habe seit diesem Radau am letzten Wochenende keinen Mucks mehr gehört. Da war ein grauenhafter Lärm. Ja, Sie haben sicher gezecht, wie üblich«, sagte sie schnippisch und blickte ihn anklagend an.
»Wissen Sie, ob irgendwer einen Schlüssel zu seiner Wohnung hat?«
»Der Hausmeister hat Schlüssel für alle. Er wohnt im Aufgang gegenüber. Fragen Sie ihn doch einfach. Er heißt Andersson.«
Als er mithilfe des Hausmeisters die Wohnung betreten konnte, empfing sie ein Chaos aus herausgezogenen Schubladen, Schränken, aus denen der Inhalt gerissen worden war, und umgekippten Möbeln. Papiere, Bücher, Kleidungsstücke und allerlei andere Gegenstände lagen wild durcheinander. In der Küche fanden sie Essensreste, Kippen, Schnapsflaschen und anderen Abfall auf dem Boden. Es stank nach altem Bier, kaltem Zigarettenrauch und Bratfisch. Irgendwer hatte mit Sofakissen und Bettwäsche um sich geworfen.
Die beiden Männer blieben mitten im Wohnzimmer stehen und glotzten verblüfft.
Nur stoßweise konnte der Hausmeister Andersson sagen: »Was zum Teufel ist denn hier passiert?«
Er riss die Balkontür auf und schaute hinaus.
»Da ist er auch nicht. Vielleicht ist er in seiner Dunkelkammer.«
Sie gingen die Treppe zum Keller hinunter. An der einen Seite des leeren Ganges lag eine Tür neben der anderen, beschildert mit Aufschriften wie »Waschküche«, »Kinderwagen«, »Räder«. In der Mitte befanden sich normale Kellerräume mit Türen aus Maschendraht. Ganz hinten kam eine Tür ohne Schild.
Der Gestank hätte sie fast umgeworfen. Aus der Dunkelkammer drang eine Fäule, bei der sich ihnen der Magen umdrehte.
Andersson machte Licht, und ihnen bot sich ein entsetzlicher Anblick. Auf dem Boden lag Henry Dahlström in seinem Blut. Er lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Bauch. Sein Hinterkopf war zertrümmert und zeigte eine offene Wunde von der Größe einer Faust. Das Blut hatte die Wände und sogar die Decke bespritzt. Dahlströms ausgestreckte Arme waren von kleinen braunen Blasen übersät. Seine Jeans wies hinten braune Flecken auf, als habe er sich in die Hose gemacht.
Andersson wich in den Gang zurück.
»Muss die Polizei anrufen«, jammerte er. »Hast du ein Handy? Ich hab meins oben vergessen.«
Als Antwort erhielt er nur ein Kopfschütteln.
»Warte so lange hier. Und lass niemanden rein.«
Der Hausmeister drehte sich um und lief die Treppen hoch.
Als er zurückkam, war Henrys Bekannter verschwunden.
Die grauen Betonblocks machten in der Novemberdunkelheit einen finsteren Eindruck. Anders Knutas und seine engste Mitarbeiterin, Kriminalkommissarin Karin Jacobsson, stiegen in der Jungmansgata im Stadtteil Gråbo aus dem Wagen.
Ein eiskalter Nordwind sorgte dafür, dass sie sehr schnell auf Henry Dahlströms Wohnhaus zuliefen. Dort hatten sich schon allerlei Neugierige versammelt. Einige unterhielten sich mit der Polizei. Die Nachbarn wurden befragt, und der Hausmeister war zur Vernehmung auf die Wache gebracht worden.
Das Haus sah heruntergekommen aus; die Lampe über der Haustür war zerbrochen, und im Treppenhaus blätterte die Farbe von den Wänden.
Sie begrüßten einen Kollegen, der ihnen den Weg zur Dunkelkammer zeigte. Als er die Kellertür öffnete, schlug ihnen ein unerträglicher Gestank entgegen. Der süßliche, widerliche Leichengeruch verriet, dass der Tote bereits in den Zustand der Verwesung übergegangen war. Karin spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Sie hatte sich bei Funden von Mordopfern schon so oft übergeben und hätte das diesmal gerne vermieden. Sie zog ein Taschentuch hervor und presste es sich auf den Mund.
Erik Sohlman, Techniker der Spurensicherung, trat in die Tür der Dunkelkammer.
»Da seid ihr ja. Das Opfer heißt Henry Dahlström. Ihr kennt ihn doch sicher, Blitz, den alten Säufer, der früher mal als Fotograf gearbeitet hat? Das hier war seine Dunkelkammer. Er hat sie offenbar noch immer benutzt.«
Sohlman nickte rückwärts zum Kellerraum hin.
