Marcel Schwob

Der Roman der zweiundzwanzig Lebensläufe


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aufbewahrt in einer Art grüngestrichenem Bienenkorb: das Innere, in Pyramidengestalt, starrte von ehernen Nägeln. Darin, zwischen Ringen, Riesenmünzen und Rubinen, lag die Handschrift des Heraklit, der die Herrschaft des Feuers verkündet hat. Der Weise hatte die Schrift eigenhändig dort niedergelegt, unten auf den Grund der Pyramide, zur Zeit, als sie aufgebaut wurde.

      Die Mutter des Herostrat war heftigen Gemüts und voll Hochmut. Seinen Vater kannte er nicht. Herostrat gab sich späterhin für einen Sohn des Feuers aus. Er trug unter seiner linken Brust ein Muttermal in Gestalt eines Halbmonds; als man ihn folterte, schien es in Brand zu geraten. Die Frauen in seiner Geburtsstube sagten voraus, daß er ein Sklave der Artemis sein werde. Er war jähzornig und sein Leben lang ohne Geschlechtsliebe. Sein dunkelfarbi ges Gesicht war von rätselhaften Linien wie zerrissen. Schon als Kind verweilte er am liebsten an der Küste bei dem Artemision. Er sah den Opferzügen zu, wie sie vorbeikamen. Doch wegen der Zweifel über seine Abstammung nahm man ihn nicht in die Priesterschaft der Göttin auf, für deren Geweihten er sich hielt. Die Priesterschaft mußte ihm zu wiederholten Malen den Eintritt in die innere Halle verwehren, wo er hoffte, den kostbaren gewichtigen Schleier zu lösen, der die Göttin umhüllte. Durch dieses Verbot wurde er ganz gehässig, er schwor sich zu, das Geheimnis zu brechen.

      Sein Name Herostrat schien ihm unvergleichlich mit jedem andern, und er hielt dafür, daß seine eigne Person die ganze Menschheit überrage. Er gierte nach Ruhm. Zuerst schloß er sich den Philosophen aus der Schule des Heraklitan; doch diese kannten die geheime Wissenschaft selber nicht, da sie der Meister in die kleine Pyramidenzelle des Artemisschatzes versperrt hatte. Herostrat zog also nur seine eigenen eigenwilligen Schlüsse aus der Lehrmeinung des Meisters. Insbesondere verhärtete er sich gegen den rings sichtbaren Reichtum. Die willfährigen Dirnen waren ihm aufs äußerste zuwider. Man nahm an, er wolle sich für die Göttin rein bewahren. Aber Artemis erbarmte sich seiner nicht. Dem Greisenrat, der den Tempel verwaltete, schien er verdächtig. Mit Erlaubnis des persischen Statthalters wurde er in die Vorstadt verbannt. Da lebte er an den Hängen des Koressos in einer Höhle aus der Zeit der Vorfahren. Von da aus spähte er des Nachts nach den ewigen Lampen des Heiligtums. Es gibt Vermutungen, kundige Perser hätten ihn damals aufgesucht und oft lange Unterhaltungen mit ihm gepflogen. Aber es hat mehr für sich, daß ihm sein Schicksal ganz plötzlich offenbar wurde.

      Er gestand auf der Folter, mit einem Schlage sei ihm der Sinn des Heraklitwortes aufgegangen, „die Bahn hinauf“, und warum der Weise gelehrt habe, daß gerade die ausgedörrteste Seele die beste, am ehesten entflammbare sei. In diesem Sinn hielt er seine eigne Seele für die vollkommenste von allen, und er habe dies kund tun wollen. Dieser Ehrgeiz, diese Freude am Anhören seines eigenen Namens hätten ihn zu seiner Tat veranlaßt, und kein andrer Beweggrund. Er sagte auch, er ganz allein wäre der wahre Selbstherrscher, da er von keinem bekannten Vater stamme, Herostrat trage seine Krone nur von Herostrat, Herostrat sei ein Kind seines eigenen Werkes, und daß sein Werk das Wesen der Welt in sich schließe: auf diese Art wäre er alles zugleich gewesen, König, Weiser und Gott, einzigartig unter den Menschen.

      In der Nacht zum 21. Juli 356, als der Himmel ohne Mond war und der Trieb des Herostrat eine ganz außerordentliche Heftigkeit angenommen hatte,faßte er seinen Entschlußen der Artemis geheimes Gemach einzubrechen. Er klomm heimlich durch die Schlucht nach dem Ufer des Kaistros, dort erstieg er die Treppe zum Tempel. Die Wächter der Priester schliefen neben den heiligen Leuchtern. Herostrat ergriff eine solche Lampe und drang in die Halle ein.

      Ein starker Nardenduft empfing ihn hier drinnen. Die dunkeln Querbalken der Ebenholzdecke glänzten auf. Das länglichrunde Gemach war durch einen mit Gold- und Purpurfäden bestickten Vorhang abgeteilt, dahinter war die Göttin verborgen. Herostrat, in atemberaubender Wollust, riß die Tücher zur Seite. Im Lichte der Lampe reckte sich der furchtbare Kegel mit den spitzen Brüsten. Herostrat griff an die Brüste mit beiden Händen und drückte den göttlichen Stein wild an sich. Dann ging er im Kreis um ihn herum, dabei entdeckte er die grüne Pyramide, die den Schatz enthielt. Er zerrte an den ehernen Nägeln des Verschlusses, und dieser gab nach. Da badete er seine Finger in den unberührten Schätzen. Aber er nahm bloß die Papyrusrolle heraus mit den Versen von der Hand des Heraklit. Im Lichte der ewigen Lampe las er die Verse, und nichts blieb ihm länger dunkel. „Feuer!“ rief er da, „Feuer!“

      Er griff nach dem Vorhang der Artemis, zog ihn heran und brachte den flammenden Docht in die Nähe des unteren Saumes. Das Gewebe entzündete sich vorerst langsam; dann aber, von den würzigen Ölen, womit es getränkt war, genährt, stieg die Flamme bläulich hinauf in das kostbare Gebälk. Der furchtbare Kegel spiegelte den Brand wider.

