Will Berthold

Ein Kerl wie Samt und Seide


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gab alles, mit Ausnahme von Schnaps. Alkoholika konnte man nur in der Post-Exchange, der PX, erwerben, gegen Dollars, auf Rationcards. Bei den GIs waren die Quellen schwarzen Schnapses ebenso gefragt wie die Adressen billiger Mädchen. Viele GIs tranken, bis ihnen schwarz vor den Augen wurde, mitunter für immer, wenn sie durch Methylalkohol erblindet waren. Einige hatten für den Fusel bereits mit dem Leben bezahlen müssen. Das aber konnte die Stiftenköpfe ebensowenig vom Trinken unsauberer Destillate abhalten, wie die ständige Warnung vor Geschlechtskrankheiten von ihren ›Quickies‹.

      »Mr. Williams hat ganz wenig Zeit«, sagte der Dolmetscher, als sie auf das Storage-Office zugingen. »Er wird in den nächsten Tagen von Colonel Rice das Kommando über das Depot übernehmen. Sie können sich ja vorstellen, wie es da bei uns zur Zeit zugeht.«

      Der Mann in der umgefärbten US-Windjacke nickte gleichgültig.

      »Viel Hoffnung kann ich Ihnen nicht machen. Der Herr Oberstleutnant hat eine miserable Laune. Na ja, versuchen Sie Ihr Glück.«

      Die Stimmungslage des zukünftigen Hausherrn war schon beim Betreten des häßlichen Hauptgebäudes zu hören. Der Hitze wegen standen alle Türen offen. Man konnte noch bis in den letzten Winkel vernehmen, wie gut neue Besen kehren.

      »What a mess, Captain Miller!« tobte Williams. »Ich weiß seit langem, daß hier alle klauen wie die Raben. Die Polen, die Deutschen und auch unsere Boys, aber daß zwei komplette Waggons auf dem Weg nach Italien spurlos verschwinden, ist eine grenzenlose Schweinerei.«

      »Die Waggons werden wieder auftauchen«, versuchte der für den Gütertransport zuständige Captain abzuwiegeln.

      »Leer natürlich«, schrie der Lieutenant-Colonel; seiner Stimme nach mußte sein Blutdruck gewaltig gestiegen sein. »Setzen Sie sich mit der CID in Verbindung. Versuchen Sie Major Zielinsky an die Strippe zu bekommen. Ich möchte mit ihm sprechen. Er muß sich etwas einfallen lassen, sonst stehlen uns die noch den Stuhl unterm Hintern weg.«

      Der Hüter und Verteiler des Armeeguts stand vor einem zweifachen Problem: Einerseits hatte er das US-Eigentum vor Langfingern zu schützen, andererseits wußte er nicht mehr, wo er den Strom der Anlieferungen noch verwahren sollte. Mit einem gewissen Schwund mußte man in einem Arsenal dieser Größe immer rechnen, aber in den letzten Wochen hatte dieser jedes erträgliche Maß überschritten. Täglich meldeten die Supervisors neue Verluste. Hunderte amerikanischer, polnischer, deutscher Bediensteter arbeiteten in einer fast indischen Kastenordnung nebeneinander. Die Parias waren die Internierten mit der anrüchigen Vergangenheit. Deutsche Lagerbeschäftigte konnten es schon zu Vorarbeitern bringen. Polnische DPs in ihren dunklen Uniformen waren ihnen übergeordnet; diese wurden von den Militär-Polizisten in den olivgrünen Uniformen beargwöhnt, denen wiederum ihre Offiziere nicht trauten. Die eine Kaste filzte die andere, und so waren sie mit der Zeit alle miteinander verfilzt.

      »Es besteht immer noch Aussicht, Sir, daß die beiden Waggons unversehrt aufgefunden werden«, versuchte Captain Miller den Zorn des neuen Chefs zu glätten. »Im letzten Monat stand einmal ein ganzer Güterzug sieben Tage lang auf einem Nebengleis und nichts war abhanden gekommen.«

      »Touch wood«, erwiderte Lieutenant-Colonel Williams und klopfte auf die Holzplatte seines Schreibtisches. »Ich hasse zwar diese Herumschnüffelei«, fuhr er fort, »aber wir müssen so rasch wie möglich ein paar getarnte CID-Agenten in unsere feine Belegschaft einschleusen.«

      Mr. Williams war mit der Tochter eines US-Senators verheiratet. Seine Laufbahn müßte steil nach oben führen. Noch in dieser Woche würde er zum Colonel befördert und dadurch den ›Chikken-Rang‹ erreichen, den man so nennt, weil das Rangabzeichen eines US-Obersten einem stilisierten Huhn gleicht. Schließlich mußte man erst Colonel werden, bevor man zum General befördert wurde; daß es Bud C. Williams vor allen anderen schaffen würde, bezweifelte niemand. Es war der Lohn für die Bindung an eine spitzköpfige und spitzfindige, doch auch einflußreiche Frau.

