Heinrich Mann

Professor Unrat


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      Heinrich Mann

      Professor Unrat

      Oder: Das Ende eines Tyrannen

      Heinrich Mann

      Professor Unrat

      Oder: Das Ende eines Tyrannen

      Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2021

       EV: Kurt Wolff Verlag, Leipzig, 1925

       1. Auflage, ISBN 978-3-962818-19-7

      null-papier.de/706

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      Inhaltsverzeichnis

       An­mer­kun­gen zur Be­ar­bei­tung

       I.

       II.

       III.

       IV.

       V.

       VI.

       VII.

       VIII.

       IX.

       X.

       XI.

       XII.

       XIII.

       XIV.

       XV.

       XVI.

       XVII.

      Dan­ke

      Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

      Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

      Ihr

       Jür­gen Schul­ze

      Schreib­wei­se und In­ter­punk­ti­on des Ori­gi­nal­tex­tes wur­den über­nom­men; le­dig­lich of­fen­sicht­li­che Druck­feh­ler wur­den kor­ri­giert.

      Die Or­tho­gra­fie wur­de der heu­ti­gen Schreib­wei­se be­hut­sam an­ge­gli­chen.

      Grund­la­ge die­ser Ver­öf­fent­li­chun­gen bil­den fol­gen­de Aus­ga­ben:

       Al­bert Lan­gen, Mün­chen, 1905

       Kurt Wolff Ver­lag, Leip­zig, 1925

      Da er Raat hieß, nann­te die gan­ze Schu­le ihn Un­rat. Nichts konn­te ein­fa­cher und na­tür­li­cher sein. Der und je­ner Pro­fes­sor wech­sel­ten zu­wei­len ihr Pseud­onym. Ein neu­er Schub Schü­ler ge­lang­te in die Klas­se, leg­te mord­gie­rig eine vom vo­ri­gen Jahr­gang noch nicht ge­nug ge­wür­dig­te Ko­mik an dem Leh­rer bloß und nann­te sie scho­nungs­los bei Na­men. Un­rat aber trug den sei­ni­gen seit vie­len Ge­ne­ra­tio­nen, der gan­zen Stadt war er ge­läu­fig, sei­ne Kol­le­gen be­nutz­ten ihn au­ßer­halb des Gym­na­si­ums und auch drin­nen, so­bald er den Rücken dreh­te. Die Her­ren, die in ih­rem Hau­se Schü­ler ver­pfleg­ten und sie zur Ar­beit an­hiel­ten, spra­chen vor ih­ren Pen­sio­nären vom Pro­fes­sor Un­rat. Der auf­ge­weck­te Kopf, der den Or­di­na­ri­us der Un­ter­se­kun­da hät­te neu be­ob­ach­ten und noch­mals ab­stem­peln wol­len, wäre nie durch­ge­drun­gen; schon dar­um nicht, weil der ge­wohn­te Ruf auf den al­ten Leh­rer noch so gut sei­ne Wir­kung übte wie vor sechs­und­zwan­zig Jah­ren. Man brauch­te nur auf dem Schul­hof, so­bald er vor­bei­kam, ein­an­der zu­zu­schrei­en:

      »Riecht es hier nicht nach Un­rat?«

      Oder:

      »Oho! Ich wit­te­re Un­rat!«

      Und so­fort zuck­te der Alte hef­tig mit der Schul­ter, im­mer mit der rech­ten, zu ho­hen, und sand­te schief aus sei­nen Bril­lenglä­sern einen grü­nen Blick, den die Schü­ler falsch nann­ten, und der scheu und rach­süch­tig war: der Blick ei­nes Ty­ran­nen mit schlech­tem Ge­wis­sen, der in den Fal­ten der Män­tel nach Dol­chen späht. Sein höl­zer­nes Kinn mit dem dün­nen, grau­gel­ben Bärt­chen dar­an klapp­te her­un­ter und hin­auf. Er konn­te dem Schü­ler, der ge­schri­en hat­te, »nichts be­wei­sen« und muss­te weiter­schlei­chen auf sei­nen ma­gern, ein­ge­knick­ten Bei­nen und un­ter sei­nem fet­ti­gen Mau­rer­hut.

      Zu sei­ner Ju­bel­fei­er im Vor­jahr hat­te das Gym­na­si­um ihm einen Fa­ckel­zug ge­bracht. Er war auf sei­nen Bal­kon ge­tre­ten und hat­te ge­re­det. Wäh­rend alle Köp­fe, in den Na­cken ge­legt, zu ihm hin­aufsa­hen, war plötz­lich eine un­schö­ne Quetsch­stim­me los­ge­gan­gen:

      »Da ist Un­rat in der Luft!«

      An­de­re hat­ten wie­der­holt:

      »Un­rat in der Luft! Un­rat in der Luft!«

      Der Pro­fes­sor dort oben fing an zu stot­tern, ob­wohl er den Zwi­schen­fall vor­aus­ge­sehn hat­te, und sah da­bei je­dem der Schrei­er in den ge­öff­ne­ten Mund. Die an­de­ren Her­ren stan­den in der Nähe; er fühl­te, dass er wie­der ein­mal »nichts be­wei­sen« kön­ne; aber er merk­te sich alle Na­men. Schon tags dar­auf gab der mit der ge­quetsch­ten Stim­me da­durch, dass er das Hei­mat­dorf der »Jung­frau von Or­leans« nicht kann­te, dem Pro­fes­sor Ge­le­gen­heit zu der Ver­si­che­rung, er wer­de ihm im Le­ben noch oft­mals hin­der­lich sein. Rich­tig war die­ser Kie­se­lack zu Os­tern nicht ver­setzt wor­den. Mit ihm blie­ben die meis­ten in der Klas­se zu­rück von de­nen, die am Ju­bi­lä­ums­abend ge­schri­en hat­ten, so auch von Ertz­um. Loh­mann hat­te nicht ge­schri­en und blieb den­noch sit­zen. Die­ser er­leich­ter­te die Ab­sicht Un­rats durch sei­ne Träg­heit und je­ner durch sei­ne Un­be­gabt­heit. Nächs­ten Spät­herbst nun, an ei­nem Vor­mit­tag um elf, in der Pau­se vor dem Klas­sen­auf­satz über die »Jung­frau von Or­leans«, ge­sch­ah es, dass von Ertz­um, der der Jung­frau im­mer noch nicht nä­her­ge­tre­ten war und eine Ka­ta­stro­phe vor­aus­sah, in ei­nem An­fall schwer­fäl­li­ger Verzweif­lung das Fens­ter auf­riss und aufs Ge­ra­te­wohl mit wüs­ter Stim­me in den Ne­bel hin­aus­brüll­te:

      »Un­rat!«

      Es war ihm un­be­kannt, ob der Pro­fes­sor in der Nähe sei, und es war ihm gleich­gül­tig. Der arme, brei­te Land­jun­ker war nur von dem Be­dürf­nis fort­ge­ris­sen wor­den, noch einen kur­z­en Au­gen­blick sei­nen Or­ga­nen