgebung des BND-Präsidenten bereits den Codenamen der Sperber« Lupus griff sich eine ›Navy Cut‹; der neben ihm sitzende Konopka gab ihm Feuer. »Wenn wir konsequent und schlüssig nachstoßen, können wir diesen Sperber als unseren Jagdfalken dressieren.«

      Offensichtlich begriff Laqueur, der Schnelldenker, als erster, daß der General daran dachte, aus drei Einzelpannen eine Elefantenfalle zu errichten, und er lächelte geringschätzig, weil er diese Dickhäuter auf der anderen Seite nur zu gut kannte. Da ihm aber auch die Methoden des HVA-Chefs vertraut waren, begann sich Laqueur zu fragen, ob die Schlappen von Sindelfingen, Bonn und München nicht bereits zur Inszenierung des Generals Lupus gehört und ob nicht womöglich – als Start eines bedachten, wenn auch bedenkenlosen Vabanquespiels – Verrat auf Geheiß vorlag.

      »Wenn ich Sie recht verstehe, wollen Sie also für die Gegenseite einen falschen Maulwurf in kolossaler Größe aufbauen, Genosse Lupus«, gab Konopka dem Untergrund-General ein Stichwort.

      »Erraten, Konopka«, erwiderte er. »Zunächst einmal: Das Politbüro der SED ist bereits verständigt. Unsere sowjetischen Freunde in Moskau sind – wie ich bei meinem Besuch soeben feststellen konnte – mit einer solchen Operation nicht nur einverstanden, sie drängen mich geradezu, sie voranzutreiben. Außer den schon Informierten und den hier Anwesenden wird niemand von dem Plan erfahren. Ich möchte noch einmal betonen: Der Fall Sperber hat sich von selbst entwickelt. Ohne unser Zutun. Inzwischen erhielten die Amerikaner bereits Wind von der Sache, sie setzen Pullach unter Druck, um beteiligt zu werden. Wie ich die Yankees einschätze, bleibt es nicht dabei; sie werden die ganze Affäre an sich ziehen. Damit steigt der Fall Sperber aus dem nationalen Bereich zu internationaler Dimension auf. Wenn wir den richtigen Köderfisch an den Haken hängen«, konstatierte der subversive General, in seiner Freizeit auch ein leidenschaftlicher Angler, »werden sie daran ersticken – wir können Pullach und die CIA gleichzeitig in einer noch gar nicht übersehbaren Größenordnung fertigmachen. Nun möchte ich mit Ihnen im einzelnen durchsprechen, welche Szenen wir unseren Gegnern in das Drehbuch schreiben.«

      Major Sobotka, der jederzeit Zutritt auch zu Geheimgesprächen hatte – als Nachahmer des Generals von den anderen mit dem Spottnamen Lupusculus bedacht –, saß im Nebenraum und stellte fest, daß die Signallampe aufleuchtete, die mit den Tonbandgeräten gleichgeschaltet war. Diese direkte Nachrichtenverbindung über eine Magnetaufzeichnung gab es nur für Informationen aus dem DDR-Raum; falls sie mitgehört würden, wäre der Adressat in der Normannenstraße zugleich Lauscher. Der Referent des Generals wartete, bis das Kontrollämpchen erloschy dann spulte er das Band zurück und tippte den Text mit zwei Fingern selbst in die Schreibmaschine: Klabautermann.

      So nannte der Anrufer sein Codewort. Seine Stimme lief über Verzerrer, der jede Möglichkeit ausschloß, sie zu identifizieren. Es war nicht einmal der Rückschluß möglich, ob der Informant alt oder jung, männlich oder weiblich war; eine Kunststimme ohne Charakter.

