Siegfried Kaltenecker

Tod dem Management


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Bialek, seines Zeichens Chef des Unfallkommandos, wenig später. »Ihr Mann ist vor ein paar Tagen im Faaker See ertrunken.«

      »Ausgerechnet im Faaker See?«, meinte Obermayr mit einem Seitenblick auf Nemecek.

      »Jawolle, Frau Holle«, entgegnete Bialek betont locker. Er gehörte zu den Menschen, die schallend über ihre eigenen Witze lachen konnten – selbst wenn diese gar nicht lustig waren oder vielleicht dann sogar am meisten.

      »Die Gute ist sogar zwei Mal von Wien nach Kärnten und wieder zurück gefahren, um überall für Wirbel zu sorgen.«

      »Frau Joschak stammt selbst aus Kärnten?«

      »Genau wir ihr verunglückter Mann. Die beiden wohnen aber schon über 30 Jahre in Wien. Wartet kurz.« Bialek hob die Hand wie ein Verkehrspolizist, der ein allgemeines Stopp signalisierte. Während er die linke in der Luft behielt, wühlte er mit der rechten in den vor ihm liegenden Unterlagen. »Da haben wir’s schon.«

      »Sie haben gar kein Protokoll aufgenommen?«, wunderte sich Zukic.

      »Geh bitte!« Bialek verdrehte demonstrativ die Augen. »Wenn ich für jede aufgeregte Angehörige einen offiziellen Bericht schreiben tät, käme ich den ganzen Tag zu nix anderem.«

      Obermayr warf dem Unfallchef einen gefährlichen Blick zu. Nemecek war klar, dass ihr die überhebliche Art des Kollegen total gegen den Strich ging. In seinen Ohren klang Bialek ebenfalls ziemlich respektlos – vom sprichwörtlichen Freund und Helfer ganz zu schweigen. Aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Erst einmal mussten sie in Erfahrung bringen, worum es hier eigentlich ging.

      »Warum war sie denn so aufgebracht?«

      »Wie gesagt: Sie war sich sicher, dass die Kärntner Kollegen ihre Arbeit nicht richtig gemacht haben.« Obwohl er sich demonstrativ entspannt zurücklehnte und dabei seinen imposanten Bierbauch zur Schau stellte, war Bialek deutlich anzuhören, wie viel er von einem solchen Vorwurf hielt.

      »Aber wie kommt sie darauf?«

      »Das müsst’s ihren Psychiater fragen!«

      Nemecek hörte, wie Obermayr neben ihm die Luft ausstieß. Lange würde es nicht mehr dauern, bis sie explodierte. Doch Nemecek setzte auf Deeskalation und wiederholte deswegen betont sachlich: »Wie kommt Frau Joschak darauf, dass es sich um Mord handelt?«

      Jetzt blies auch Bialek die Backen auf. Es war offenkundig, dass ihm die lästigen Fragen der Kripo-Kollegen allmählich auf die Nerven gingen. Entsprechend säuerlich erklärte er: »Weil sie nicht akzeptieren kann, dass ihr Mann einem ganz normalen Badeunfall zum Opfer gefallen ist.«

      »Aber sie wird doch einen Grund für ihren Verdacht haben?«

      »Die hat sich eine regelrechte Verschwörungstheorie zusammengesponnen: dass man ihn aus dem Weg räumen wollte, dass sich das schon lange abgezeichnet hat, dass bestimmte Leute nur auf eine passende Gelegenheit gewartet hätten, was weiß ich!«

      Während er sich regelrecht in Rage redete, verfärbte sich Bialeks Gesicht mehr und mehr. Mittlerweile hatte es eine besorgniserregende dunkelrote Farbe angenommen. »Glaubt ihr denn wirklich, dass an der G’schicht irgendwas dran ist?«

      »Glauben bringt uns nicht weiter«, zischte Obermayr. »Wie wär’s zur Abwechslung mal mit den Fakten? Wen genau hat sie mit ‘bestimmte Leute’ gemeint? Wer wollte ihm etwas antun? Wir brauchen Namen, Bialek, konkrete Anhaltspunkte!«

      Bialek warf ihr einen wütenden Blick zu und sah dann mit aufforderndem Gesichtsausdruck zu Nemecek. Es schien, als würde er allen Ernstes erwarten, dass dieser jetzt den Vorgesetzten gab und seine Kollegin zurückpfiff. Nachdem Nemecek keinerlei Anstalten machte, griff der Unfallchef schließlich resigniert nach seiner Computermaus. »Ich weiß zwar nicht, warum euch das so interessiert, aber bitte: Wenn ihr es unbedingt genau wissen wollt, dann schick ich euch halt den Unfallbericht der Faaker Kollegen zu.«

