Will Berthold

Die Nacht der Schakale


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Gelbrich weiter.

      »Nicht ohne weiteres, aber wenn wir die Mischung richtig dosieren, bleibt ihnen gar nichts anderes übrig. Gewöhnliches Spielmaterial tut’s in diesem Fall natürlich nicht. Hier brauchen wir Ungewöhnliches, und das heißt, daß wir schon mal ans Eingemachte heranmüssen. Bei der Zusammenstellung bin ich auf Ihre Mithilfe angewiesen, Genossen.«

      Laqueur hatte erkannt, daß der General den neuralgischen Punkt seines Plans erreicht hatte: Mit Speck fängt man Mäuse, aber die Mäuse hatten viel dazugelernt. Sie waren ziemlich resistent geworden und unterschieden längst zwischen Delikatesse und Gift. Man mußte ihnen schon eine besondere Nahrung zuführen, wenn sie sich zu Tode fressen sollten, und das hieß: mehr oder weniger eigene Leute ans Messer liefern, Agenten im Einsatz, die bisher unergiebig gewesen waren und die man deshalb abdrehen konnte. Die übliche Tour: Dem Gegner Geheimnisse enthüllen, die er bereits kannte oder ahnte, würde versagen. Hier hieß es opfern, nicht spenden.

      Laqueur überlegte bereits, welche seiner Leute verzichtbar wären, und die anderen würden es wohl ebenfalls tun. Befehl ist Befehl, und der Zweck heiligt die Mittel, auch bei den kommunistischen Jesuiten. Die Hexenjagd nach der Laus im eigenen Pelz, die BND und CIA mit Sicherheit bald vorgespielt werden würde, hätte noch den Nebeneffekt, die größte Spionagefabrik Mitteleuropas, die Resultate wie vom Fließband lieferte, auf Pannenquellen und säumige Mitarbeiter abzutasten und noch sicherer zu machen, als sie es bereits war.

      Sie erwärmten sich langsam, dann aber bis zum Siedepunkt. Brosam machte an seiner Zigarettenattrappe gesundheitsneutrale Lungenzüge. Der besonnene Konopka pflückte bereits Vorschußlorbeeren. Der Optimismus Laqueurs, des Herrenreiters, ritt Galopp. Gelbrich nörgelte nicht mehr herum, sondern wirkte wie der Bauer, der sein Huhn im Topf hat. Nur Phimoses, der Berichterstatter, war traurig wie der Mann, der ein letztes Mal seinen Hund spazierenführt, bevor er ihn zum Einschläfern bringen muß.

      Nach einer Stunde endete die Geheimbesprechung in Sachen Sperber. Die Teilnehmer hatten sich auf den Mann geeinigt, der die Rolle des Maulwurfs übernehmen sollte. Alle waren zufrieden, und Gelbrich, der Prolet vom Dienst, klopfte den roten Gentlemen Brosam und Konopka auf die Schulter, obwohl er sonst ihre feine Art nicht ausstehen konnte. Selbst Phimoses hatte in der Aufregung vorübergehend den verräterischen Rotpunkt vergessen. Lemmers, der Gruftspion, trug schwer an seiner Wichtigkeit, er hatte es eilig.

      Lupus hatte für jeden ein Lächeln und einen Händedruck. Er mußte müde sein, aber der Fall Sperber hielt ihn auf Trab.

      »Sehen Sie sich das an«, sagte er zu Konopka und reichte ihm die Tonbandabschrift. »Was halten Sie davon?«

      »So ähnlich habe ich es mir vorgestellt«, erwiderte der rote Gigolo. »Manchmal wundere ich mich wirklich, was unsere Gegenspieler für Einfaltspinsel sind.«

      »Häufig«, schränkte der subversive Militär ein.

      »Und die Nachricht ist zuverlässig, Sascha?« fragte Konopka.

      »Wie immer«, bestätigte der General.

      Bevaujots Günstling fragte nicht nach der Herkunft der Mitteilung. Sie war nicht die erste und würde nicht die letzte sein, die aus der gleichen Quelle stammte.

      Einem Fachmann wie ihm war von vornherein klar, daß sie nur vom Bonner Außenministerium oder aus der inoffiziellen Botschaft der Bundesrepublik in Ostberlin kommen konnte.

      Konopka setzte auf die Hannoversche Straße – nicht erst seit heute.

      3

      Auf der Insel des Lichts war es schon Freitag, 7 Uhr 55 Ortszeit, als ich am Donnerstagnachmittag aus dem Headquarter von Langley – wo ich ein Gäste-Apartment bewohnte – im Bali Hyatt am Strand von Samur an der südlichen Westküste anrief, um Vanessa einen guten Morgen zu wünschen und sie zu bitten, meine Rückkehr abzuwarten, selbst wenn sie sich um ein, zwei Tage verzögern sollte.