»Ihm ist der Schädel eingeschlagen worden und es waren nicht wenig Schläge. Überall ist Blut. Ich muss euch warnen, es ist kein angenehmer Anblick.«
Sie blieben in der Türöffnung stehen und starrten den Leichnam an.
»Wann ist er gestorben?«
»Er liegt sicher schon ungefähr eine Woche hier, nehme ich an. Der Verwesungsprozess hat bereits eingesetzt, zwar nicht übermäßig stark, hier unten ist es ja arg kalt. Aber noch ein Tag, und es hätte im ganzen Treppenhaus gestunken.«
Sohlman strich sich die Haare aus der Stirn und seufzte.
»Ich muss wieder an die Arbeit. Es dauert noch eine Weile, ehe ihr rein könnt.«
»Wie lange denn?«
»Einige Stunden auf jeden Fall. Ich wäre froh, wenn ihr bis morgen warten könntet. Wir haben hier ungeheuer viel zu tun. Und das gilt auch für die Wohnung.«
»Na gut.«
Knutas musterte den engen Raum. Hier war wirklich jeder Zentimeter genutzt worden. Plastikwannen wetteiferten mit Chemikalien, Scheren, Wäscheklammern, Stapeln von Fotos, Schubladen und Schachteln um den Platz. In einer Ecke stand ein Kopierer.
Eine Wanne war umgekippt, und die Chemikalien hatten sich mit dem Blut vermischt.
Als sie aus dem Haus kamen, füllte Knutas seine Lunge mit der frischen Abendluft. Es war Viertel nach acht, und der Regen unter dem düsteren Himmel war in feuchten Schnee übergegangen.
Am nächsten Morgen versammelte sich das Ermittlungsteam auf der Wache in der Norra Hansegatan. Eben erst waren eine aufwändige Renovierung abgeschlossen und der Kripo neue Räumlichkeiten zugewiesen worden. Der Besprechungsraum war hell, hatte hohe Wände und war doppelt so groß wie der alte.
Das Mobiliar war in diskretem skandinavischem Design gehalten, es handelte sich um graue und weiße Birkenmöbel. Mitten im Zimmer stand ein langer, breiter Tisch, der auf beiden Seiten Platz für zehn Personen bot. An der einen Querwand hingen eine große Tafel und eine Leinwand. Alles roch nagelneu. Die helle Farbe an den Wänden war noch kaum getrocknet.
Beide Längsseiten des Raumes waren verglast. Die eine Fensterreihe blickte auf die Straße, den Parkplatz beim Supermarkt und die östliche Seite der Stadtmauer. Hinter der Mauer war das Meer zu erkennen. Die andere Fensterreihe zeigte auf den Flur, sodass man sehen konnte, wer draußen vorbeiging. Dünne Baumwollvorhänge konnten zugezogen werden, wenn mehr Intimität gewünscht wurde – die alten gelben waren durch weiße mit dezentem Muster ersetzt worden.
Knutas kam ungewöhnlicherweise einige Minuten zu spät zu dieser Besprechung. Ein angeregtes Gemurmel empfing ihn, als er mit einem Kaffeebecher in der einen und einem Ordner mit Papieren in der anderen Hand den Raum betrat.
Es war schon nach acht, und alle hatten sich eingefunden. Knutas streifte seine Jacke ab, hängte sie über den Stuhlrücken, ließ sich wie immer an der Querseite des Tisches nieder und trank einen Schluck von dem bitteren Automatenkaffee. Musterte die Kollegen, die noch immer miteinander ins Gespräch vertieft waren.
Rechts von ihm saß Karin Jacobsson: siebenunddreißig Jahre alt, klein von Wuchs, dunkelhaarig und braunäugig. Bei der Arbeit war sie hartnäckig und furchtlos und konnte wütend werden wie ein Terrier. Sie war offen und redselig, über ihr Privatleben jedoch wusste er nicht viel, obwohl sie nun schon seit fünfzehn Jahren zusammenarbeiteten. Sie lebte allein und war kinderlos. Knutas wusste nicht, ob sie einen Freund hatte.
Den ganzen Herbst hatte er ohne sie zurechtkommen müssen, und sie hatte ihm entsetzlich gefehlt. Im Zusammenhang mit der Mordserie des Sommers hatte Karin Jacobsson eine Untersuchung wegen eventueller Dienstvergehen über sich ergehen lassen müssen. Die Untersuchung war eingestellt worden, aber das Ganze hatte Karin doch arg zu schaffen gemacht. Sie war während des laufenden Verfahrens