des scharfen attischen Staubes. Eine neue Hautkrankheit übersäte ihn mit Pusteln. Er kratzte sich mit seinen Nägeln, die er nie abkaute, und bemerkte, daß er zweifach gewinne, da er dabei erstens die Nägel abwetze und zweitens sich auch noch Erleichterung verschaffe. Sein langes Haupthaar wurde zu einem dicken Filz, und er schob es auf seinem Kopf zurecht, wenn er sich vor Regen oder vor Sonne schützen wollte.
Als ihn Alexander aufsuchte, erfreute ihn Krates keineswegs durch treffende Aussprüche, er sah ihn an, wie er alle andern ansah, ohne zwischen König und Nicht-König zu unterscheiden. Krates hatte keineStellungzu den Machthabern. Sie waren ihm so wenig wichtig wie die Götter. Wichtig war ihm allein der Mensch, und wie man auf eine möglichst einfache Art leben könnte. Die Mahnreden des Diogenes fand er lächerlich, nicht minder dessen Pläne zur Sittenverbesserung. Krates fühlte sich unendlich erhaben über solche wohlfeilen Sorgen. Den Leitsatz im Giebelfeld des Tempels zu Delphi veränderte er in die Worte: „Lebe dich selbst.“ Die Vorstellung, daß es irgendeine Erkenntnis gäbe, erschien ihm sinnlos. Er untersuchte nur eines: wie sich sein Leib zu den Bedürfnissen seines Leibes verhielte, und war bemüht, diese Bedürfnisse nach Möglichkeit einzuschränken. Diogenes konnte beißen wie die Hunde, Krates aber ganz so leben wie sie.
Er hatte einen Schüler, der hieß Metrokies und war ein reicher junger Mann aus Maronea. Seine Schwester Hipparchia, so schön und vornehm sie war, verliebte sich in den Krates. Es steht fest, daß sie von Liebe zu ihm ergriffen war und ihm nachlief. Die Tatsache erscheint unmöglich, ist aber gesichert. Sie ließ sich durch nichts abschrecken, durch keinen Schmutz, durch keine gänzliche Armut, nicht einmal durch den Schauder vor einem Leben in solcher völligen Öffentlichkeit. Krates warntesie: erlebe nach der Weise der Hunde auf der Gasse und stöbere nach den Knochen in den Kehrichthaufen. Er erklärte ihr, daß sich ihr Leben vor aller Augen abspielen werde und er sie besitzen würde vor allen Leuten, wann immer ihn die Lust dazu ankäme, genau so, wie die Hunde es mit den Hündinnen treiben. Das alles erwartete sich Hipparchia nicht anders. Ihre Eltern wollten ihr nicht nachgeben, da drohte sie mit Selbstmord. Sie hatten Mitleid mit ihr. Hipparchia verließ also das Städtchen Maronea, gänzlich entblößt, mit hängendem Haar, nur mit einer alten Decke versehn, und sie lebte mit Krates und trug sich wie er. Er soll auch ein Kind von ihr gehabt haben, Pasikles; doch weiß man nichts Sicheres darüber.
Die genannte Hipparchia war anscheinend gütig zu den Armen, und voll Teilnahme; sie streichelte die Kranken; sie leckte ohne jeden Ekel die blutenden Wunden der Leidenden, in dem Gefühl, diese seien für sie das, was die Schafe für die Schafe sind und die Hunde für die Hunde. War es kalt, so legten sie sich zu den Ärmsten, eng an sie gepreßt, und gaben sich Müh, ihre Leibeswärme mit ihnen zu teilen. Wortlos gewährten sie ihnen ihre Hilfe, so wie die Tiere einander helfen. Sie waren, ohne irgendeinen zu bevorzugen, gleich gut gegen alle ihre Nächsten. Wenn es nur Menschen waren.
So viel ist uns über das Weib des Krates überliefert; wir wissen nicht, wann sie starb, noch wie. Ihr Bruder Metrokies bewunderte den Krates und eiferte ihm nach. Doch fehlte ihm die Ruhe. Seine Gesundheit war gestört durch beständige Blähungen, die er nicht an sich zu halten vermochte. Er war ganz verzweifelt und beschloß, sich zu töten. Krates erfuhr von seiner unglücklichen Lage und wollte ihn trösten. Er aß eine Unmenge von Wolfsbohnen und ging zu ihm. Er stellte ihm die Frage, ob es bloß die Scham über sein Leiden sei, die ihn derart betrübe. Metrokles gab zu, daß er dieses unanständige Geschick nicht ertragen könne. Da ließ Krates, aufgebläht von den Bohnen, vor seinem Schüler einen Wind nach dem andern streichen und versicherte ihm, das Menschengeschlecht sei diesem Übel von Natur aus unterworfen. Darauf hielt er ihm vor, daß er sich vor andern geschämt habe, und verwies ihn auf sein eigenes Beispiel. Dann ließ er noch einige Winde streichen, nahm seinen Schüler bei der Hand und führte ihn mit sich fort.
Beide blieben nun lange Zeit beisammen in den Straßen von Athen, sicherlich noch mit Hipparchia. Sie wechselten kaum Worte miteinander. Es gab nichts, dessen sie sich geschämt hätten. Wenngleich die Hunde denselben Kehrichthaufen durch wühlten, wagten sich die Tiere doch nicht an sie. Man darf aber annehmen, daß sie, etwa von Hunger geplagt, mit Bissen übereinander hergefallen sind. Jedoch die Geschichtschreiber haben nichts dergleichen berichtet. Wir wissen dafür, daß Krates sehr alt wurde; daß er sich zum Schluß nicht mehr von der Stelle bewegte, hingelagert unter dem Schutzdach eines Hafenspeichers, der den Seeleuten zur V erstauung ihrer Ballen diente; daß er es unterließ, einem Knochen zum Benagen fernerhin nachzulaufen, daß er nicht einmal mehr den Arm ausstrecken wollte, und daß man ihn eines Tages ausgedörrt auffand, verhungert.
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