      Die Verbindung kam nicht so glatt zustande, wie ich es mir wünschte. Ständig war die Vorwahlnummer belegt. Endlich kam ich durch, hörte aber zunächst nur Balis ewige Gamelan-Musik. Das Hyatt, ein internationales Ferienhotel, war in der Saison fast immer voll ausgebucht, aber der Mann, der sich schließlich meldete, vermutlich ein Hausboy bei der Reinigungsarbeit, sprach nur dürftiges Pidgin-Englisch.

      Als er endlich begriff, was ich wollte, war die Leitung wieder zusammengebrochen.

      Ich begann von neuem mit meinem Geduldsspiel, geriet dabei in Zeitnot, denn in 20 Minuten wollte mich der große Gregory sprechen, und der CIA-Vice haßte Unpünktlichkeit – ich übrigens auch. Schließlich kam ich durch; jetzt war am anderen Ende der Leitung auch der zuständige Rezeptionist auf dem anderen Kontinent: »Good morning, Sir«, sagte er, als ich mich gemeldet und um Verbindung mit Miß Vanessa Miles gebeten hatte. »Just a moment, Sir.«

      Ich freute mich schon auf Vanessas Stimme und auf ihre Verblüffung. Ich sah sie ein paar Sekunden lang vor mir, in einem Nichts von weißem Nighty auf ihrer gebräunten Haut, die so appetitlich duftete, daß sie mich verwirrte und überwältigte. Ich spürte wieder ihre Haarspitzen wie kleine, elektrische Schläge an meiner Gesichtshaut. Einen Moment lang wurde ich von einer Art Glücksgefühl überflutet, das mich beinahe eifersüchtig auf mich selbst machte.

      Es war, als wollte ich alles, was ich an Gefühlsregungen bei anderen Frauen eingespart hatte, in die Ferien-Gefährtin der Trauminsel ›Morgen der Welt‹ verschwenden.

      »I am sorry, Sir«, meldete sich der Hotelbedienstete wieder. »Ich kann Sie nicht verbinden, Miß Miles ist leider schon abgereist.«

      »Abgereist?« rief ich mit einer Stimme, über die ich selbst erschrak. »Aber ihre Gruppe fliegt doch erst morgen nach Bangkok weiter.«

      »Sorry, Sir«, wiederholte er. »Miß Miles ist vor einer Stunde zum Airport gefahren. Wie war Ihr Name, Sir?«

      Ich wiederholte ihn.

      »There is a message for you«, entgegnete der Portier.

      Ich wußte sofort, daß die Notiz, die Vanessa für mich hinterlassen hatte, eine Hiobsbotschaft war.

      »Hören Sie«, fuhr der Mann am Telefon fort, »Miß Miles mußte plötzlich in einer dringenden Familienangelegenheit nach Großbritannien zurückfliegen. Vielleicht können Sie Miß Miles noch am Airport erreichen.«

      Ich ließ mir die Telefonnummer vom Flughafen Ngurah Rai geben und Vanessa dort ausrufen. Vergeblich. Ich grübelte erfolglos darüber nach, was vorgefallen sein mochte. Schmerzlich und in Raten begriff ich, daß es für mich, ganz gleich, wie mein Gespräch mit Thomas E. Gregory ausgehen würde, keinen Rückflug auf die Paradiesinsel gäbe. Es war ein Absturz in Raten.

      Es gelang mir nicht einmal festzustellen, mit welcher Fluglinie Vanessa abgereist war. Es gab mehrere Möglichkeiten mit verschiedenen Zielorten. Es war wenig sinnvoll zu hadern, daß sie in der Aufregung offensichtlich vergessen hatte, einen Hinweis für mich zu hinterlassen. Irgendwann müßte es ihr einfallen, und dann würde sich Vanessa mit Sicherheit bei mir melden, unter der Deckadresse, die ich ihr für alle Fälle übergeben hatte; die Frage war nur, wo ich mich dann wirklich aufhielt.

      Ich witterte förmlich, wie mich der große Gregory bereits zwischen seinen Klauen festhielt. Ich wehrte mich dagegen, aber ich spürte eine Unruhe – auch was Vanessa betraf – und stemmte mich dagegen. Es war schwer, mich auf den Fall No Name zu konzentrieren, obwohl er es in sich hatte.

      Quer durch Deutschland verlief die Ost-West-Teilung und machte mein Geburtsland zu einem Schlachtfeld des Untergrunds. Niemand konnte sagen, wie viele Stasi-Agenten sich im Westen eingeschlichen hatten, mit Sicherheit Tausende, und die meisten von ihnen waren Überzeugungstäter, die mit üblichen Mittel nicht zur Strecke gebracht werden konnten.

      Wenn einer Geld nimmt und auf großem Fuß lebt oder einer auf ihn angesetzten Frauen verfällt, durch Spiel- oder Wettschulden in Bedrängnis gerät, so hinterläßt er für die Fahnder deutliche Spuren. Keinen Hinweis auf seine subversive Absicht gibt jedoch ein überzeugter Kommunist, der sich verstellt und womöglich noch auf den