      Martin Keil hat soeben aus Bonn eine strengvertrauliche Mitteilung über den Rahmen der bevorstehenden Swing-Verhandlungen erhalten. Demnach ist die BRD-Regierung entschlossen, trotz Protestes der Opposition – selbst bei bisheriger Hohe des Pflichtumtausches bei der Einreise von BRD-Bürgern – den zinslosen Warenkredit der DDR weiterhin zu gewähren. Aus kosmetischen Gründen soll der Betrag, künftig jährlich kündbar, vorübergehend von 850 auf 600 Millionen verringert werden. Bonns Unterhändler haben Anweisung erhalten, den DDR-Behörden gegenüber äußerst unnachgiebig und energisch aufzutreten. Sollten sie dabei keinen Erfolg haben, ist mit dem Abschluß eines neuerlichen Swing-Abkommens auf der neuen Basis in etwa 14 Tagen zu rechnen.

      Sabotka nahm das Blatt aus der Schreibmaschine, überlegte kurz. Die Nachricht erschien ihm wichtig genug, sie General Lupus in die Geheimbesprechung hineinzureichen, zumal Brosam und Konopka daran teilnahmen, deren Dienstbereich die Information betraf.

      Er öffnete die Tür, blieb stehen. Lupus sah zu ihm hin, nickte ihm zu. »Was gibt’s?« fragte er seinen persönlichen Referenten.

      Der Major reichte ihm die Meldung. Lupus las sie aufmerksam durch und beugte sich zu dem neben ihm sitzenden Konopka: »Ich brauche Sie anschließend noch.« Dann drehte er sich zu Brosam um: »Sie bitte auch.«

      Er schob die Meldung in die Tasche. »Wir werden also den Sperber hier im Haus genau nach den Vorstellungen, Wünschen und Träumen unserer Gegenspieler aufbauen«, erklärte er dann. »So wie die Pullacher und Amerikaner ihn sich wünschen, sollen sie ihn auch haben, und …«

      »Und wer soll das sein, Genosse Lupus?« fiel ihm Gelbrich ins Wort.

      »Einer von uns«, erwiderte der General. »Ich sehe keine andere Lösung, wenn wir Nägel mit Köpfen machen wollen.«

      »Einer der hier Anwesenden?« fragte der empfindliche Gelbrich betroffen.

      »Warum nicht – wenn es uns weiterhilft.«

      »Und an wen denken Sie dabei, Genosse Lupus?« fragte Gelbrich weiter.

      »Wir haben noch Zeit, uns auf einen geeigneten Pappkameraden zu einigen«, besänftigte Lupus den Proleten vom Dienst. »Sie jedenfalls nicht, Gelbricht. Aber einer der anderen Genossen hier im Raum muß in den sauren Apfel beißen und vorübergehend diese Dreckarbeit übernehmen.« Er lächelte schief. »Es ist eine Laiendarstellung mit einer Stargage.«

      »Es wird nicht so einfach sein«, erinnerte Laqueur. »Ein solcher Mann wirkt im Westen erst dann glaubhaft, wenn er einen glaubhaften Beweggrund vorzeigen kann, und wir hier sind ja wohl alle bewährte und überzeugte Genossen.«

      Beweggründe, die DDR zu verlassen, gab es viele, und 3,1 Millionen Menschen hatten sie genutzt, als es noch möglich war, um in den Westen zu entschlüpfen. Aber die Vorstellung, einer der führenden Männer der Spionagefabrik, die sich seit Jahren an der Frontlinie des Untergrunds mit ihren Gegenspielern herumschlug, könnte sich an einer Volksabstimmung mit den Füßen‹ beteiligen, schien absurd und abwegig.

      »Ganz recht, Genösse Laqueur«, erwiderte der General. »Wir müssen ihnen ein überzeugendes Motiv bieten, und das haben wir auch.« Einen Moment lang war sein intelligentes Gesicht in Spott getaucht. »Wir nehmen ihren Höchstwert: Geld. Geld schlechthin. Vom Geld verstehen diese Kapitalisten etwas«, sagte er mit spitzen Lippen. »Um Geld dreht sich doch alles bei ihnen, und je gieriger desto glaubhafter wird ein Judas mit dem SED-Abzeichen sein. Fangen wir an mit einer halben Million Dollar. Sicher wollen die Pullacher und Amerikaner einige Vorleistungen haben. Dafür wird der Sperber sorgen