Nataly von Eschstruth

Jedem das Seine - Band I


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hängen an ihren Armen.

      Mortimer bleibt unwillkürlich stehen und hält Schlüchtern zurück.

      „Lass uns draussen bleiben, Hans! Diese Bude scheint furchtbar zu sein, so ganz und gar nicht das, was ich hier suche!“

      „Das glaube ich selber! Eine wahnsinnige Hitze und Stickluft und bereits der letzte Akt! Du versäumst nichts. Es wird schon mörderlich heiss, sogar die Nächte bringen hier kaum noch eine Erquickung! Ich will dir mal einen Vorschlag machen, alter Junge! — Konstantinopel mit all dem, was ein Tourist zu sehen bekommt, kennst du jetzt, lass uns nun mal zur Erholung ein paar Tage auf dem wonnigen Fyndykly oder den Prinzeninseln verleben —“

      „Prinzeninseln? was ist das?“

      „Das Schönste, was du dir denken kannst, das Buen retiro der Konstantinopler! Namentlich Prinkipo, die grösste der Inseln, ist das verkörperte Paradies! Und so ganz nach deinem Geschmack, was die Romantik anbelangt! Da klingelt es sicherlich in deinem Herzen Sturm! Ehemals waren diese Inseln die schönen Gefängnisse verbannter Prinzen und Prinzessinnen, ja, es gibt noch immer gut unterrichtete Leute an der hohen Pforte, welche behaupten, dies sei noch heutigentags der Fall! Es soll da dicht am Meeresufer eine zauberisch schöne, märchenhafte Villa orientalischen Stils liegen, welche von einem türkischen Würdenträger bewohnt wird. Derselbe lebt sehr zurückgezogen, und man munkelt, er sei eigentlich nichts anderes als ein vornehmer Gefangenwärter, denn sein Kiosk beherberge zeitweilig diejenigen Schönen, welche sich im Harem des Sultans unliebsam gemacht, welche man entweder auf kurze Zeit entfernen oder zur Strafe für immer dort in die Einsamkeit flüsternder Mandelhaine verbannen wolle! — Manche glauben an dies Gerede, viele — und darunter auch ich — lachen darüber, denn der alte Suleiman-Achmed-Bei ist ein reicher Mann, welcher sich selber die schönsten Weiber und zirkassische Sklavinnen halten kann, — und dieser Reichtum an erstklassischen Schönheiten hat wohl den Anlass zu dem Klatsch gegeben!“

      „O, diese Volksstimme klingt zu poetisch und schön, um nur unwahrer Klatsch zu sein!“ rief Mortimer lebhaft; „warum erzählst du mir so etwas Interessantes erst jetzt, du Duckmäuser?“

      „Ehrlich gestanden, weil ich heute morgen erst von meinem Prinzipal und Freund daran erinnert wurde!“ lachte Hans. „Wie alle Grosskaufleute hat auch Benno Haulsen & Cie. seine elegante Villa auf Prinkipo, in welcher seine Familie die heisse Zeit verlebt. Heute sind Frau und Kinder nach dort übergesiedelt, und aus diesem Anlass kam unser Gespräch auch auf Suleiman-Achmed, welchen Haulsen persönlich kennt und bei dem er sogar schon öfters in seiner sagenhaften Villa zu Gaste war —“

      „Kann man auf Prinkipo wohnen?“

      „Und ob! Für Geld und gute Worte kann man dort alles haben! Zu Land und Wasser spazieren fahren ... Feuerwerk sehen ... Paukgjöksü und Elmastia, Rapama und Rebab essen und Sorbet und Helva trinken; im Hotel Giacomo oder Imperial wohnen und sich eine Zeitlang alles Ernstes einbilden, ein Gott auf Erden zu sein!“

      „Also auf! auf! nach Prinkipo!“ —

      „Topp! morgen mittag per Dampfschiff gondeln wir los! Du nimmst Aufenthalt dort — ich führe dich in die Familie meines Chefs ein, damit du dich nicht langweilst und von der netten englischen Bonne ein bisschen beaufsichtigt werden kannst —“

      „Hm! hm!!“ —

      „Und ich komme mit Haulsen jeden Mittag nach Bureauschluss hinaus ...“

      „Abends fahren wir im Mondschein auf dem Bosporus und warten, ob nicht mal eine der verbannten Prinzessinnen ins Wasser fällt ...“

      „Grossartig! wir retten!“ —

      „Falls die Delphine und Haifische garantieren, dass sie stumpfe Zähne und keinen Appetit auf Menschenfleisch haben!“

      „Unbesorgt! Die kleinen Haifische tun keinen Schaden, und die grossen Unholde dringen selten, fast nie über die Dardanellen vor!“

      „Also wir stürzen uns der schönen Suleika nach!“ —

      „Erlaube mal! nur du, — ich nicht!“

      „Um so besser. Unter diesen Verhältnissen hast du auch zu verschwinden, wenn ich mit ihr unter dem duftenden Orangengebüsch lande ...“

      „Selbstredend! Ich hole schleunigst Suleiman-Achmed!“

      „Mensch, ich würge dich!“ —

      Unter Scherzen und Lachen wanderten sie die stillen Strassen nach Hotel Kroecker zurück, woselbst Marken sich einquartiert hatte.