       Donnerstag, 11:40

       Aufbruch in den Süden

      Nemecek hatte keine Ahnung, warum ihn dieser Zwischenfall nicht mehr losließ. Vielleicht war es wegen Bialeks zynischer Art, die ihm den ganzen Abend über sauer aufstieß. Oder es hatte etwas mit seinem kriminalistischen Instinkt zu tun, der nach der bürokratischen Fadesse all ihrer Cold Cases wieder zum Leben erwacht war. Oder er hatte bloß eine willkommene Ausrede gesucht, um der überhitzten Stadt früher als geplant den Rücken zu kehren und zu seiner Familie an den Faaker See zu fahren? Als er Donnerstag früh aus seinem durchgeschwitzten Bettlaken kroch, stand sein Entschluss jedenfalls fest: Ja, er würde die ohnehin geplante Auszeit am See mit einem kleinen Lokalaugenschein verbinden. Was sprach schon dagegen, sich den Unfallort mit eigenen Augen anzuschauen? Und sich anzuhören, was die Kollegen vor Ort dazu zu sagen hatten? Den Faaker Inspektionsleiter Rudi Hinteregger kannte er ja seit vielen Jahren. Der würde ihm sicher ausreichend Auskunft geben können und sich womöglich sogar über seinen Überraschungsbesuch freuen.

      So kam es, dass er bereits um 8 Uhr 40 in seinem Dienstwagen saß und in Richtung Südautobahn unterwegs war. Um Punkt 9 las er seine Kollegin, mitsamt einer großen Tasche voller Reiseproviant und zwei brühfrischen Kaffees, an der Gumpendorfer Straße auf. Nach einem kurzen Telefonat hatte sich Obermayr spontan zum Mitkommen entschieden. »Mal auf einen Sprung zum Wörthersee«, meinte sie trotz der frühen Stunde überraschend gut gelaunt. »Marie wartet ohnehin bereits seit Wochen auf meinen Besuch.«

      Als sie sich eine halbe Stunde später immer noch im Schneckentempo über den wieder einmal hoffnungslos verstopften Wiener Gürtel quälten, war die gute Laune verflogen.

      »So ein Mist«, fluchte Obermayr. »Ist heute denn die ganze Stadt unterwegs?«

      »Der Wiener Baustellen-Sommer«, bemerkte Nemecek lapidar, bevor der Verkehrsfunk ansprang, um von einem neuen Unfall auf der A2 zu berichten. Also genau auf der Strecke, die sie nehmen wollten. Das konnte ja heiter werden!

      »Soll ich mal checken, welche Ankunftszeit uns prophezeit wird?«, fragte Obermayr kauend. Nemecek verfolgte aus den Augenwinkeln, wie sich seine Kollegin ihr Croissant zwischen die Zähne klemmte, um beide Hände für das Navigationsgerät frei zu haben.

      »13:23«, presste sie nach einem kurzen Fingerspiel hervor. »Zum Nachmittagskaffee sind wir am See.«

      »Na, dann hoffen wir, dass sich der Verkehr ausnahmsweise mal an die Propheten hält«, kommentierte Nemecek und rückte langsam bis zur nächsten Haltelinie vor.

      »Gönn dir, gönn dir a zwa Minuten Leichtigkeit, gönn dir, gönn dir die Zeit fia di alan«, tönte es aus dem Radio. Nemecek wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Mittlerweile standen sie bereits seit einer guten halben Stunde im Stau, eingeklemmt zwischen unzähligen anderen Fahrzeugen, die genauso wenig weiterkamen wie sie selbst. Pkws und Lkws so weit das Auge reichte. Ab und an quetschte sich ein Motorrad zwischen der Blechlawine hindurch. Ansonsten hatte sich die Autobahn wieder einmal in einen riesigen Parkplatz verwandelt. Weit und breit keine Spur von Alleinsein, geschweige denn von Leichtigkeit. Während Nemecek den ersten Gang einlegte, um das Auto ein paar Meter nach vorne zu bewegen, empfahl der Sänger unverdrossen ein wenig Gemütlichkeit.

      »Der hat leicht singen!«, meinte Obermayr zerknirscht. Das hielt sie allerdings nicht davon ab, im falschen Takt gegen die Fensterscheibe zu klopfen. Es wirkte, als hätte sie eine ganz andere Melodie im Kopf.

      Dann wischte sie erneut über ihr Tablet. »Also, ich rekapituliere.«

      »Ich bitte darum«, ermutigte Nemecek und konnte ein weiteres Stöhnen nicht zurückhalten. Wenn sich dieser vermaledeite Stau nicht bald auflöste, würde er noch einen Anfall bekommen. Er wunderte sich ohnehin seit Jahren, dass es im Straßenverkehr nicht mehr Amokläufer gab. Schließlich steckten zigtausende Leute jeden Tag zur selben Zeit an derselben Stelle im Stau fest. Südosttangente, Gürtel, Wienzeile, Altmannsdorfer Straße, ratterte er die neuralgischen Punkte der Bundeshauptstadt herunter. Wie man das bloß aushielt? Oder gewöhnte man sich im Lauf