      Das Feuer wand sich um die Kapitäle der Säulen, verbreitete sich an den Gewölben. Die goldenen Weihetafeln der gewaltigen Artemis stürzten eine um die andre aus ihrer Höhe herunter auf die Steinfliesen, metallisch erklingend. Dann brach die Feuerblume hervor aus dem Dach und erhellte die Küste. Die ehernen Ziegel fielen ab. Herostrat stand aufrecht in dem Glanze und schrie seinen Namen in die Nacht. Das ganze Heiligtum wurde ein roter Flammenhaufen inmitten der Finsternis. Die Wachen ergriffen den Täter. Man mußte ihn knebeln, eh er es unterließ, seinen Namen auszubrüllen. Man band ihn und verwahrte ihn Während des Brandes in einem Keller.

      Artaxerxes übersandte unverzüglich den Befehl zur Folter. Herostrat wollte nichts als das bereits Bekannte gestehn. Die zwölf jonischen Städte verboten bei Todesstrafe, den Namen des Herostrat der Nachwelt zu überliefern. Und doch hat ihn die Sage auf uns gebracht. In der Nacht, da Herostrat den Tempel von Ephesus verbrannte, kam Alexander zur Welt, der König von Mazedonien.

      KRATES

      Ein Zyniker

      er kam in theben zur welt, er wurde schü -ler des Diogenes und kannte auch den Alexander. Sein Vater Askondas war begütert und hinterließ ihm zweihundert Talente. Es geschah aber, daß Krates imTheater bei einem Stück des Euripides vor der Gestalt des Myserkönigs Telephos, der als zerlumpter Bettler und mit einem Korb in der Hand auftrat, seiner Berufung inne wurde. Er erhob sich von seinem Platz und verkündete mit lauter Stimme, er werde seine Erbschaft von zweihundert Talenten verteilen; wer wolle, könne sie haben, und daß er sich von jetzt ab mit der Tracht des Telephos begnügen werde. DieThebaner lachten toll und versammelten sich vor seinem Haus; er aber lachte noch toller. Er warf Geld und Hausrat zum Fenster hinaus, nahm einen groben Mantel und einen Quersack und machte sich auf und davon.

      In Athen eingetroffen, schlenderte er durch die Straßen oder setzte sich hin, den Rücken gegen die Mauer gelehnt, mitten in den Kot hinein. Er verwirklichte die Ratschläge des Diogenes. Dessen Tonne aber erschien ihm überflüssig. Denn nach Krates war der Mensch weder eine Schnekkenochein Einsiedlerkrebs. Erbehagtesichsplitternackt im Kehricht, sammelte Brotkrusten,angefaulte Oliven und Fischgräten und füllte seinen Quersack damit. Er sagte, dieser Sack sei eine reiche üppige Stadt, ohne Schmarotzer und ohne Dirnen, und sie werfe ihrem Herrn eine hin reichende Steuer ab: Thymian, Lauch, Feigen und Brot. So trug Krates sein Reich auf seinem Rücken und zog seine Nahrung daraus.

      Er kümmerte sich nicht im geringsten um die Staatsangelegenheiten, nicht einmal, um sie zu bespötteln, und gab sich nicht den Anschein von Mut gegen die Gewaltherrscher. Er billigte keineswegs die Handlungsweise des Diogenes, der einesTags aufbrüllte: „Männer hierher!“ und die daraufhin Herbeieilenden mit dem Stock wieder hinwegprügelte, wobei er ihnen zuschrie: „Ich habe doch, Männer‘ gerufen und nicht,Abschaum der Menschheit‘.“ Krates ging mit den Leuten sanft um. Ihm galt alles gleich. Die Wunden waren ihm Gewohnheit geworden. Er bedauerte nur sehr, keinen so gelenken Körper zu haben, daß er sie hätte belecken können, wie es die Hunde tun. Er beklagte auch, daß man das Essen und Trinken nötig habe. Der Mensch, so dachte er, müßte eigentlich mit sich selbst auskommen, ohne jeden Beistand von außen. Zum mindesten kam er ohne Wasser zum Waschen aus. Er begnügte sich, wenn ihn der Schmutz belästigte, seinen Leib an den Hauswänden zu scheuern, da er bemerkt hatte, daß die Esel auch nicht anders handeln. Von den Göttern sprach er selten, er beunruhigte sich ihretwegen nicht: es war ihm gleich, ob es Götter gibt oder nicht, er wußte wohl, daß sie ihm nichts anhaben konnten. Höchstens warf er ihnen vor, sie hätten die Menschen absichtlich elend gemacht, da sie deren Gestalt zum Himmel hochgerichtet und sie damit der Fähigkeit beraubt haben, die den meistenTieren eignet: sich auf vier Gliedmaßen