      In der Grande rue de Péra pulsierte noch europäisches Nachtleben.

      Ein alter türkischer Rahatverkäufer lungerte noch an der Treppe herum, eine junge Negerin mit dicken Backenknochen und frechen Augen bot noch sehr zudringlich Sträusse von stark duftenden Nelken und blühende Orangenzweige an.

      Mortimer zögerte, warf dem Weib eine Münze zu und griff nach einem der Zweige. Sie fasste seine Hand mit heissem, zärtlichem Griff und drückte sie gegen ihre Stirn.

      „Toi, tu sais! Benim djan senin!“ flüsterte sie.

      Schlüchtern lachte: „Na, Mortimer? Was sagen die Nornen?“

      Marken wandte sich beinah’ zornig ab und murmelte: „Gott bewahre einen vor solch’ schwarzem Ungeheuer!! Also morgen mittag erwarte ich dich an der neuen Brücke!“ —

      „Well!“ nickte Schlüchtern und schritt hastig in die Strasse zurück, von der Negerin gefolgt, welche ihm mit kreischender Stimme ihre Blumen aufdrängen wollte.

      Mortimer aber stand an dem offenen Fenster seines Zimmers, schaute hinaus in die klare Mondnacht und neigte den Zweig mit den kühlen, weissen Orangenblüten gegen seine Wange.

      Wie das duftete! —

      Schier betäubend weht der süsse Odem um sein Antlitz, und er atmet so tief und schwer, als berausche ihn der süsse Hauch. Ebenso wie dieser, nur viel traumhafter und weniger stark, duftete der welke Blumenzweig, welcher neben Lakmehs dunkler Locke in dem Briefumschlag lag. —

      In seinem Taschenbuch ruhen die kostbaren Schätze, welche er am Tage seines Scheidens von ihrer heimatlichen Erde hier zurücklassen oder in die blaue Flut des Bosporus versenken will, damit der schmerzensreiche Liebestraum jener kranken Taube, welcher hier unter dem magischen Silbermond zwei junge Herzen so leidenschaftlich entzückte, im Lande der Märchen sein Ende finde.

      Die Locke und der Orangenzweig dünken dem jungen Offizier zwei heilige Vermächtnisse, welche er vor profaner Hand beschützen muss.

      Und wie der Duft der frischen Blüten seine Sinne umstrickt, deucht es ihm, als ob aus den wogenden Silberschleiern der Nacht das süsse, todtraurige Antlitz der sterbenden Lakmeh tauche, dass es ihm zulächle unter Tränen — dass weisse Arme ihn geheimnisvoll hinabwinken an die Ufer des blau glänzenden Meeres, dahin, wo Prinkipo wie ein paradiesisches Gefilde aus den Wogen steigt, wo goldene Minaretts über stillen Marmorhallen leuchten .. Und doch ... nein! es ist nicht Lakmeh ... es ist das stolze, spottende Angesicht jener zauberschönen Prinzessin aus dem Märchenbuch, welche ihm wieder und immer wieder versichert, dass sie ihn niemals lieben werde ...

      — — — — Am nächsten Mittag schlendert Mortimer von der Marken harrend auf der Neuen Brücke hin und her, den Freund erwartend, mit welchem er den Dampfer besteigen will, der auf der inneren Seite der Brücke angelegt hat und in einer Viertelstunde nach Haidar-Pascha und den Prinzeninseln abdampfen soll.

      Wieder liegt Konstantinopel im grellen, glühendheissen Brand der Mittagssonne, und die Wasserverkäufer mit ihren wunderlichen, langen, sackartigen Gefässen machen gute Geschäfte, ebenso die Obstverkäufer, welche die köstlichsten Früchte zu wahren Bergen aufgestapelt haben und für wenige Paras oder einen Gurusch so verschwenderisch davon geben, dass der deutsche Offizier staunend stehen bleibt und mit beinah’ wehmütigem Lächeln an das Körbchen voll Kirschen, Stachel- oder Erdbeeren denkt, welches Tante Gustel ehemals vom Markt heimgebracht. Währenddessen fallen ihn zerlumpte Bettler wie die Hyänen an, glutäugige kleine Judenkinder kichern und deuten