      »Listen, Captain«, fuhr die Polterstimme fort, »ich werde diese Polacken austauschen, ausnahmslos, und dann –«

      »Das führt leider zu gar nichts, Sir«, unterbrach ihn Captain Miller, »die Blauhelme, die wir hier beschäftigen, sind schon halbwegs satt. Wenn wir sie durch hungrige ersetzen, fressen die nur unsere Vorräte ratzekahl.«

      Maletta und der Dolmetscher hatten das Vorzimmer erreicht. Sie saßen einander gegenüber, während sich nur ein paar Meter von ihnen entfernt ein Gewitter entlud, das den Besucher nichts anging.

      Der Interpreter schloß behutsam die Tür.

      »Son of a bitch!« schrie der Lieutenant-Colonel und riß sie wieder auf. Der gedrungene, untersetzte, kurzbeinige und kurzatmige Chef des Mammut-Arsenals – wegen seines Aussehens nannten ihn die Amerikaner ›Stubby‹ – sah den fremden Zivilisten und fuhr ihn an: »What are you doing here?«

      »Maletta, my name«, antwortete der Besucher, griff in die Tasche und wies Papiere vor, auf die das Rotgesicht keinen Blick warf. Das ausgezeichnete Englisch, in dem Maletta dem amtierenden Depotchef erklärte, daß er im Auftrag Captain Freetowns mit dem deutschen Internierten Horst Schöller sprechen müsse, ließ den Dolmetscher aufhorchen und machte den Offizier eine Nuance umgänglicher:

      »We are the wrong address«, erwiderte Williams, alias Stubby. »Sie müssen sich an den Chef des Interniertenlagers Moosburg wenden. Wir haben uns diese Burschen von dort nur ausgeliehen.« Er zündete sich eine Zigarette an, ließ dabei den Bittsteller nicht aus den Augen. »Was hat eigentlich der Theater-Offizier der Militär-Regierung mit diesem dirty Nazi zu tun?« fragte er, nicht unlogisch.

      »Das Permit ist von Colonel Rigby persönlich unterschrieben«, wich ihm Maletta aus.

      »Colonel Rigby vom CIC?« entgegnete Williams, er riß dem Deutschen die Papiere aus der Hand, prüfte die Unterschrift. »Well«, sagte er dann. »Five minutes! Not one more! Lassen Sie den Mann von der MP begleiten«, wandte er sich an den Dolmetscher. »Und achten Sie darauf, daß er die Frist einhält.«

      Zum Arsenal 9 bis 12 waren es nur ein paar hundert Meter, aber der baumlange Militär-Polizist mit dem martialischen Gesicht wäre kein Amerikaner gewesen, hätte er sie zu Fuß zurückgelegt. Er gab Maletta einen Wink, in den Jeep einzusteigen.

      »Where are you coming from?« fragte Maletta, er wußte, daß die Besatzungssoldaten viel zugänglicher waren, wenn man in ihrer Sprache redete.

      »New York City«, erwiderte der Hüne, »Manhattan-South. Do you know New York?«

      »Oh yes«, erwiderte Maletta und setzte hinzu, daß er schon vor dem Krieg die aufregendste Stadt der Welt‹ mehrmals besucht hatte.

      Innerhalb der Einzäunung gab es 70 Waren-Stapel, für jeden war ein deutscher Vorarbeiter verantwortlich, der im ›Office für Arbeitsverteilung‹ Internierte oder auch Zivilisten anfordern konnte. Die automatisch Arretierten wurden erst seit ein paar Tagen versuchsweise eingesetzt. Sie hatten sich freiwillig gemeldet, sowohl um der Lager-Monotonie hinter Stacheldraht zu entgehen als auch in der Hoffnung, das Schlaraffenland könnte ein paar Brosamen für sie abwerfen. Außerdem durchlöcherte es die Lager-Isolation; es war unvermeidlich, daß die Internierten an ihrem neuen Arbeitsplatz mit deutschen Zivilarbeitern, polnischen und amerikanischen Bewachern zusammenkämen. So sahen sie eine Chance, über kurz oder lang an ihre Angehörigen Kassiber herauszuschmuggeln und mit ihnen in Kontakt zu kommen. Der Kommunikation waren kaum Grenzen gesetzt, auch dann nicht, wenn sie sich statt an die lieben Verwandten an die Alten Kameraden wenden würden, die – untergetaucht – in Freiheit lebten.

      Der MP trat die Bremse durch und schob sich den Helm nach hinten, um, im Wagen sitzenbleibend, ein Sonnenbad zu nehmen: »Look around«, forderte er Maletta auf. »Search for your damned Nazi.«

      Maletta wandte sich an den deutschen Vorarbeiter.

      »Schuppen zwölf«, erwiderte der Mann. »Hier, gleich nebenan.«

      Horst Schöller stapelte mit zwei anderen Moosburgern Kartons mit Eipulver, einen über den anderen, bis unter das Dach. Mitunter war eine der Pappschachteln beschädigt und sie bauten sie, um bei Gelegenheit an den Inhalt